19.04.2024

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01.10.11 / Neue Tonlage auf der Hardthöhe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-11 vom 01. Oktober 2011

Gastkommentar
Neue Tonlage auf der Hardthöhe
von Reinhard Uhle-Wettler

Wer die Pläne zur Neugestaltung der Bundeswehr kritisch zur Kenntnis nimmt, wird feststellen, dass es sich hier um eine strategische und nachhaltige Weichenstellung handelt und zugleich ein neuer Ton angeschlagen wird, der sich unmissverständlich von früheren Verlautbarungen des Ministeriums abhebt: „Es ist ehrenvoll, in deutscher Uniform für eine bessere, gerechtere, freiere und sichere Welt einzutreten. Darauf können wir in aller Bescheidenheit stolz sein.“ Und weiter: „Die Befähigung zum Kampf als höchster Anspruch an Personal, Material und Ausbildung muss in einem gemeinsamen Kräftedispositiv der Maßstab für die Einsatzbereitschaft sein – die Befähigung zum Kampf.“ Besonders wichtig ist die folgende Ausführung, die das Grundproblem der Bundeswehr wie früherer Streitkräfte beim Namen nennt: „Vielleicht waren die Finanzen und das Thema Wehrpflicht die Auslöser für den Prozess der Neuorganisation. Ihre Ursachen und ihre Notwendigkeit liegen tiefer. Sie liegen begründet in der Sicherheitspolitik und dem Ziel, Auftrag, Mittel und Struktur in Einklang zu bringen.“ Dieser Satz ist im Zusammenhang mit der Lagefeststellung des Ministers zu sehen: „Die Bundeswehr ist schon lange strukturell unterfinanziert für die Aufgaben, die ihr inzwischen gestellt wurden. Und sie verfügt nicht über die Mittel, die Ziele zu erreichen, die ihr gesetzt wurden.“ Zum Selbstverständnis des Soldaten tragen folgende Sätze bei: „Früher, im kalten Krieg hieß es: ,kämpfen können um nicht kämpfen zu müssen‘. Heute müssen unsere Soldaten kämpfen können, um erfolgreich zu sein, um nicht sterben zu müssen und um zu verhindern, dass andere, vor allem Unschuldige, sterben.“

Schon diese Ausführungen belegen, dass die Bundeswehr offensichtlich einen Minister hat, der durch Mut, Sachkenntnis und Klarheit hervortritt. Natürlich ist die Frage erlaubt, ob er sich in einer Gesellschaft durchsetzt, die sich lange Zeit als Spaßgesellschaft in einem überwiegend von Parteiinteressen bestimmten Staatswesen organisiert hat. Wir erlauben uns die Vermutung, dass die Reform nur gelingen kann, wenn sich alle politischen Organe, also auch der Bundespräsident, die Regierung und die Parteioberen, die öffentlichen Verantwortungsträger sowie die Bildungseinrichtungen hinter den Neuansatz der Sicherheitspolitik stellen. Das wäre dann die berühmte, bisher nicht verwirklichte geistige Wende, die wir dringender denn je benötigen. Der Minister betont daher auch immer wieder „ressortgemeinsames“ Handeln. Ein Beispiel aus den Verteidigungspolitischen Richtlinien: „Die traditionelle Unterscheidung von äußerer und öffentlicher Sicherheit im Innern verliert angesichts der aktuellen Risiken und Bedrohungen mehr und mehr ihre Bedeutung. Die Wahrung unserer Interessen ist heute nur ressortgemeinsam möglich.“ Im Übrigen wird es darauf ankommen, dass sich die Massenmedien bereit finden, eine öffentliche Diskussion über die neue Sicherheitspolitik in Gang zu setzen und wach zu halten. Nur so können das wohlwollende Desinteresse an der Bundeswehr und das Unwissen über die Erfordernisse der deutschen Sicherheitspolitik wirksam zum Besseren beeinflusst werden. Es handelt sich ja bei der Bundeswehrreform um das Gemeinwohl jenseits der Parteiinteressen. Wir werden sehen, ob dieses Land überhaupt noch ansprechbar auf Staatsinteressen ist. Das Aufkommen an den zukünftig benötigten Freiwilligen wird diese Frage beantworten.

Eine „Armee im Einsatz“ braucht wie in anderen Demokratien auch ein Wehrrecht für den Einsatz. Das bedeutet konkret, dass endlich eine funktionierende Militärgerichtsbarkeit zu schaffen ist, die den weltweiten Einsatzbedingungen gerecht werden kann, mit den Soldaten lebt und in der Lage ist, das Geschehen vor Ort sachkundig zu beurteilen. Die Tatsache, dass sich Soldaten für ihr Verhalten im Auslandseinsatz unter „kriegsähnlichen Verhältnissen“ vor einer zivilen Gerichtsbarkeit im friedlichen Heimatland rechtfertigen müssen, ist so absurd, dass der gesunde Menschenverstand sich wehrt, diesen Zustand zu glauben. Es ist allerdings anzunehmen, dass der Minister seine Reform nicht zusätzlich mit solchen in der Vergangenheit zu demokratischen „Glaubensfragen“ hochstilisierten Problemen belasten wollte.

Die Reform tastet die Konzeption vom Staatsbürger in Uniform nicht an. Das ist nur dann kein Problem, wenn der Staatsbürger in Zivil daneben steht. Wir wissen aber, dass dies nicht der Fall ist. Die über die Jahre in viele Hunderttausende gehende Zahl der Kriegsdienstverweigerer und der deutlich über die Hälfte gehende Anteil der Ungedienten der politischen Klasse beweisen dies. Jeder Drückeberger konnte bisher ministeriellen Rang und mehr erreichen.

Die noch vom vorhergehenden Minister angekündigte Modernisierung der Streitkräfte bleibt leider wenig greifbar. Vereinfachung der Führungsstrukturen und Stäbe, Abschaffung von ganzen Führungsebenen und andere organisatorische Maßnahmen wie zum Beispiel im Beschaffungswesen sind einleuchtend oder doch wenigstens ausreichend begründet. Dass die Streichung von Generalsstellen wiederholt herausgestellt wird, mag den Geist des so oft berufenen kleinen Mannes erfreuen. Dem überlegten, sachlichen Stil des Ministers widerspricht dieser „Ausrutscher“. Eher hätte den Fachmann vielleicht überzeugt, wenn er etwas über den bewährten Generalstab gesagt hätte. Auswahl und Ausbildung des Führungspersonals sind nach wie vor ein entscheidendes Kriterium für die Qualität der Bundeswehr. Das gilt angesichts der gestiegenen Anforderungen einer globalisierten „Armee im Einsatz“. Es berührt im Übrigen den vom Minister berufenen Zusammenhalt und die Kameradschaft, also das innere Gefüge. Je kleiner die Armee, desto heftiger der Wettbewerb um Positionen.

Mit Umorganisation allein ist Modernisierung nicht gegeben. Hier hätten wir uns unter anderem weitere und konkretere Angaben über Rüstung und Beschaffung gewünscht und hoffen, dass dies in der ausstehenden Feinplanung nachgeholt wird. Immerhin sind der Cyber-War und die Notwendigkeit, hier tätig zu werden, angesprochen

Die grundlegende Bundeswehrreform kommt sehr spät. Finanzprobleme, Demografieentwicklung, Attraktivitätsmängel und selbst das Übergreifen der Globalisierung im Rahmen der Bündnispolitik waren vorauszusehen. Es mangelte wohl nicht nur am Willen, sondern auch am Sachverstand der Regierenden.

Die vorgelegten Unterlagen über die angestrebte Reform beweisen, dass dieser Sachverstand im Bundesministerium der Verteidigung in hohem Maße vorhanden ist. Vielleicht gelingt es in der geplanten Freiwilligen-Armee, die erforderliche Professionalität der Soldaten den gestiegenen Anforderungen anzupassen. Dazu wird die Unterstützung des Volkes wie der gesamten politischen Klasse benötigt. Lässt man den Minister allein im Regen stehen, ist der Misserfolg vorprogrammiert und die Chance, im Zuge der Reform das Staatsbewusstsein und den Gemeinsinn zu wecken, vertan. Nicht zu vergessen unsere Position im Bündnis. Sicherheit als erste Aufgabe des Staates ist nicht umsonst zu haben und schon gar nicht für Sparmaßnahmen auf der Grundlage vordergründiger Berechnungen. Wir erleben die Nagelprobe unserer politischen Klasse. Demnächst werden wir sehen, ob sie diese besteht.

 

Brigadegeneral a.D. Reinhard Uhle-Wettler, Jahrgang 1932, diente in der Fallschirmjägertruppe, zuletzt als stellvertretender Kommandeur einer Luftlandedivision. Er war langjähriger Vorsitzender der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft.


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