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20.08.11 / Nagende Fragen / Zweifel eines Tierarztes

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-11 vom 20. August 2011

Nagende Fragen
Zweifel eines Tierarztes

Manchen Menschen glückt es weitgehend, ihr Leben in Einklang mit den eigenen Idealen und Vorstellungen zu führen, andere tun sich schwer damit. Letztere beobachten ihre sorgloseren Zeitgenossen mit Bewunderung und oft auch mit einer Portion Neid, zumal wenn diese erfolgreich sind. Zu jenen Unzufriedenen gehört der Tierarzt Kälp, ein Einzelgänger, der sich im Gebirgsdorf Attensach im Schwarzwald einen Doppelhof mit einem Bauern teilt. „Kälps Himmelfahrt“ ist der neue Roman des in Berlin lebenden Roman- und Drehbuchautors Michael Wallner überschrieben und erst zum Schluss lässt sich in mehrfacher Hinsicht darüber spekulieren, warum der bizarre Titel gewählt wurde. Die Handlung des kammerspielartigen Stücks zieht sich über rund 14 Tage vor und nach einem Jahreswechsel hin, der noch nicht lange zurückliegt, und sie spielt sich hauptsächlich in dem verschneiten Dorf ab, einem Kaff, wie viele sagen würden. Täglich kämpft sich dort Kälp, der Protagonist, mit Selbstzweifeln und Grübeleien ab, während er unterdessen souverän seinem Beruf nachgeht.

Dabei hatte er sich erst vor wenigen Jahren aus freien Stücken „in die Höhe“ begeben. Allerdings waren die Umstände damals völlig andere. Kälp war seinem inzwischen verstorbenen Bruder, den er liebte und bewunderte, nach Attensach gefolgt. Dieser, ein theologischer Philosoph von internationalem Rang, hatte dort seinen Wohnsitz, weil er zeitweilig die Nähe der Mönche im nahen Benediktinerkloster suchte. Meist jedoch war er weltweit auf Reisen. Unterwegs machte er mit seinen wohltönenden Worten – oder hochtrabenden Phrasen, je nach Auslegung – zahlreiche Eroberungen in der Frauenwelt. Dass der Bruder abwechselnd der Askese und der Ausschweifung zuneigte, beschäftigt Kälp, den Zaudernden, nach wie vor: „Auch ich träume von Wildheit, dachte Kälp, und bin doch gefangen im Eispanzer meiner Ängstlichkeit. Mein Bruder hat mir das Lebendigsein vorgemacht und ist am Leben gestorben. Ich dagegen werde eingehen an Mutlosigkeit.“  

Tags zuvor, so erfährt man zum Auftakt, hat sich in der Nachbarschaft ein Todesfall ereignet. Der Schreiner Nurbrecht war nach einem Sturz auf der Kellertreppe gestorben. Schwer verletzt hatte ihn seine hochschwangere thailändische Frau am Boden liegend aufgefunden und sofort Hilfe geholt, doch es war zu spät. Kälp weiß etwas über den Fall oder hat womöglich sogar selbst etwas damit zu tun; so viel Einblick in die zugrunde liegenden Umstände gewährt der Autor dem Leser. Diesen lässt er dann jedoch mit der Verwunderung darüber zurück, dass der Tierarzt gar nicht daran denkt, zur Polizei zu gehen, um sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Auch fragt man sich, warum Kälp sich gedanklich so wenig mit dem Unglück – oder war es vielleicht doch Mord? – beschäftigt. Kürzlich hat er Bekanntschaft mit dem Feriengast des benachbarten Bauern gemacht, einer Mittvierzigerin aus Wolfsburg, die den Jahreswechsel mit ihrer kleinen Tochter im Dorf verbringen möchte. Diese Frau, obwohl weder charmant noch attraktiv, beherrscht seine Gefühlswelt immer mehr.     

Aber was für ein Mensch ist Kälp eigentlich? Die Frage stellt sich frühzeitig. Michael Wallner sorgt geschickt dafür, dass sie dauerhaft in der Schwebe bleibt. Einige Schlaglichter auf Kälps Persönlichkeit und seine in mancher Hinsicht ungewöhnliche Lebensweise sind es, die zu einem nagenden Verdacht Anlass geben.

Dieses stille, kluge und im Übrigen empfehlenswerte Buch kreist inhaltlich um uralte Fragen, die in unserer heutigen Zeit nur in anderer Form daherkommen. Zuletzt schießt der Autor allerdings über das Ziel hinaus, wenn er sich an dem Thema der zur Qual werdenden Verlockung eines Mannes durch das Weibliche abarbeitet. Dazu führt er die alte, scheinheilige Begründung für die zwangsweise Verhüllung der Frauen in zahlreichen Ländern an: Die Männer wollten sich nicht von ihrer Hinwendung zu Gott durch Frauen ablenken lassen. Es hätte hierzu einer relativierenden Äußerung bedurft. D. Jestrzemski

Michael Wallner: „Kälps Himmelfahrt“,  Roman, Luchterhand Literaturverlag, München 2011, gebunden, 224 Seiten, 18,99 Euro.


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