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06.08.11 / Wörter, die jeder kennt / Liebe zum Russischen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-11 vom 06. August 2011

Wörter, die jeder kennt
Liebe zum Russischen

Ein neues Buch von PAZ-Autor Wolf Oschlies, versehen mit zahlreichen Illustrationen von Schenja Sidorkin, und mit einer geht es auf dem Cover gleich heiter los. Bei den beiden üppigen Matronen handelt es sich um Matrjoschkas. Mütterchen Russland hat keine Barbies hervorgebracht, sondern frauliche Frauen, von der Traktoristin bis zur Dame Fülliges in Fülle. Auch der russische Mann (die nächste Illustration) ist mit Ikone und Samowar, mit seiner Balalaika und seinem Wodka recht gemütlich und umgänglich.

Aber bald lernen wir im Text, wie sehr gerade das Sowjetische der russischen Sprache abträglich gewesen ist. Ehe der Autor nämlich die 222 Wörter alphabetisch auflistet sowie kenntnis- und faktenreich kommentiert, geht er auf rund 120 Seiten dem Geschick der siebtgrößten Weltsprache nach und sieht ihre Bedeutung und ihren Einfluss im Niedergang begriffen, in Osteuropa sowieso, aber auch bei uns.

„Die russische Sprache wurde jahrzehntelang nicht als das Medium russischer Kultur und Literatur angesehen, sondern als der Originalton sowjetisch-stalinistischer Politik!“ Darum blieb sie, auch wenn sie als Band der Einheit im Sowjetreich und seinem Einflussgebiet gedacht war, im Bewusstsein der Untertanen eben doch Unterdrückungsmittel. Von daher ergaben sich anhaltende, selbst den Zerfall der Sowjet­union überdauernde Vorbehalte und Aversionen, die auch durch die günstige Phase der Perestroika Ende der 80er-Jahre kaum gemildert werden konnten.

Wer in der DDR Russisch-Unterricht genossen hat und nicht wie Oschlies das seltene Glück hatte, durch die Hände einer ausgezeichneten Lehrerin zu gehen, der hatte in der Regel noch nach etlichen Jahren null Kenntnisse der Sprache: „Drei Jugendliche stehen mit einem uniformierten Russen zusammen und fragen ihre Lehrerin: ‚Was hat der gesagt?‘ Die Lehrerin: ,Er sagt, er findet es schön, dass ihr bei mir sechs Jahre Russisch in der Schule gelernt habt.‘“ Selbst Erich Honecker hat sich vergeblich bemüht, aber das nicht, weil Russisch an sich schwer wäre, sondern weil er das Deutsche nicht einmal grammatisch sicher beherrschte. Und so laufen Osch-lies’ Beobachtungen auf die zusammenfassende Feststellung hinaus: „Eine Phase, in welcher Deutsche gern und lustvoll Russisch gelernt hätten, hat es zu meinem Bedauern nie gegeben.“

Dabei blicken die sprachlichen Kontakte zwischen Russen und Deutschen auf eine tausendjährige Geschichte zurück. Der Autor erinnert an die Kauffahrer der Hanse in Nowgorod, an die deutsche Beteiligung an der Petersburger Akademie im 18. Jahrhundert und an den Beitrag der Francke’schen Stiftungen in Halle zur Entwick-lung der Slawistik in Deutschland. Gegenseitige Wertschätzung oder auch Gleichgültigkeit gingen erst in antirussischen Polemiken und Hetzen des ausgehenden 19. Jahrhunderts und im Vorfeld des Ersten Weltkriegs unter. Zu dieser Zeit ist der Russland-Enthusiasmus Rilkes bereits als eine Besonderheit anzusehen. Sprachkontakte und Kooperationen in der Zwischenkriegszeit hat es nur anfänglich im militärischen Bereich zwischen den beiden totalitären Systemen gegeben, zielte doch die NS-Ideologie letztlich auf die Verdrängung des als minderwertig erachteten Slawischen.

Im gespaltenen Deutschland hat dann Wolfgang Steinitz mit seinen Lehrbüchern, die teilweise auch im Westen erschienen sind, vergeblich versucht, den Deutschen das Russische schmackhaft und leicht zu machen, scheiterte aber an dem allgemeinen Desinteresse am Russischen auch in der Bundesrepublik.

Das kann man im Nachhinein nur beklagen, liegt doch Russland von Mitteleuropa nicht weit entfernt und gehört geografisch in größerem Maße zu Europa als die Türkei, geistes- und kulturgeschichtlich in jedem Fall. Da wird man die Minimalforderung des Autors auch eher beherzigen, sich doch wenigstens die kyrillischen Buchstaben einmal angeeignet zu haben. Aber zunächst können die 222 russischen Wörter im Deutschen helfen, Zusammenhänge zu verstehen und das Bewusstsein korrigierend zu erhellen.

Lutz Hustig

Wolf Oschlies: „Aeroflot bis Zar – Ein heiteres Sachbuch zu den 222 russischen Wörtern, die ALLE Deutschen kennen“, Wieser Verlag, Klagenfurt 2011, gebunden, 260 Seiten, 12,95 Euro.


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