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06.08.11 / Alltag im Niemandsland / Eindrücke aus Transnistrien, einem Staat, den der Rest der Welt nicht als solchen anerkennt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-11 vom 06. August 2011

Alltag im Niemandsland
Eindrücke aus Transnistrien, einem Staat, den der Rest der Welt nicht als solchen anerkennt

Ein braungrüner träge dahinfließender Fluss trennt Moldau von einem Land, das es offiziell gar nicht gibt: Transnistrien hat sich nach dem Zerfall der Sowjetunion mit knapp 600000 Einwohnern für unabhängig erklärt.

Moldauische Soldaten versuchten vergeblich, das Gebiet zu erobern. Seitdem herrscht Waffenstillstand. Transnistrische Grenzer kontrollieren jeden, der rein und raus will, freundlich, aber bestimmt. Die Abfertigung dauert. Anstehen, Einwanderungskarte ausfüllen, warten – wie damals am „antifaschistischen Schutzwall der DDR“ – nur ohne Mauer und Stacheldraht. Wer unerkannt über die Grenze will, könnte den Fluss an vielen Stellen ungehindert mit einem Boot überqueren. Die seit Jahren unterbrochenen Verhandlungen über die Zukunft des Niemandslandes sollen Ende Juni 2011 wieder beginnen (die PAZ berichtete, Folge 27, Seite 2).

In der Glastheke liegen die hausgemachten Teigröllchen, gefüllt mit süßem Frischkäse, Plini und andere russische Leckereien, die die Gäste direkt am Tresen bestellen. Dazu gibt es frisch gebrühten Kaffee, Tee, Wasser oder Säfte. „Mon Café“ hat Mara ihren kleinen gemütlichen Laden mit den braunen Ledersofas an Tiraspols Hauptstraße genannt. An den Wänden hängen alte Fotos von Paris. Mara spricht sogar Englisch. Die 31-Jährige hat Russisch und Literatur studiert und vier Jahre als Lehrerin gearbeitet. „Schlecht bezahlt“, wie sie sagt. Die meisten ihrer ehemaligen Klassenkameraden seien längst weg. „In Moskau, Sankt Petersburg oder anderswo, zum Geld verdienen.“ Russland gibt den Bewohnern Transnistriens auf Wunsch Pässe der Föderation.

Mara sieht ihre Gesprächspartner lange an, wägt ihre Worte ab. Liegt es am Englisch, das ihr nur mühsam über die Lippen kommt, oder an der Sorge, die falschen Leute könnten zuhören. Immer wieder berichten westeuropäische Zeitungen vom Überwachungsstaat Transnistrien, in dem der Geheimdienst alles und jeden bespitzele. „Nein“, sagt Mara nach einer Gedankenpause, „ein freies Land sind wir nicht.“ Aber man könne offen reden. Niemand bekomme Probleme, wenn er oder sie etwas gegen den Präsidenten sage, aber: „Hier bewegt sich nichts. Unser Präsident müsste ausgewechselt werden.“ Die Regierung setze sich „aus wenigen reichen Leuten zusammen, die sich die Gesetze zum Geldverdienen machen.“

Igor Smirnow regiert Transnistrien seit der „Staatsgründung“ vor 20 Jahren. Der allgegenwärtige Sheriff-Konzern, der das Handynetz, einen Fernseh- und Radiosender, Fabriken und Supermärkte betreibt und ein gigantisches Fußballstadion an den Stadtrand gesetzt hat, gehört angeblich seinem Sohn. Neben dem im stalinistischen Zuckerbäckerstil verzierten städtischen Kulturhaus strahlt der Dauerpräsident von einem haushohen Plakat: Überlebensgroß lächelnd schüttelt er dort seinem russischen Amtskollegen Medwedew die Hand. Im Hintergrund schimmert rot der Moskauer Kreml. Nur ein paar Schritte sind es von „Mon Café“ in die Sowjet-union. Der aus rötlichem Stein gehauene Lenin überblickt mit wehendem Mantel in rund 15 Metern Höhe einen weiten, hell gepflasterten Platz, auf dem ein alter T34-Panzer sein Kanonenrohr nach Westen richtet. Große Plakatwände künden vom Sieg der Roten Armee im Zweiten Weltkrieg. Nebenan mahnt eine Inschrift: „Unsere Einheit mit Russland ist unsere Stärke.“ Im ebenfalls aus der Sowjetzeit übrig gebliebenen Kino hat schon die westliche Moderne begonnen. „Fluch der Karibik IV“ kündigt das Filmplakat über dem Flachdach des Betonbaus an.

Mara sieht ihr rund 3500 Quadratkilometer kleines Heimatland mit gemischten Gefühlen. „Hier ist nichts los“: ein schlechtes Kino, ein schlechtes Theater und sonst nur Kneipen, in denen die jungen Leute herumhängen. „Wir haben keine Perspektive.“ Politisch engagiert sich Mara nicht. „Keine Zeit, ich arbeite 13 Stunden am Tag“, sagt sie und beklagt „das niedrige Bildungsniveau und die Lethargie“ im Lande.

„Tiraspol, unsere geliebte Stadt“, verkündet das drei Etagen hohe Plakat schräg gegenüber an einem der vielen sowjetischen Plattenbau-Hochhäuser. Dazu sind die Bilder der orthodoxen Kathedrale mit ihren goldenen Kuppeln, ein Reiterstandbild und andere markante Bauwerke zu sehen. Was auf den ersten Blick wie ein eher satirisches Freilichtmuseum der untergegangenen Sowjetunion er-scheint, nennt sich Hauptstadt. Tiraspol firmiert mit seinen knapp 200000 Einwohnern als Regierungssitz eines Landes, das für den Rest der Welt nicht existiert: Die Nistrische Moldawische Republik kurz PMR, ein 200 Kilometer langer, schmaler Landstreifen am Ostufer des Flusses Dnjestr. „Von Moldau abtrünniges Transnistrien“ nennt das Ausland dieses Gebiet, das sich mit den ehemals georgischen Regionen Abchasien und Südossetien zur Gemeinschaft nichtanerkannter Staaten zusammen geschlossen hat. Die Geschichte erinnert tatsächlich an die der beiden umstrittenen Kaukasus-Territorien. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurden in der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien die Stimmen für einen Anschluss an Rumänien immer lauter. Schließlich spricht man dort fast die gleiche Sprache und hat viele Verwandte im Nachbarland. Zwischen den beiden Weltkriegen gehörte Moldawien − damals als Teil Bessarabiens − schon einmal zu Rumänien. Das Gebiet östlich des Flusses Dnjestr war schon damals sowjetisch. Die Mehrheit der Menschen hier wollte weder zu Rumänien noch zu Moldawien. „Was sollen wir auch dort?“, fragt Mara. „Uns geht es hier besser.“ Wahrscheinlich hat sie Recht. Ein großer Teil der Industrie der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien steht östlich des Grenzflusses. Die Straßen sind glatter, die Häuser in besserem Zustand. Die Arbeitslosigkeit ist – laut offizieller Statistik – deutlich niedriger und die Gehälter sind etwas höher. „Die Moldauer verdienen ihr Geld im Ausland, wir unseres auch hier.“ Warum? „Vielleicht“, überlegt Mara, „sind wir hier weniger faul oder schlauer.“ Robert B. Fishman


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