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23.07.11 / Die ostpreussische Familie / Leser helfen Lesern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-11 vom 23. Juli 2011

Die ostpreussische Familie
Leser helfen Lesern
von Ruth Geede

Lewe Landslied,
liebe Familienfreunde,

unsere Familienberichte sind zumeist Fortsetzungsgeschichten, oft ziehen sie sich über Monate, ja über Jahre hin, und bringen immer wieder Neues ans Licht. Und manchmal sind sie sprichwörtlich schneller als die Post, so auch diesmal. Denn während bei vielen Abonnenten die PAZ noch nicht im Kasten war und unsere Leser erfahren konnten, was sich in Sachen der hübschen Sauciere vom Kurhaus Siegemund ergeben hatte, hielt ich schon ein neues Schreiben von Herrn Christoph Stabe in den Händen, dem Besitzer des schönen Stückes. Und jetzt wird wirklich daraus eine hübsche Geschichte und Herr Stabe hat Recht, wenn er schreibt, dass hier ostdeutsche Historie greif- und erlebbar wird und damit auch nicht ins Vergessen gerät. Schöner lässt sich die Bedeutsamkeit und Bestimmung eines Gebrauchsgegenstandes kaum in Worte fassen. Wenn da von ostdeutscher Geschichte gesprochen wird, hat das schon seine Berechtigung, denn sie beschränkt sich nicht nur auf Ostpreußen. Das Service, zu dem die Sauciere gehörte, wurde nämlich nicht in der berühmten KPM in Berlin hergestellt, wie ja zu vermuten war – und das Signet mit der Krone ließ eigentlich daran keine Zweifel aufkommen, wie sich unsere Leser anhand der Abbildung selber überzeugen können –, aber durch Recherchen und Informationen aus der Leserschaft kristallisierte sich dann heraus, dass die Produktion in der „Krister Porzellan-Manufaktur“ erfolgt sein muss: ein altes schlesisches Werk, das 1831 in Waldenburg gegründet wurde. Die Familie Siegemund hat dann wohl bei Tietz & Kranz in Königsberg das Service bestellt – es muss um 1926 gewesen sein – und in ihrem Kurhaus in Rudczanny in Gebrauch genommen. Dass es nach Krieg und Vertreibung in einem Trödler­laden im pommerschen Stolp lan­dete und schließlich von dem Nachgeborenen eines Königsbergers entdeckt wurde, bringt weitere ostdeutsche Facetten in diese Familiengeschichte. Die nicht wenige Leserinnen und Leser interessiert hat, wie die Informationen beweisen, die Herr Stabe auch in Bezug auf die Familie Siegemund erhielt: „Die teilweise traumatisch-dramatische Geschichte der Familie Siegemund, gekennzeichnet durch Tod, Verschleppung nach Sibirien, Vertreibung und Neuanfang in Mittel- und Westdeutschland kann hier nur eine kurze Erwähnung finden und mag exemplarisch für viele ostdeutsche Familienbiografien stehen.“ Und in Bezug auf seine eigene, in der neben Königsberg auch Allenstein und Pr. Eylau eine Rolle spielen, hat sich durch die Veröffentlichung in unserer Zeitung Überraschendes ergeben, wie Herr Stabe schreibt: „Eine Leserin fragte, ob unsere Familie denn mit dem Molkereibesitzer Stabe aus Nikolaiken verwandt sei, der in der Schönberger Straße ansässig gewesen sein soll. Da dies bei uns nicht bekannt war, bin ich für Hinweise und Anregungen natürlich sehr dankbar.“ Ach ja, auch über das Königsberger Haus Tietz & Kranz möchte Herr Stabe mehr wissen. Die Firma gehörte zu den bekanntesten Handelshäusern der Stadt und war im Besitz von A. Lau und Max Pantel. Sitz der Großhandlung war Knochenstraße 36, die Verkaufsgeschäfte befanden sich in der Kneiphöfischen Langgasse und auf dem Steindamm. (Christoph M. Stabe, Volkartstraße 46 in 80636 München, Telefon 089/12021984, E-Mail: christoph.m.stabe@gmx.de)

Das also hat bis jetzt ein kleiner Wunschzettel erbracht, beim Deutschlandtreffen in unseren Familienbriefkasten gesteckt – aber Erfurt bewirkte noch viel mehr. „Es klingt wie ein Märchen und mit viel Fantasie fast wie ein Wunder, was ich in Erfurt erlebt habe“, schreibt unser Landsmann Erwin Feige, und als ich seinen so liebevoll geschilderten Bericht las, konnte ich ihm nur beipflichten. Und unseren Leserinnen und Lesern wird es wohl ebenso ergehen, denn ich möchte ihn in voller Länge wiedergeben. Ein Dankeschön an die Stadtgemeinschaft Tilsit, die uns die Aufzeichnungen von Herrn Feige als „ein typisches Beispiel für die vielen überraschenden Begegnungen in der ostpreußischen Familie“ übermittelte. Und so schildert Erwin Feige aus Chemnitz das, was am Sonnabend, dem 28. Mai 2011, in der Erfurter Messehalle geschah:

„Es war schon nachmittags, ich setzte mich zum wiederholten Male an die lange Tafel der Tilsiter Teilnehmer und schaute mir die Neueintragungen auf den ausliegenden Teilnehmerlisten an, um nach alten oder neuen Bekannten oder auch Verwandten zu suchen. Auf einer dieser Listen bemerkte ich, dass sich ein Teilnehmer geirrt hatte. Statt einer Tilsiter Wohnadresse hatte er den Ort ,Kellminen‘ aus dem Kreis Tilsit-Ragnit eingetragen. Da meine Verwandtschaft mütterlicherseits aus Kellminen und Großwingen stammt und wir – meine Mutter mit mir und drei Geschwistern – nach der Ausbombung bereits beim ersten Luftangriff im Juli 1944 für einige Monate in Kellminen bei Tante und Onkel Reischuk lebten, war ich neugierig geworden. Ich begrüßte meinen Landsmann Siegfried Scherweit und weil wir beide gleichen Alters sind, konnten wir schnell Namen und Standorte der Höfe abklären. Da meine Großeltern Saparautzki in Großwingen lebten, fiel neben Reischuk ständig dieser Name. Ganz so nebenbei weist Siegfried auf eine neben ihm sitzende Landsmännin hin, die auch aus Kellminen stammt. Edeltraut Ratay, geborene Ennulat, sagt dann ganz ruhig: ,Mit Familie Saparautzki sind wir doch gemeinsam nach dem Überrollen der russischen Front zurück in unsere heimatlichen Dörfer getreckt. Da das Haus von Saparautzkis unbewohnbar war, zogen sie in unser Haus nach Kellminen und lebten etwa ein bis zwei Jahre mit uns unter einem Dach.‘“

So erfuhr also Herr Feige, was damals in den Wirren der Zeit geschah, denn Frau Ratay berichtete ihm auf seine gezielte Nachfrage sehr genau als untrügliche Zeitzeugin über die tragischen Schick­sale seiner Verwandten, von denen nur die damals 13-jährige Ruth und die dreijährige Brita überlebten. Die Jüngere kam nach dem Tod ihrer Mutter in das Waisenhaus nach Tilsit und von dort 1948 in die damalige Ostzone zu Elly Feige, der Mutter von Erwin Feige. Diese nahm auch Ruth als Letzte der Familie Saparautzki auf, als diese 1947 aus Litauen, wohin die Elternlose aus Kellminen gegangen war, ausgewiesen wurde. Beide sind heute verheiratet, Brita lebt in Heiligenhafen, Ruth als Mutter von sechs Kindern bei Regensburg. Interessant war es für Erwin Feige, festzustellen, wie Ruth und die einige Jahre jüngere Edeltraut die Zeit, die sie gemeinsam unter Russenherrschaft in Kellminen verbrachten, verkraftet haben. Bei Ruth sind noch heute traumatische Folgen spürbar, Edeltraut hat als erst Achtjährige alles mit Kinderaugen gesehen, erlebt und gehört und die Geschehnisse anders registriert. Jedenfalls hat das Deutschlandtreffen die Wege dieser beiden Frauen nach 75 Jahren wieder zusammengeführt, denn Herr Feige hat eine Tochter von Ruth – sie heißt auch Edeltraut, Zufall oder nicht? – bereits unterrichtet, die für eine direkte Kontaktaufnahme sorgen wird. Für Erwin Feige aus Chemnitz aber ist diese Weichenstellung, die das Schicksal da in Erfurt vorgenommen hat, schon ein kleines Wunder, obgleich sie auf einer Fehleintragung in der Teilnehmerliste beruht. Aber auch Märchen haben ja immer einen realen Hintergrund. Wir danken unserem Landsmann und der Tilsiter Stadtgemeinschaft für diesen Bericht, der aufzeigt, wie wichtig auch heute die Vertriebenentreffen sind.

Bleiben wir gleich im nördlichen Ostpreußen und kommen noch einmal auf die Suche des in England lebenden Bruno Smeilus nach seinem ostpreußischen Heimatort Schillen und damit nach möglichen Verwandten zurück. In besonders intensiver Weise nahm sich der Kirchspielvertreter von Schillen, Herr Walter Klink, dieser Sache an. Er trat sofort mit dem Enkel des Suchenden, Richard Smeilus, in Verbindung, und teilte ihm seine ersten Nachforschungen zu diesem Fall mit, die leider noch keine konkreten Hinweise erbrachten. Wir berichteten darüber in unserer Ostpreußischen Familie in Folge 27 der PAZ. Kaum war diese Mitteilung erschienen, sandte uns Herr Klink zur weiteren Information seine bisherigen Unterlagen dazu und die kann man schon als „Akte Smeilus“ bezeichnen, so umfangreich ist inzwischen seine Korrespondenz mit Richard Smeilus geworden. Der Enkel ist geradezu begeistert über das Echo, das unsere Veröffentlichung bewirkt hat, und besonders dankbar für das Engagement von Herrn Klink. Richard teilte ihm mit, dass sein Großvater Bruno im Augenblick sehr krank sei und es Schwierigkeiten mache, mit ihm zu kommunizieren, da der alte Herr fast taub sei und unter grauem Star leide. Richard Smeilus hatte auch eine Zuschrift von unserm Landsmann Günther Lotzkat mit mehreren Listen und Karten über das betreffende Gebiet erhalten. Richard ging mit seinem Großvater die Informationen durch und der alte Herr glaubte nun, Schattenau/Schattlauken als seinen Herkunftsort ausfindig machen zu können. Dieses teilte Richard sofort Herrn Klink mit und eine neue Suchaktion begann, die nun in den Kreis Insterburg führte, denn Schattenau gehörte zum Kirchspiel Grünheide – und einen solchen Namen hatte Richard als Wohnort von Brunos Eltern angegeben, dort hatte er seine Jugendzeit verbracht. So ist zuerst einmal das richtige Grünheide gefunden, denn es gab in Ostpreußen 13 Orte mit diesem Namen. Die Kreisgemeinschaft Insterburg Stadt und Land konnte Herrn Klink mitteilen, dass in ihrer Kartei ein Landwirt August Smeilus in Grünheide verzeichnet sei und übermittelte ihm eine Kopie. Herr Klink meinte aber, dass er zwischen dem 1874 geborenen Landwirt, der nach dem Krieg in Dörlinbach, Kreis Lahr gemeldet war, und der Familie des Bruno Smeilus keine Verbindung sehe, und teilte dies auch dem Enkel mit. Die Korres­pondenz ist zuerst einmal unterbrochen, da Herr Klink zusammen mit zwei Landsleuten im VW-Bus nach Schillen gefahren ist. Als er dies Richard mitteilte, kam sofort die Antwort aus England: „Ich wünsche Ihnen eine glückliche Zeit bei Ihrem Besuch in Ostpreußen. Ich würde gerne dorthin gehen, um das Land meiner Vorfahren zu besuchen, und ich weiß, Bruno möchte auch zurück. Leider erlaubt seine Gesundheit nicht, dies zu tun. Derzeit bleibt eine solche Reise ein ferner Traum für mich.“ Vielleicht kann ihn sich Richard Smeilus einmal erfüllen. Dass sich die Landsleute seines Großvaters so für ihn engagieren, hat ihn jedenfalls mit Dankbarkeit erfüllt. Und je intensiver er sich mit seiner Herkunft beschäftigt, desto mehr Mosaiksteine finden sich. So erinnert sich Richard, dass sein Großvater ihm einmal erzählt hatte, dass ein Onkel von ihm von einem Zug überfahren wurde. Damals muss Bruno Smeilus etwa sechs Jahre alt gewesen sein – es war also um das Jahr 1930, als dieser Bruder seiner Mutter von einem Zug der Bahnstrecke Insterburg–Tilsit–Ragnit erfasst und getötet wurde. Das Bild von dem toten, im Schnee liegenden Onkel hatte sich in ihm eingeprägt. Vielleicht erinnern sich ältere Landsleute an dieses Ereignis? Da jetzt auch der Ort Grünheide mit ziemlicher Sicherheit feststeht und Schattenau zu diesem Kirchspiel gehört, können sich nun vielleicht ehemalige Schulkameraden an den 1925 geborenen Bruno Smeilus erinnern. Wir bleiben jedenfalls weiter am Ball. Und senden für heute herzliche Grüße nach England zu Richard Smeilus und seinem 83-jährigen Großvater, der seine Heimat nie vergessen hat, die wir ihm nun dank unserer helfenden Landsleute näher bringen können. (Anschrift von Mr. Richard Smeilus, 14. Priory Road, The Grove, Bridgnorth, Shropshire, England, WV15 5EJ, Telefon 07807622298, E-Mail: benauld78@hotmail.com)

Eure Ruth Geede


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