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06.08.11 / »Bundesregion Königsberg« geplant / Moskaus Exklave soll aus der »Nordwestlichen Bundesregion« um Sankt Petersburg herausgelöst werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-11 vom 06. August 2011

»Bundesregion Königsberg« geplant
Moskaus Exklave soll aus der »Nordwestlichen Bundesregion« um Sankt Petersburg herausgelöst werden

Vergangenen Sonntag, dem diesjährigen „Feiertag der russischen Kriegsmarine“, weilte Präsident Dmitrij Anatoljewitsch Medwedjew in Königsberg, dem „westlichsten Vorposten Russlands“. Einen Tag später wartete die Moskauer „Nesawisimaja Gaseta“ (Unabhängige Zeitung) mit der Sensation auf, dass der Präsident dem Gouverneur der Region, Nikolaj Zukanow, die Bildung einer „Bundesregion Königsberg“, russisch „Kenigsbergskij federalnyj okrug“, versprochen habe, samt der Zusage, er werde „Dynamik bei der Lösung dieser Frage entwickeln“.

Im Grunde schmückten sich Präsident und Gouverneur mit fremden Federn, aber das nahmen die eigentlichen Ideengeber um Solomon Ginsburg, Abgeordneter der regionalen Duma, nicht weiter übel. Ihr Aktivist, Duma-Abgeordneter Konstantin Doroschok, gab sich zufrieden: „Das ist positiv, denn daraus wird eine Autonomie im Gebiet Kaliningrad erwachsen. Um den Begriff autonome Region wird es in der Föderation einigen Ärger geben, aber früher oder später wird man sich damit abfinden. Schon heute kommen Investoren nicht nach Kaliningrad, legen Unternehmer hier kein Geld an, weil das Gesetz über die Ökonomische Sonderzone 2016 ausläuft, so dass unsere Wirtschaft gegen­über dem restlichen Russland ins Hintertreffen gerät und nicht konkurrenzfähig ist.“

Königsberg ist ökonomisch so unter Druck, dass Gouverneur Zukanow dem Präsidenten ultimative Forderungen stellte: Das Bern­steinkombinat, einstiges Kronjuwel der Region, ist „praktisch heruntergewirtschaftet“, es soll entweder privatisiert oder der regionalen Regierung überantwortet werden. Unbedingt muss jene Bürde schwinden, die russische Medien derzeit deutlich nennen: „Es muss eine Verteidigung der regionalen Wirtschaft gegen die Willkür von Bundesbeamten her, die den ökonomischen Aufschwung stören.“ Die beste „Verteidigung“ wird der Status als Bundesregion sein, dann genießt man ökonomische Entscheidungsfreiheit, die Wohlstand und Arbeitsplätze bringt. Königsberg mag klein sein, aber sein Selbstvertrauen ist staunenswert groß.

Noch gehört Königsberg zur „Nordwestlichen Bundesregion“ um Sankt Petersburg, die immerhin 1,6779 Millionen Quadratkilometer misst und 13,5 Millionen Einwohner zählt, damit aber noch hinter den Spitzenreitern Fernost und Sibirien zurücksteht. Jeder dieser Riesen umfasst Dutzende „Föderalsubjekte“, darunter ganze „Republiken“, die alle größer als das winzige Königsberg sind, was dem herzlich egal ist. Dort zählt allein die Selbstständigkeit, die per definitionem garantiert ist: „Eine Bundesregion ist eine administrativ-territoriale Einheit, direkt unterstellt den staatlichen Zentralorganen, ohne Föderalsubjekt zu sein.“ Königsbergs künftiger „Sonderstatus“ wird die Region „vom Strom bürokratischer Instruktionen“ bewahren, wofür Gouverneur Zukanow in seiner neuen Rolle als „russischer Vize-Präsident für Verwaltungsfragen“ sorgen soll.

Niemand zweifelt in Königsberg am Gelingen dieser schönen Aussichten. Die einzige Frage ist, wie rasch sie realisiert werden. Die bislang letzte Bundesregion im Nordkaukasus wurde am 19. Januar 2010 von Medwedjew per Ukas aus der Süd-Bundesregion herausgelöst. Derzeit rätselt Russland, ob die „hauptstädtische Bundesregion“ im aus den Nähten platzenden Moskau oder die „Bundesregion Königsberg“ eher entsteht. Mit einiger Sicherheit wird Königsberg das Rennen machen, weil es seinen geografischen Nachteil in einen politischen Vorteil verwandelte: Die Region ist eine russische Exklave, umgeben von den EU-Staaten Litauen und Polen. Die EU hat Sorgen mit ihren Außengrenzen im Osten, die durch bevorstehende Sportereignisse – Fußball-WM in Polen und der Ukraine – zusätzlich belastet werden. In einer solchen Lage handelt Königsberg wie ein souveräner Staat, wo Mitte Mai 2011 die obersten Grenzschützer der EU und Russlands, Ilkka Laitinen und Wladimir Pronitschew, ein Kooperationsabkommen für 2011/12 signierten. Kleiner Grenzverkehr mit Polen und Litauen und visafreie Tagesreisen sind im Gespräch. Vermutlich noch diesen Monat wird ein Abkommen über Grenzkooperation mit Polen unterzeichnet, was Königsberg und ganz Russland als Vorleistung für Visumfreiheit im Umgang mit der EU gewertet sehen wollen. Zu Medwedjews Kummer denkt die EU nicht daran, allen Russen die Visa zu erlassen. Sie hat nur die bestehenden Vorschriften zur Visumerteilung gemildert und die Visagültigkeit auf fünf Jahre verlängert. In dieser Situation hat der Abgeordnete Ginsburg einen listigen Zug angeregt, der erstaunlicherweise in das Gesetzesprojekt der Bundesregion Eingang fand, obwohl er Zweifel an Ginsburgs staatsbürgerlicher Loyalität weck­te: „Es wäre nicht schlecht, in einseitiger Weise die Einreisevisa für EU-Länder aufzuheben, das heißt unabhängig von Russland.“ Zum Entsetzen von Moskauer Vertretern eines harten politischen Kurses agiert Königsberg schon „nicht mehr als einzelne Bundesregion, sondern als Einzelstaat“. Das finde Zustimmung in Deutschland, Polen und den Baltenstaaten, die daran interessiert sind, „dass sich das Gebiet Kaliningrad mit der Zeit immer mehr von Russland absondert“. Was natürlich Unsinn ist, wie gerade Präsident Medwedjew weiß: „Wir erwarten und hoffen, dass unsere Partner, vor allem die in der Europäischen Union, dasselbe Gefühl von Verantwortlichkeit wie wir zeigen. Die Aufgabe mit den Visa ist wirklich lösbar, nur hängt diese Lösung nicht von uns ab.“

Tatsache ist, schrieb im Dezember 2008 der Publizist Alexej Denisenkow in einer sehr geistvollen Königsberg-Reportage, dass die Stadt von Mos­kau, Sankt Petersburg und anderen so schäbig behandelt wird, beispielsweise mit überteuerten Fahrkarten für lahme Dampfer nach Sankt Petersburg, dass ihr gar nichts anderes übrig bleibt, als sich an die EU-Nachbarn anzulehnen. In Russland wird das anerkannt, zähneknirschend oder nicht, und scharfsinnig erkannte Ginsburg bereits vor Jahren künftige Alternativen: föderaler Sonderstatus der Region oder deren Verlust, zumal sich, so Denisenkow, allenthalben schon „eine Mischung russischer und westlicher Lebensstile“ zeigt. Wobei der Russe Denisenkow Beobachtungen machte, bei denen man ihm kaum widersprechen mag: „Die Kaliningrader sehen sich mit allem Ernst als die Fortsetzer der Kultur und der Traditionen von Königsberg. In der Region wird alles geachtet, was mit der alten Pregel-Stadt verbunden ist. Die erhaltenen deutschen Häuser werden nicht abgetragen, wie man es beispielsweise mit alten Häusern in Moskau macht, sondern für teures Geld erworben und restauriert. Die neue Königsberger Architektur ist größtenteils ein Abklatsch der alten Königsberger Architektur oder überhaupt der Norddeutschlands. Läden und Gasthäuser tragen deutsche Namen: Oberteich, Frau Elsa, Reichsstraße.“

Lange Jahre hat die offizielle Moskauer Politik Front gegen die Osterweiterung von Nato und EU gemacht. Das war keine Königsberger Politik, denn dort wusste man, was die EU bedeutet, wie nötig Russland Kontakte mit der EU hat, wie rasch sie EU-„Hausaufgaben“ machen muss: Kenntnis von EU-Normen und Standards, Übernahme von EU-Rechtsordnungen, Anbahnung von Kooperationen in Energie, Wirtschaft und Umweltschutz, Einfügung in den EU-Informationsraum und vieles mehr, was Königsberg früher als andere begriffen hatte und nun als neue Bundesregion in eigener Regie umsetzen kann. „Kaliningrad ist das Tor zu Groß-Europa“, schrieb bereits im Dezember 2004 Sergej Kortunow, Vizepräsident der Russischen Außenpolitischen Gesellschaft.

Das ganze Projekt der Bundesregion Königsberg steht weithin im Zeichen Medwedjews, der hier ein ehrliches, aber auch gewagtes Manöver für seine Wiederwahl im März 2012 exekutiert. Sein Hauptgegner wird Premier Wladimir Putin sein, der weiß Gott kein Freund von Westannäherung und Unabhängigkeit à la Königsberg ist. Putin hat sich (noch) nicht zu dem Projekt Bundesregion Königsberg geäußert, dafür ließen sich die üblichen Schreihälse hören: „Bundesregion Ostpreußen Königsberg, künftig neues Bundesland Deutschlands. Was hat man euch dafür geboten?“ „Der nächste Schritt ist Republik Königsberg in der Russischen Föderation, dann Referendum, Abtrennung, Vereinigung mit Deutschland“, „So entlegenen föderalen Subjekten sollte man keinen so hohen Autonomiestatus geben, das schafft nur Probleme“, „Nicht nur Probleme, das ist der Anfang vom Ende“. Und so weiter, aber nicht nur so. Königsberg war in Russland immer berühmt wegen seiner hübschen Frauen – Äußerungen wie die folgende weisen es auch als Heimat kluger Köpfe aus: „Aus allen Kommentaren ist ersichtlich, dass kein einziger Kaliningrader dabei war. Ein Sonderstatus für die Region Kaliningrad ist keine Laune, sondern eine Art zu überleben, dabei die einzig mögliche Art. Die Spezifik unseres Gebiets ist die, dass ohne Sonderpräferenzen seine Ökonomie binnen weniger Monate abstürbe. Was immer hier ein- oder ausgeführt wird, muss beim Zoll deklariert werden und wird mit hohen Abgaben belegt. Dazu die Transitkosten durch Litauen und Belarus. Wo gibt es denn noch so eine Region, wo für eine Reise in eine andere russische Region Auslandspässe und Visa nötig sind? Bei uns entstehen laufend Probleme, die an Ort und Stelle gelöst werden müssen, anstatt zu warten, bis Moskau uns erlaubt, sich zu kratzen. Das können Nicht-Kaliningrader nicht verstehen. Übrigens: Separatismus gibt es bei uns nicht, aber wenn Russland weiterhin unsere Existenz vergisst, wird es ihn geben.“

Wolf Oschlies

Gespräch in der Schule: „Wer ist der bekannteste Kaliningrader?“ „Immanuel Kant! Zumal sich der Kaliningrader zuerst als Kaliningrader versteht, nicht als Russe.“ Sein Feuilleton hatte Denisenkov mit einem einmaligen Foto illustriert: Es zeigt eine Königsberger Straßenbahn mit einem Transparent „My ne ostrovok Rossii“ (Wir sind kein Inselchen Russlands.)

In den Lehrplänen der Königsberger Schulen gibt es seit geraumer Zeit das Fach „Geschichte West-Russlands“, in dem ganz genau die Geschichte des Ritterordens und des Herzogtums Preußen ausgebreitet werden. In der Umgangssprache heißt Königsberg „Kjonig“, mit Michail Kalinin assoziiert niemand die Stadt.


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