28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.07.11 / Wo Christo und Canetti lebten / Bulgarien: Bekannt durch seine Sandstrände − Handwerkskunst und Traditionen wurden immer gepflegt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-11 vom 16. Juli 2011

Wo Christo und Canetti lebten
Bulgarien: Bekannt durch seine Sandstrände − Handwerkskunst und Traditionen wurden immer gepflegt

Der Balkan, das sind nicht nur Bruderkrieg und ethnische Auseinandersetzungen. Bulgarien, die Heimat von Christo und Elias Canetti, bietet neben Sandstränden entlang der Schwarzmeerküste auch einzigartige Kulturschätze.

Einst hielten die dicken Mauern der gewaltigen Festungsanlage Carevec oberhalb des Jantra-Flusses feindliche Truppen davon ab, die Region zwischen Balkangebirge und Donauebene zu erobern. Heute lockt das historische Mauerwerk zahlreiche Touristen an, die sich zu jeder Jahreszeit durch das restaurierte Tor des Balduin-Turms über Ruinen hinauf zur Hügelspitze bemühen, wo einst die Zaren und Patriarchen repräsentative Paläste bewohnten.

Die Häuser der denkmalgeschützten Stadt Weliko Tarnowo erinnern an Schwalbennester auf felsigem Grund und umschließen die Festung wie ein Gürtel. Zwischen den drei Hügelplateaus oberhalb der Jantra-Schleife entstanden Wohnbezirke für Asenen, Juden und Franken. Allein im Stadtteil Assen gibt es ein halbes Dutzend sehenswerte Kirchen zu erkunden. Die berühmtesten Bauten in der Altstadt wurden von Nikola Ficew entworfen, der den neuzeitlichen Baustil der nationalen Wiedergeburt maßgeblich prägte. Von Ficew stammt auch das Wirtshaus des Hadzi Nikoli, das heute Weinbar, Restaurant und ein ethnografisches Museum beherbergt.

Nach der Zerstörung Tarnowos durch die Osmanen im Jahr 1393 zogen sich Klerus und Aristokratie ins vier Kilometer entfernte Arba­nassi zurück. Geschickt und lautlos nutzten die Flüchtlinge die bereits vorhandenen Verkehrs- und Kontaktstrukturen und bauten den kleinen Ort zu einem strategischen Knotenpunkt des Handels auf dem Balkan aus. Die stattlichen Herrenhäuser und architektonisch geformten Brunnen aus dem 16. und 17. Jahrhundert bezeugen eindrucksvoll den ökonomischen Wohlstand der privilegierten Bewohner jener Zeit. Den besten Blick über das Balkangebirge hat man übrigens vom Hotel Arbanassi-Palast, der ehemaligen Residenz Todor Schiwkows, der von 1954 bis 1989 Staatschef von Bulgarien war. Das malerische Dorf blieb der Nachwelt in seiner ganzen Schönheit erhalten und gilt als Schmuck-stück architektonischer Meisterleistung (Weltkulturerbe der Unesco). Sehenswert sind das Dragostinow-, Konstantzaliew- und Hadjiilew-Haus sowie die sieben christlich-orthodoxen Kirchen. Besonders eindrucksvoll ist die Metropolitenkirche Geburt Christi aus dem 17. Jahrhundert mit reich verzierten Innenwänden und Deckengemälden, die auf Kirchgänger und Besucher eine starke Wirkung ausüben. Wer in den mit Gold und Silber geschmückten Gotteshäusern andächtig den stimmgewaltigen Chorälen der orthodoxen Freizeitmönche lauscht, versteht, dass der Ort ein Zentrum der orthodoxen Christen gewesen sein muss.

Vielleicht hätte Christo seine Freude daran gehabt, jedes einzelne Gebäude von Etara in weiße, grüne oder rote Tücher zu hüllen. Das originellste Freilichtmuseum Bulgariens liegt unweit von Weliko Tarnowo in der Nähe von Gabrowo, dem Geburtsort des weltbekannten Verhüllungskünstlers. Etara pflegt alte Volksbräuche und zeigt seinen Besuchern traditionelle Handwerkskunst. Wer einmal hier ist, kann auch hinauf zum Sokolski Kloster „Maria Himmelfahrt“ wandern. Das Nonnenkloster bot Haijduken (bulgarischen Freiheitskämpfern) Schutz gegen die Osmanen und bietet heute Touristen bescheidene Unterkünfte in schlicht eingerichteten Klosterzellen. So richtig historisch wird es auch im Balkandorf Bozhentsi, das ebenfalls zum Unesco-Weltkultur­erbe gehört. Dort scheint die Zeit stehengeblieben zu sein. Rechts und links der kopfsteingepflasterten Gassen stehen uralte Häuser und drei original bulgarische Tavernen, in denen traditionell-bulgarischer Joghurt sowie eine köstliche Bohnensuppe nach Art des Hauses serviert werden. Freunde der Holzschnitzkunst werden sich über das Daskolow-Haus in Trjawna freuen. Dort fertigten zwei Meister unabhängig voneinander zwei bezaubernde Zimmerdecken mit jeweils einer Sonne in ihrer Mitte an.

Bulgariens Hauptstadt Sofia ist eine Kulturmetropole mit einer bewegten Geschichte. Konstantin der Große bezeichnete „Serdica“ als sein Rom. Das war im 4. Jahrhundert und galt der Siedlung, die seinerzeit das Zentrum der römischen Provinz Thrakien bildete. Die Rotunde der Kirche St. Georgi zeugt davon. Sie ist das älteste Gebäude der Stadt, wurde auf den Ruinen einer römischen Thermenanlage erbaut und steht in einem weitläufigen Innenhof, umgeben von Präsidentenpalast und Luxushotel. Abgesehen von der tristen Vorstadt und den stalinistischen Protzbauten gibt es großartige historische Bauwerke, bedeutende Museen, repräsentative Galerien, renommierte Theater und Konzertsäle zu besuchen. Neben all den Sehenswürdigkeiten dominiert das imposante Wahrzeichen der Stadt: die Aleksander-Newski-Kathedrale, Sitz des Patriarchats der bulgarisch-orthodoxen Kirche. Der monumentale Kuppelbau im neobyzantinischen Stil ist jünger als man vermuten möchte. Die fünf Kirchenschiffe und fünf blattgoldverzierten Kuppeln entstanden nämlich erst zwischen 1904 und 1913 nach den Entwürfen des Petersburger Architekten Pomerancew, der durch das Moskauer Kaufhaus „GUM“ bekannt geworden ist. Für Eindruck sorgen auch die von einem russischen Diplomaten in Auftrag gegebene russische Kirche Heiliger St. Nikolai, deren vergoldete Zwiebeltürmchen in den blauen Himmel ragen, und das Nationaltheater Iwan Wasow der Wiener Architekten Helmer & Fellner. Sie haben auch das Kroatische Nationaltheater in Zagreb, das Berliner „Theater Unter den Linden“ und das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg entworfen. Renato Diekmann


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren