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30.07.11 / Nicht enden wollende Träume / Zwillinge verarbeiten traurige Erlebnisse während und nach dem Krieg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-11 vom 30. Juli 2011

Nicht enden wollende Träume
Zwillinge verarbeiten traurige Erlebnisse während und nach dem Krieg

Wer schläft, den erwartet nicht nur Erholung für Körper und Geist, es winken auch Träume. Doch die sind nicht grundsätzlich positiv, denn so mancher Traum ist ein Albtraum, in dem Ängste verarbeitet werden. Die aus Ostpreußen stammenden Zwillinge Christel und Alice müssen eigentlich Angst vor dem Schlaf haben, denn immer dann, wenn das Unbewusste das Zepter übernimmt, droht ihre Vergangenheit wieder lebendig zu werden.

Christel Wels hat die Initiative ergriffen und sich ihr Unterbewuss­tes bewusst gemacht, indem sie ein Buch geschrieben hat. In „Wir hatten immer Angst …  – Die Kriegsschicksalsjahre der Zwillinge Christel und Alice Faust in Ostpreußen 1945 − 1948“ verarbeitet sie all das Schlimme, was ihr und ihrer Schwester widerfuhr und was die beiden inzwischen über 80-jährigen Frauen bis heute verfolgt. Die aus dem Kreis Labiau Stammende schildert, wie sie und ihre Familie das Kriegsende auf der Flucht und die Nachkriegszeit als Zwangsarbeiter auf von Sowjets besetzten Höfen erlebten. Da der Vater im Kriegseinsatz war, wenn auch als Koch und nicht direkt an der Front, flohen die damals 14-jährigen Zwillinge nur mit ihrer Mutter, ihrer ein Jahr älteren Schwester Elfriede, dem vierjährigen Bruder Gerhardt und einem polnischen Zwangsarbeiter. Dabei gerieten sie zwischen die Fronten der kämpfenden deutschen und sowjetischen Truppen. Die Sowjets siegten und ließen vor allem die deutschen Frauen spüren, was das bedeutete. Vergewaltigung und der ständig drohende Tod wurden für die beiden Mädchen trauriger Alltag, auch wenn sie ständig versuchten, nicht zu den vielen oft namenlosen deutschen Opfern am Weges­rand der Geschichte zu werden. Zwar war ihr Streben erfolgreich, doch das verdankten sie auch dem Zufall, zu oft waren sie dem Tode nahe. Der Vergewaltigung entkamen sie jedoch nicht.

Leider schreckt das Titelbild von der Lektüre ab. Die naive Malerei zeigt ein Fluchtbild, doch der Umstand, dass es so aussieht, als ob die vor einer am Boden liegenden Leiche knieende Frau lächelt, ist irritierend. Auch befürchtet man, dass der Inhalt des Buches ähnlich „naiv“ ist wie das Titelbild, doch weit gefehlt: Christel Wels gelingt es hervorragend, die richtigen Worte für das Erlebte zu finden. Der Leser leidet mit den beiden Schwestern mit, bewundert deren Überlebenswillen und ist von der Unmenschlichkeit und der Willkür, die damals herrschte, erschüttert. So nimmt beispielsweise die Mutter der Mädchen nach Vergewaltigung und Deportation der ältesten Tochter durch die Sowjets drei Waisenkinder auf, um deren Versorgung sich Christel und Alice mit kümmern. Doch trotz aller Widrigkeiten wächst die nun größere Familie zusammen – bis die beiden jüngsten Waisenkinder von Sow­jets einfach abgeholt werden. „Wir hatten immer Angst …“ hilft, dass das Unrecht, das deutschen Frauen und Kindern gegen Ende des Zweiten Weltkrieges und noch danach widerfahren ist, nicht in Vergessenheit gerät.   Bel

Christel Wels: „Wir hatten immer Angst … – Die Kriegsschick­salsjahre der Zwillinge Christel und Alice Faust in Ostpreußen 1945 − 1948“, Stramm, Michaelisdon 2011, 180 Seiten, broschiert, 12,90 Euro


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