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17.09.11 / Im satten, linken Dämmerschlaf / In Berlin endet ein geradezu bizarr müder Wahlkampf – Probleme weitgehend ausgeklammert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-11 vom 17. September 2011

Im satten, linken Dämmerschlaf
In Berlin endet ein geradezu bizarr müder Wahlkampf – Probleme weitgehend ausgeklammert

Der Berliner Landtagswahlkampf geht zu Ende. Eine merkwürdige Kampagne: Die drängenden Probleme der bankrotten Metropole spielten kaum eine Rolle, Medien lästern über die „Hallöchen-Operette an der Spree“.

Kurz vor dem Urnengang am Sonntag wirbelte der Berliner Wahlkampf die sicher geglaubten Verhältnisse durcheinander. Ein richtiger Wahlkampf mit Wirbel um Grundsätze fehlt indes. Während die Parteien sich an Prozenten orientieren, sparen sie ernste Themen weitgehend aus. Dabei gibt es genug, worüber sich streiten ließe: Die dritthöchste Verbrechensrate Deutschlands, linke Gewalt mit brennenden Autos und Hauseingängen, die Zuwandererkriminalität, die 60 Milliarden Euro Schulden, die längst die Handlungsfähigkeit bedrohen, all das war so wenig Thema der Wahl wie Berlins wirtschaftsarmes Wirtschaften auf Kosten anderer Bundesländer, die Wohnungs- oder die Schulprobleme.

Galt Amtsinhaber Klaus Wowereit (SPD) lange als abgeschlagen, flanierte er unter dem Slogan „Berlin verstehen“ wieder zunehmend erfolgreich durch die Gunst der Hauptstädter. Er legte zuletzt noch einmal um zwei Punkte auf 32 Prozent zu. Renate Künast fiel mit ihren Grünen indes hinter die nach wie vor blasse bis stille Hauptstadt-CDU Frank Henkels zurück. Mit den eine Woche vor der Wahl vorhergesagten 21 Prozent erreichte die Union wieder Augenhöhe mit den Grünen. Für die FDP besteht mit laut Umfragen drei Prozent kaum noch Hoffnung auf den Wiedereinzug ins Stadtparlament. Die Berliner Liberalen werden zudem von einer regelrechten Austrittswelle geschüttelt.

Dafür schnellte die „Piratenpartei“ als neue Formation vor und ergatterte jüngst die größte Spende ihrer Geschichte. Es ist ein Signal für den Aufbruch neuer Kräfte in Berlins ausgezehrter Parteienlandschaft. Die Freibeuter dürfen laut Umfragen auf 6,5 Prozent hoffen. Sie profitieren von der Schwäche der FDP, wildern aber vor allem im grünen Revier. Die Wähler beider Parteien haben viele Überschneidungen, gleichen sich besonders in der Bildungsstruktur. Jedenfalls konnte die Kleinpartei dank Spenden stärker auf klassische Wahlkampfmittel wie Plakate setzen.

Bei den Grünen hingegen „bröckelt die Unterstützung“, ätzte jüngst die linke „Tageszeitung“. Die Parteilinke versagt demnach aus Angst vor einer schwarz-grünen Koalition Renate Künast die Unterstützung. Bereits seit Mai sind die Umfragewerte der Grünen rückläufig. Die von Künast losgetretene Sachdebatte um „grüne Themen“ auf ihrer Pilgerfahrt durch die Stadtteile lässt die Bürger kalt. Vergessen sind grüne Umfragespitzen, die 30 Prozent der Wähler hinter den Alternativen verorteten. Gut eine Woche vor der Wahl erteilten die Grünen daher der CDU eine halbherzige Absage für eine gemeinsame Regierung. „Ich werde meiner Partei nicht vorschlagen, Koalitionsverhandlungen mit der CDU aufzunehmen“, sagte Künast, und buhlte um die Stimmen linker Wähler mit dem Zusatz, diese Aussage sei „doch hinreichend klar“. Die Formel ist für sie nicht ohne Risiko, denn schließt Künast eine Koalition mit der CDU klar aus, vergrault sie die Wähler, die Schwarz-Grün als einzige realistische Ablösung für Rot-Rot erhoffen. Tut sie es nicht, muss sie fürchten, weiter Wähler an die „Piraten“ zu verlieren und bestenfalls auf die 19 Prozent zu kommen, die Meinungsforscher ihr deshalb zuschreiben.

Der grüne Schlingerkurs ist Teil einer festgefahrenen Parteienlandschaft. Die Linke ist ebenfalls zerstritten zwischen Marxisten und Pragmatikern, und sie bietet keine Erfolge für die eigene Klientel trotz Regierungsbeteiligung. Noch-Partner Wowereit warnt derweil vor den „Piraten“: „Die Menschen sollten sich sehr gut überlegen, ob sie aus reinem Protest für eine Partei stimmen, die ihren Spitzenkandidaten durch Los bestimmt und zu den wesentlichen gesellschaftlichen Themen ein völlig unklares Profil hat.“

Das linke bis linksliberale Lager ist übersättigt mit Parteien, nur unverbindliche Sprüche ziehen da noch, wie Wowereit weiß. Er hofft auf Rückenwind aus Mecklenburg-Vorpommern und geht ansonsten vor allem Hände schütteln. „Von Schwarz-Gelb wird nichts mehr erwartet, diese Konstellation ist politisch gescheitert“, beruhigt er sich. Tatsächlich sieht es so aus, als ob die „Piraten“ voll im Berliner Zeitgeist liegen, wenn sie wie die jungen Grünen der 80er Jahre maximale Freiheit für den Einzelnen bei voller sozialer Fürsorge des Staates verlangen. Denn zu echten Herausforderungen können sich nicht nur die Politiker, sondern auch die Berliner kaum aufraffen. So verkümmerte der Wahlkampf zur „Hallöchen-Operette an der Spree“, wie die „Welt“ lästert, mit Wowereit als allseits verständnisvollem Grußonkel. Statt Konzepten verteilte er sogenannte Wowibären.

Was zählt, ist der Kuschelfaktor. Die CDU hatte mit ihrem Werben für Veränderung dabei das Nachsehen. So forderte sie Maßnahmen für Existenzgründer, ein Thema, das angesichts von Berlins Rolle als „Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger“ durchaus sinnvoll erschien. Wo gut 436000 Einwohner Transferleistungen beziehen, traf die Forderung jedoch kaum auf Resonanz. Zudem lastete auf der Spree-Union das Image der Zerstrittenheit, welches durch das unklare Profil der Bundespartei noch verstärkt wurde. Sie will nicht konservativ sein, müsste das aber gerade in Berlin, denn für eine vom linken Flügel beschworene „moderne Großstadtpartei“ und noch mehr linksliberale Politik war in Berlin kein Platz, solche Parteien gab es schon – im Überfluss. Sverre Gutschmidt


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