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13.08.11 / Planet der Ratten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-11 vom 13. August 2011

Moment mal!
Planet der Ratten
von Klaus Rainer Röhl

Bayreuth. August 2011. Festspielhaus. Lohengrin. Eine Wiederaufnahme der skandalumwittterten, vom Publikum mehrheitlich ausgebuhten Inszenierung vom Vorjahr. Beide Hauptrollen, Elsa und Lohengrin, sind neu besetzt. Für die Dauerbesucher der Festspiele so gut wie eine Premiere. Eine Stunde vor Beginn versammeln sich die festlich gekleideten Gäste und beäugen sich. Ist der da, ist der da? Die 1974 Plätze sind bis auf den letzten ausverkauft. Seit sieben Jahren. So lange dauert die Wartezeit für gewöhnliche Interessenten. Weil der Tod nur sehr langsam die Reihen der Dauer-Abonnenten lichtet. Wie immer stehen ein paar junge Leute, ebenfalls im Abendanzug, an der Kasse und warten auf jemanden, der in letzter Minute noch seine Karten abgibt. Sie kaufen auch nach der ersten Pause noch eine für den Rest des Abends, sagt man. Aber niemand gibt an diesem Nachmittag seine kostbaren Karten preis.

Um 16 Uhr Fanfaren vom Balkon des Festspielhauses. Einzug des Publikums. Die rund 2000 Wagner-Liebhaber (Durchschnittsalter 75) zwängen sich in die engen, harten Holzbänke, die meisten haben Sitzkissen mitgebracht. Aus dem unsichtbaren Orchestergraben tönt, unwirklich schön und zart, die Musik der Ouvertüre. Der Orchesterklang ist einmalig, der Dirigent berühmt, die Sänger europäische Spitze, der Chor einzigartig in der Welt. Die Wagnerianer schließen verzückt die Augen, viele behalten sie vorsichthalber gleich geschlossen. Zu viel haben sie in den Jahren schon an missglückten Regieeinfällen gesehen und zu viel auch von dieser Lohengrin-Aufführung des 70-jährigen Hans Neuenfels gehört, der schon 1981 in Frankfurt Verdis Aida als Putzfrau auf die Bühne brachte, den Chor zum Triumphmarsch mit Brathähnchen herumwerfen ließ und 2010 in Bayreuth auch Richard Wagner gegen den Strich bürsten durfte.

Die romantische Oper, von Wagner als untrennbare Einheit von Text und Musik seinen Erben hinterlassen, wurde „entstaubt“, wie man das heute nennt. Gründlich entstaubt. Das sieht so aus: König Heinrich I., der Gründer des deutschen Reiches, ist mit seinem Gefolge, thüringischen und sächsischen Grafen und Rittern nach Brabant gereist, um auch den dort lebenden brabantischen Adel für die Heerfolge im Krieg gegen die Ungarn zu gewinnen, weil Weib und Kind bedroht sind von der „Ungarn Wut“:

Hört! Grafen, Edle, Freie von Brabant! Heinrich, der Deutschen König, kam zur Statt, mit euch zu dingen nach des Reiches Recht. Gebt ihr nun Fried’ und Folge dem Gebot?

Der Chor der Brabanter: Wir geben Fried’ und Folge dem Gebot. Willkommen, willkommen, König, in Brabant

Das war, befand der Regisseur, der Staub. Der musste weg, die Musik durfte bleiben. Da sind wir ja noch dankbar. Wenn die vom Wohlklang des Chors entzückten Wagnerfans bei diesen brausenden Klängen gegen alle Vorsicht die Augen öffnen, sehen sie, dass der Chor aus 80 schwarzen mannsgroßen – Ratten besteht, mit leuchtend rotglühenden Augen, rosafarbenen wabbeligen Pfoten und übergroßen langen Schwänzen. Keiner versteht, was sie da singen. Dafür rasseln einfallslos von Brecht geklaute Erklärungs-Tafeln aus dem Schnürboden herab, Verfremdung! Der weiß Gott älteste Hut bei Brecht, 1924 noch neu. Video-Zeichnungen sollen erklären, wie die Ratten in den Kopf des Regisseurs kamen. Gleich singen sie weiter, die „verstaubten“, aber sehr gut hörbaren Texte und hampeln dazu rattenhaft töricht herum. Beim unvermeidlichen „Heil, König Friedrich!“ tappern sie komisch unordentlich durcheinander und schwenken die überlangen fleischigen Vorderpfoten. Mal treten die Ratten im vollen Kostüm auf, mal ohne Rattengesichter, mal nur mit gelben Smokings, aber Rattenpfötchen. Bei der Hochzeitsszene sind die Frauen schneeweiße Ratten, und sogar Rattenkinder in Rosa ziehen dahin, treulich geführt. Da der Chor in dieser großen und zeitlosen Oper über das Thema Liebe und Vertrauen zwischen Mann und Frau eine überragende Rolle spielt, ist vor lauter Entstauben und Distanzieren für die eigentliche Handlung trotz herrlichster Stimmen der Sänger und überirdisch schöner Akustik kein Platz auf der Bühne. Alles ist rattenhaft und ratlos, die Regie auch, würde ich sagen. Dabei war nicht einmal die Ratten-Idee besonders originell.

Erinnern wir uns, wie das Rattenhafte in Deutschland salonfähig wurde: Zuerst führten die Punker die niedlichen Tierchen als Bürgerschreck auf den Straßen der Großstädte aus, und dann kam Günter Grass mit seiner „Rättin“ und ließ die Zukunft der Menschheit rattenhaft aussehen, ein Ende mit Schrecken. Zum Glück für die Menschheit wurde das Buch ein Flop, ein krakeliger Kratzer im Buch der Literatur. Wie auch die Rattenkostüme aus dem Lohengrin von 2011 einst im Bayreuther Wagner-Museum gezeigt werden, als komische Kuriosa wie die Papp-Wellen aus dem „Rheingold“ und die Kostüme der Walküren von 1876. Das vergeht.

Was aber bleibt, ist der Kampf der linkswabernden Intellektuellen gegen die eigene Geschichte, gegen das Selbstverständnis der Deutschen. Schon zeigen sich die ersten Erfolge. Wir sind unsicher geworden an uns selbst. Arbeiten schon, freiwillig an uns selber Hand anlegend, wie ein auf Selbstzerstörung programmierter Roboter, auf das Vergessen unserer eigenen Identität hin, auf ein Geschichtsgedächtnis, durchlöchert wie das Gehirn eines Alzheimer-Patienten. Ein Experiment der Selbstzerstörung, an dessen Ende wir auf einem Planeten der Ratten leben?

Mit welch rattenhafter Wut wird inzwischen jedes Buch, das früher einmal gelesen wurde, jedes Märchen, jede Sage, jedes Gedicht, das einst in der Schule auswendig gelernt wurde, geprüft. Jedes Lied, jeder Name einer Straße, einer Kaserne oder eines Bahnhofs, jedes Denkmal, ja selbst die Friedhöfe werden untersucht, jedes dörfliche Fest oder Brauchtum, jede Gruppe, sei es ein Schützen-, Trachten- oder Jägerverein untersucht, ob sich da nicht ein Stückchen Tradition, ein Rest Wissen um die eigene Geschichte, ein Hauch Selbstachtung auffinden und anprangern, denunzieren und verbieten lässt. Sind der Feuerwehrball oder die Wahl der Weinkönigin nicht frauenfeindlich, die Studentenverbindungen rassistisch, Feuerwehruniformen militaristisch und die Trachtengruppe deutschtümelnd? Nie sollst du mich befragen. Der Planet der Ratten ist eine Welt ohne Zeit und Raum, ohne Anfang und Ende, ohne das althochdeutsche uuana bistu (Woher kommst du?) und das uuerpistu (Wer bist Du?) unserer Vorfahren, ohne Identität und Vergangenheit – und darum auch ohne Zukunft.

Wie weit sind wir, unter der Dauerberieselung durch Zeitungen, Funk und Fernsehen, schon gekommen mit dem kollektiven Gedächtnisschwund, dem nationalen Alzheimer? Wie soll man sich erklären, dass kurz vor dem Jahrestag des größten Verbrechens der deutschen Nachkriegszeit, dem Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961, also der Verwandlung eines Teils von Deutschland in eine Art KZ für 17 Millionen Menschen, dessen Verlassen oft genug mit dem Tod durch Erschießen bestraft wurde, durch die gezielte Dauerpropaganda der umgetauften SED sowie der von Schule und Medien systematisch erzeugten Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Geschichte ein Fünftel aller Berliner die Errichtung dieser Mauer gut und sachdienlich findet?

Wann wachen wenigstens die Mitglieder der Union auf? Bereitet den Parteitag im November vor, liebe christliche und konservative Parteimitglieder. Lasst Euch nicht in Regionalkonferenzen ruhigstellen. Sondern lest mehr als nur einmal die Rede des früheren stellvertretenden Parteivorsitzenden der CDU, Erwin Teufel, in der ganz klar beschrieben wird, wohin die Reise nicht gehen darf: „Wenn mir, wie bei der letzten Wahl, über eine Million zur FDP wegläuft, dann dort wieder abwandert, aber nicht zurückkommt, und außerdem ebenso viele andere in die Wahlenthaltung laufen, dann ist das doch der Nachweis, dass diese Wähler keine andere Partei – zumindest jetzt noch nicht – wählen können. Sondern die parken buchstäblich und warten auf eine andere CDU.“ Mein lieber Schwan ...


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