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27.08.11 / Die letzte Chance / Stolzer Hahn rettete Hedwig

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-11 vom 27. August 2011

Die letzte Chance
Stolzer Hahn rettete Hedwig

Die Katastrophe kündigte sich schon seit längerer Zeit an. Hedwig benahm sich recht merkwürdig. Sie stand einfach nur teilnahmslos am Maschendraht und blickte traurig zum Grundstück des benachbarten Bauern hinüber. Ich mochte Hedwig, mit ihrem schneeweißen Federkleid sah sie viel eleganter aus, als die übrigen Hühner. Pflichtbewusst legte sie jeden Tag ein Ei und lief anschließend gackernd über den Hof. Ab und zu, wenn Frau Bergers Hühner viele Eier legten, schenkte unsere Nachbarin mir ein paar. „Hedwigs Eier schmecken besonders gut“, sagte mein Mann stets nach dem Frühstück. Ich konnte ihm da nur beipflichten.

Doch nun streikte Hedwig – trotzig schlug sie mit den Flügeln und scharrte in der Erde. Gelangweilt pickte sie ein Futterkorn auf und putzte ihr Gefieder. Nachdenklich stand Frau Berger am Zaun und ließ ihre Augen über die Hühnerschar wandern. Ihr Blick verhieß nichts Gutes. Mir kam ein entsetzlicher Gedanke. „Wenn Hedwig nicht spurt, kommt sie in den Kochtopf“, Frau Bergers Stimme klang energisch und unversöhnlich. Ich musste schlucken, mit allem hatte ich gerechnet, doch damit nicht. Flehend sah ich zuerst Frau Berger und dann Hedwig an. „Muss das wirklich sein? Vielleicht ist Hedwig etwas unpässlich“, fragte ich unsicher. „Hedwig ist eine Legehenne! Mein Hühnerhof ist kein Sanatorium für unpässliche Hühner!“

In meiner Verzweiflung wandte ich mich an Hedwig. „Nun komm schon“, sprach ich beschwörend auf die Henne ein. „Leg doch wenigstens ein Ei. Das kann doch nicht so schwer sein“, murmelte ich leise. Hedwig ließ mein Bitten und Flehen ziemlich kalt. Jetzt war guter Rat teuer ...

Auf Hedwigs Frühstückseier wollten mein Gatte und ich auf keinen Fall verzichten. Frau Berger machte nicht den Eindruck, als könnte man sie umzustimmen. Ich  verstehe von artgerechter Hühnerhaltung ungefähr soviel, wie ein Hamster vom Haareschneiden. Mir fehlte jede Idee, was in einem Fall von Legeverweigerung zu tun sei. Frau Berger würde uns keine große Hilfe sein, das stand fest. Mein Mann hatte schließlich die rettende Idee. „Ich kann mir denken, was Hedwig fehlt“, sagte er schmunzelnd und versprach, sich um die einsame Henne zu kümmern. Und so kam es, dass einige Zeit später ein stolzer, schwarzer Hahn würdevoll über Bergers Hühnerhof stolzierte. Hedwig war völlig aus dem Häuschen. Laut gackernd putzte sie kokett ihre kurzen Schwanzfedern und folgte dem aufgeblasenen Hahn auf Schritt und Tritt bei seinem Kontrollgang über den Hühnerhof.

„Das war Hedwigs letzte Chance“, sagte Frau Berger amüsiert und bedankte sich bei meinem Gatten mit einem großen Korb frischer Hühnereier. Ich glaube, von Hedwig  waren auch einige dabei. Helga Licher


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