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30.07.11 / Wo die »Titanic« gebaut wurde / Die Werft und die Gebäude, in denen das Schiff gezeichnet wurde, werden zum Erlebnispark ausgebaut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-11 vom 30. Juli 2011

Wo die »Titanic« gebaut wurde
Die Werft und die Gebäude, in denen das Schiff gezeichnet wurde, werden zum Erlebnispark ausgebaut

Noch wird an dem Erlebnispark fleißig gehämmert und gewerkelt. Zum 100. Jahrestag des Unterganges der „Titanic“, am 14. April 1912, soll alles fertig sein. Bis dahin haben die Verantwortlichen noch ein bisschen Zeit. Allerdings gewähren sie heute schon einen Einblick, was die Besucher dereinst zu erwarten haben.

Ein ganz normaler Dienstagvormittag am Hafen von Belfast außerhalb der Touristensaison. Gut 20 Leute warten allein oder in kleinen Grüppchen auf einen Rundgang durch das Gelände derjenigen Werft, auf der vor 100 Jahren die „Titanic“ als damals größtes Schiff der Welt vom Stapel lief. Ein Schiff, das vier Tage nach Beginn seiner Jungfernfahrt an einem Eisberg vorbeischrammte, zwei Stunden und 40 Minuten später versank und dabei bis zu 1517 Menschen mit in die Tiefe riss. Seither ist der Mythos dieses Dampfers unvergessen. Die Menschen, die hier zusammenstehen, wollen mehr von diesem Mythos ergründen.

Woher sie denn kommen, will die junge Touristenführerin Bethany wissen. England, Australien, Irland, Kanada, Italien, Deutschland, Österreich wird ihr zugerufen. Gesprochen wird bei der zweieinhalbstündigen Führung englisch.

Wenig später tritt die Gruppe in einen Raum des alten Werftgebäudes, den viele schon auf historischen Fotos gesehen haben. Es ist der Zeichensaal, in dem die Pläne für den Schiffsgiganten ausgearbeitet wurden. Heute stehen dort Stellwände mit alten Fotos, zeigen, wie die „Titanic“ gebaut wurde, wie sie Stück für Stück wuchs, schließlich vom Stapel lief und auslief nach Southampton, wo ihre verhängnisvolle Jungfernfahrt begann.

Näher als in Belfast kann man dem Unglücksschiff nicht sein, besonders nahe ist man ihr hier, auf dem Gelände der Werft. Das Unternehmen Harland & Wolff gibt es noch heute, inzwischen recken sich moderne Werftkräne in den Himmel. Schiffe werden dort zwar nicht mehr gebaut, aber noch immer repariert.

Es ist ein Glückfall, dass die Werft bei ihrer Modernisierung die alten Gebäude nicht einfach abriss, sondern östlich davon neue baute. So sind die alten noch immer erhalten, auch die Anlagen, auf denen der Schiffsgigant wuchs. Zwar bröckelt der Putz von den Wänden, die teilweise tiefe Risse und Löcher haben, aber all das soll spätestens bis zum 14. April 2012 beseitigt sein, wenn der Untergang der „Titanic“ 100 Jahre zurückliegt und Belfast des Ereignisses gedenkt.

Mit einem großen Interesse von Besuchern aus aller Welt rechnen die Nordiren. Es wird wohl ein sachkundiges Publikum sein, denn die Zahl derjenigen, die noch immer der Faszination dieses Schiffes erliegen und die jede Chance nutzen, Informationen zu bekommen, ist über die zehn Jahrzehnte seit dem Untergang nicht kleiner geworden.

Man merkt es an den Touristen in Bethanys Gruppe. Viele nicken bei ihren Ausführungen, sie kennen Namen von seinerzeit Beteiligten, Orte und Zahlen. Was sie jetzt mit all ihrem Wissen noch wollen, ist wohl die Authentizität, das Gefühl unmittelbar am Schauplatz gewesen zu sein. Ergriffen stehen sie an dem großen Trockendock, in dem das Schiff nach dem Stapellauf ausgerüstet wurde, sie sehen im Pumpenhaus alte Werkzeuge, mit denen früher Werftarbeiter hantiert haben. Und sie blicken ehrfürchtig zu einem neuen Gebäude empor, das dort wächst, wo früher einmal der Schiffsgigant entstand.

Im Innern des vierflügeligen Gebäudes stehen noch Gerüste und arbeiten Handwerker, aber das Äußere ist bereits gut zu erkennen. Jeder der Flügel aus einzelnen Metallplatten reckt sich in der Form eines Schiffsbugs nach oben, jeder ist genau so hoch, wie der Bug der „Titanic“ damals über den Köpfen der Werftarbeiter aufragte. Der Eindruck ist überwältigend.

„Wer das Gebäude betritt, kommt erst einmal an Blaupausen der ,Titanic‘ vorbei“, erläutert Projektmanager Noel Molloy das Konzept, das bis spätestens März 2012 verwirklicht sein soll. Dass dieser Termin gehalten wird, daran bestehen bei einer Begehung des Baus eigentlich keine Zweifel.

„600 Menschen pro Stunde können sich hier mit der ,Titanic‘ beschäftigen“, kündigt Molloy an und es ist zu spüren, wie sehr er sich mit dem Projekt identifiziert. Es wird kein reiner Rundgang durch ein Museum, in dem nur Ausstellungsstücke in Vitrinen liegen, moderne Multimedia-Technik wird es ermöglichen, sich ganz persönliche Details der Pläne herauszuzoomen und Informationen zu erhalten, die individuellen Interessen entsprechen. Sogar die Gerüche einer Werft vor 100 Jahren sollen den Besuchern in die Nase steigen.

Mit jedem Deck, das die Besucher aufwärts steigen, rückt das virtuelle Schiff einen Schritt der Vollendung näher, die Besucher können es auf großen Displays vom Maschinenraum bis zur Brücke erkunden.

Dann beginnt die Jungfernfahrt, gezeigt werden die einzigen Fotos vom Alltagsbetrieb des Schiffes, die den Untergang überstanden haben. Sie nahm Father Frank Brown auf, ein Geistlicher, der den ersten Teil der Jungfernfahrt von Southampton aus mitmachte, aber schon im irischen Hafen Cobh wieder von Bord ging. So blieben seine Fotos vom Bordbetrieb erhalten.

In derjenigen Abteilung, die sich mit dem Untergang beschäftigt, sinkt die Temperatur, der Raum beginnt aufgrund optischer Effekte zu fließen, Morsecodes werden zu hören sein und die Stimmen von Überlebenden erzählen, was sie in diesen zwei Stunden und 40 Minuten zwischen der Kollision und dem Untergang durchlebt haben. Ein rekonstruiertes Rettungsboot gibt einen Eindruck davon, wie die viel zu wenigen Rettungsmittel aussahen, denen sich „Frauen und Kinder zuerst!“ anvertrauten.

Dann wieder gibt es eine Datenbank, in der die Namen von Menschen aufgeführt sind, die überlebten oder aber mit dem Schiff untergingen. So können Nachfahren forschen. Auch die noch immer ungelösten Rätsel um den Untergang und die vielen Gerüchte um die „Titanic“ werden dargestellt.

Man spürt bei der Beschäftigung mit dem Bau des Unglücks­schiffes, wie sehr Belfast vor 100 Jahren eine aufstrebende Industriestadt war, ein Ort, an dem die modernste Technik der damaligen Zeit angewendet wurde, um die größten Schiffe der Welt zu bauen. In unseren Tagen ist die Stadt wieder im Aufbruch. Rund um die alten Werftanlagen, das moderne Museum und die alte Slipbahn für den Stapellauf wächst das neue Stadtviertel „Titanic Quarter“ mit Wohnungen, Geschäften und Sportboothäfen. Ohne aber die letzten Spuren des legendären Dampfers zu überdecken und zu vergessen, wie viele Menschen damals den Tod fanden.   Eigel Wiese


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