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08.10.11 / Leichte Beute für Piraten / Besonders Reeder unter deutscher Flagge sind wenig gesichert – Experten suchen Lösungswege

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Leichte Beute für Piraten
Besonders Reeder unter deutscher Flagge sind wenig gesichert – Experten suchen Lösungswege

Auf der Fachtagung „Piraterie und ihre Bekämpfung“ hat der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann auf Fragen der PAZ seine Ansicht bekräftigt, bei der Piratenbekämpfung sollten auch hoheitliche Kräfte zum Schutz deutscher Handelsschiffe eingesetzt werden. Ein von Schünemann geleiteter Bundesfachausschuss der CDU hatte im Juli einen entsprechenden Beschluss gefasst. Die Bundesregierung will jedoch nur den Einsatz „zertifizierter“ privater Sicherheitsdienste. Hierfür sollen eventuell noch Gesetze geändert werden. Während die Regierungsbeamten darüber weiter in aller Ruhe nachdenken, sind private Firmen längst ebenso wie die Piraten auch ohne Zertifikate im Einsatz.

Die Fachtagung mit rund 200 Teilnehmern und Experten unter anderem aus Marine und Bundespolizei fand auf Einladung Schünemanns in der niedersächsischen Landesvertretung in Berlin statt. Niedersachsen beherbergt 160 Reedereien, die über 1250 Handelsschiffe verfügen. Mehrfach waren sie von Piratenangriffen betroffen. Nachdem Berlin in der Frage der Pirateriebekämpfung nur zögerlich agiert und sich mit der Erörterung juristischer Fragen aufhält, ergreifen nun die Küstenländer die Initiative und setzen damit die Bundesregierung unter Druck. Im Gespräch mit der PAZ sagte der Minister: „Dass die Bundesregierung erklärt hat, sie wolle ausschließlich auf private Sicherheitsdienste setzen, wird der Sache nicht gerecht.“ Die Reeder würden aber schon nach „jedem Strohhalm“ greifen. Sie seien bereits „froh“, wenn private Sicherheitsdienste einen verbesserten Rechtsrahmen bekämen. Zum Kampf gegen Piraten sei besonders die Marine befähigt, sagte Schünemann. Den Einsatz der Bundespolizei halte er hier nur für „sehr eingeschränkt möglich“. Piraten besäßen Panzerfäuste, Maschinengewehre und Raketenwerfer. Die Marine könne rechtlich problemlos tätig werden. Es gebe eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats und ein Bundestagsmandat. Ausdrücklich sei auch der Einsatz von Marine-Schutzteams an Bord von Schiffen umfasst.

Mittlerweile haben auch die Piraten im letzten Winkel der Welt gemerkt, dass deutsche Schiffe eine leichte Beute sind, weil sie keine Gegenmaßnahmen zu befürchten haben. So erklärte der Minister, Deutschland sei die von Piratenangriffen weltweit am stärksten betroffene Nation. Im ersten Halbjahr 2011 wurden 33 Schiffe deutscher Reeder angegriffen. Im Fall der „Marida Marguerite“, ebenfalls ein Schiff eines niedersächsischen Reeders, habe die Geiselnahme knapp acht Monate gedauert. Es gebe Hinweise, dass gezahlte Lösegelder teilweise als „Schutzgelder“ an islamistische Gruppierungen ging. Der gegen Piraten ermittelnde Vizepräsident des Landeskriminalamtes Volker Kluwe aus Hannover nannte als Foltermethoden der Piraten das Aufhängen von Geiseln an Seilen und Ketten, das Abbinden von Genitalien mit Klebebindern oder das Einsperren in Kühlräume.

Schünemann plädiert für einen „ganzheitlichen Ansatz“ bei der Banditen-Bekämpfung: Schutzmaßnahmen der Reeder („Best Practise Management“), hoheitliche Maßnahmen von Marine und Bundespolizei, verbunden mit privaten Sicherheitsdiensten. Das Bundestagsmandat erlaube die Entsendung von 1400 Soldaten. Derzeit seien nur etwa 300 Soldaten vor Ort. An Bord von französischen, italienischen und niederländischen Handelsschiffen würden im Einzelfall auch hoheitliche Schutzteams unter nationaler Verantwortung eingesetzt. „Soll das an Bord von Schiffen, die unter deutscher Flagge fahren, tatsächlich nicht durchführbar sein? Das wäre ein Armutszeugnis“, erklärte der Minister.

Um die Größe des gefährdeten Seegebiets zu verdeutlichen, zeigte Flottillenadmiral Hans-Christian Luther auf einer Karte den Aktionsradius einer Fregatte und ihren Radarbereich: Man könne diese mit der Größe eines Medizinballs in einer Turnhalle vergleichen. Die Marine habe zwei „durchhaltefähige“ Schutzteams von je zehn bis zwölf Soldaten. Neben den Fregatten „Köln“ und „Bayern“ wird im Seegebiet vor Somalia ein Seefernaufklärer vom Marinefliegergeschwader Nordholz eingesetzt.

Bundespolizei-Vizepräsident Wolfgang Lohmann erklärte zu einer Zertifizierung privater Sicherheitskräfte, hier gebe es „zur Zeit eine Diskussion zwischen den Ressorts, wie das aussehen soll“. Während Beamte und Politiker noch dis-kutieren, heuern Reeder längst notgedrungen private Firmen an. Laut einer Umfrage unter 100 deutschen Reedern setzen 27 private Schutzteams ein.

Wie auf Anfrage der PAZ die private „Internationale Bodyguard- & Sicherheitsagentur i.b.s.“ in Hamburg mitteilt, ist sie seit 2005 für den Schutz deutscher und ausländischer Schiffe tätig. Geschäftsführer Horst Rütten begrüßt eine Zertifizierung von Sicherheitsfirmen; so könnten auch „Spreu und Weizen“ zumal angesichts etlicher ausländischer Anbieter getrennt werden. Die Zahl der Sicherheitskräfte hänge von der Art des Schiffes ab; oft würden jeweils vier Mitarbeiter eingesetzt, erklärte Rütten. Die Reedereien wären behilflich, Einreisepapiere für die Staaten zu erhalten, in deren Häfen die Sicherheitskräfte an Bord gingen.

Der holländische Flottillenadmiral Michiel Hijmans – er führte bis Juni die Nato-Operation „Ocean Shield“ am Horn von Afrika – berichtete von einem Gefecht, in dessen Folge sich einige Piraten „für immer das Rauchen abgewöhnt“ hätten. Andere Marinen gehen mit Piraten also nicht zimperlich um. Außerdem schilderte er seine Erfahrungen mit privaten Sicherheitsdiensten: „Einige sind sehr professionell und erfahren, andere würde ich als ,Cowboys auf See‘ bezeichnen, der Rest ist irgendwo dazwischen.“ Vor allem im südlichen Roten Meer hätten private Sicherheitsdienste schon auf unschuldige Fischer geschossen. Einen ganz pragmatischen Weg gehen die US-Amerikaner bei der Lösung der Frage der Zuständigkeit zwischen der Marine und der Küstenwache, die eigentlich für die Piratenbekämpfung zuständig ist: Trifft ein Marineschiff auf Piraten, wird die Flagge der Navy eingeholt und die Flagge der Küstenwache aufgezogen, der das Schiff dann temporär unterstellt ist. Zuständigkeitsproblem gelöst. Michael Leh


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