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08.10.11 / Ein beispielhafter Gottesstaat auf Erden / Salzburger Emigranten wanderten nicht nur nach Ostpreußen, sondern auch nach Georgia aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Ein beispielhafter Gottesstaat auf Erden
Salzburger Emigranten wanderten nicht nur nach Ostpreußen, sondern auch nach Georgia aus

Mancher, vor allem Preußen im allgemeinen und Ostpreußen im besonderen, wissen um die Salzburger Glaubensflüchtlinge, die der der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. von Preußen nach Ostpreußen holte. Weniger bekannt dürfte sein, dass es einige der Vertriebenen nicht nur in ein anderes Territorium, sondern mit Amerika sogar auf einen anderen Kontinent verschlug. Dort versuchten sie nicht mehr und nicht weniger, als einen beispielhaften Gottesstaat auf Erden zu errichten.

Vor 280 Jahren, im Herbst des Jahres 1731, geriet Europa, soweit es protestantisch war, in hellste Aufregung. Denn selten zuvor waren auf einem Schlag derart viele Glaubensbrüder außer Landes getrieben worden. Ab Oktober 1731 verließen rund 20000 Salzburger ihre Heimat; der auf rigorose Re-Katholisierung drängende Fürstbischof Salzburgs, Anton Freiherr von Firmian, wollte endlich reinen Tisch und sein Territorium – wie vielerorts in Österreich – wieder zu einem rein katholischen Land machen. Der Exodus der Salzburger war der Höhe- und Schlusspunkt von Ver­trei­bungen und Exilierungen pro­testantischer Gläubiger in Österreich.

Die meisten Salzburger wurden damals von Preußens „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. aufgenommen und in Ostpreußen angesiedelt. Ein kleiner Teil aber verließ Europa und emigrierte nach Nordamerika, und zwar in das gerade erst 1732 zur Kolonie erklärte Georgia. Unter Leitung des vom Pietismus der Franckeschen Stiftungen in Halle geprägten Predigers Johann Martin Boltzius (1703–1765) wurde dort eine Siedlung mit dem biblischen Namen Ebenezer errichtet. Der Name war Programm: Den das Projekt generös fördernden Pietisten in Halle und Glaubensbrüdern in London ging es um nichts Geringeres, als einen beispielhaften Gottesstaat auf Erden zu errichten. Die Salzburger waren ihnen nicht weniger als das neue Volk Israel.

Während die Geschichte der in Ostpreußen heimisch gewordenen Salzburger relativ gut erforscht ist, gab es zu den „amerikanischen Salzburgern“ bislang nur spärliche Informationen. Dem hat nun die an der Universität Dortmund lehrende Historikerin Charlotte E. Haver abgeholfen. In einer großen Arbeit hat sie erstaunliche Quellen vor allem in Salzburg, Halle und Augsburg gefunden und dieses in der europäischen Religions- und Kolonialgeschichte ebenso einmalige wie spannende Projekt geschildert.

Nach der (immerhin unblutigen) Ausweisung aus dem Salzburger Land schlug den Flüchtlingen eine beispiellose Welle der Hilfsbereitschaft entgegen. Boltzius, der gar nicht aus Salzburg, sondern aus der Niederlausitz stammte und dem ersten Transport von Halle aus zugeordnet wurde, konnte durch ständige Berichte diese Hilfsbereitschaft über mehrere Jahrzehnte aufrecht erhalten, indem er geschickt der allgemeinen Vorstellung, die Salzburger seien das wandernde Volk Gottes, entgegenkam. Denn trotz der teils phantastischen Vorstellungen in Europa über das „Paradies Amerika“ war das Leben in der neuen, völlig ungewohnten Umgebung außerordentlich hart. Buchstäblich aus dem Nichts mussten erste Unterkünfte errichtet werden, und nur durch ständige Hilfe aus Europa war ein Überleben in den Anfangsjahren überhaupt möglich.

Eine eigene politische Verwaltung gab es in der neuen britischen Kolonie kaum. Die britische Krone hatte die Kolonie einer religiös bestimmten Vereinigung von „Trustees“ übertragen, deren menschenfreundlicher Eifer den Ausgewanderten sehr entgegenkam. Insgesamt vier Transporte kamen zwischen 1733 und 1741 in Amerika an, danach noch drei weitere mit freiwilligen Auswanderern vorwiegend aus Süddeutschland.

Schon bald kam es dann wegen der rigoros-pietistischen Religionsutopie, wie sie Boltzius unermüdlich, aber letztlich nur mit temporärem Erfolg verwirklichen konnte, und den Bestrebungen der meisten Salzburger, Ackerland in möglichst großer Menge zu erhalten, zu Spannungen. Nach und nach entglitt dem Prediger, der, wie Charlotte Haver zeigt, allerdings auch in weltlichen Dingen ein au­ßer­or­dent­liches Or­ga­ni­sa­tions­talent war, seine Gemeinde. Die Siedler zogen allmählich weg von Ebenezer, kamen nach und nach, besonders als ab 1750 der Kauf von Sklaven erlaubt wurde, zu Wohlstand und glichen sich in den folgenden Generationen mehr und mehr dem englischen Lebensstil an. Als der Unabhängigkeitskrieg gegen das britische Mutterland siegreich zu Ende ging, durchflutete eine patriotische Welle den jungen, unabhängig gewordenen Staat; um 1800 waren „the Salzburgers“ fast schon Geschichte.

Über all die Ereignisse haben Boltzius und seine Nachfolger im Predigeramt ihre europäischen Glaubensbrüder und – so würde man heute sagen – „Sponsoren“ unermüdlich informiert. Boltzius’ Berichte, fast 7000 Blatt, finden sich vor allem in Bibliotheken in Halle und in Augsburg, damals ebenfalls ein Zentrum des Pietismus. Für die Forschung sind diese „Diarien“ eine Fundgrube ersten Ranges, sowohl zum religiösen Leben wie auch zur harten Alltagsgeschichte. Über keine andere Gruppe deutschsprachiger Emigranten des 18. Jahrhunderts sind wir so genau informiert wie hier über die Salzburger.

Die britischen Kolonien in Nordamerika waren ohnehin ein religiöser Zufluchtsort. Am bedeutendsten waren die Puritaner, die schon im frühen 17. Jahrhundert aus Großbritannien emigrierten. Zu nennen wären ferner die Quäker und zahlreiche Sekten, aus Deutschland noch die von Zinzendorf geprägten Herrenhuter (die übrigens nach 1945 generös im besiegten Deutschland geholfen haben). Dieser gemischte religiöse „Humus“ ist zweifellos eine Erklärung für die tiefsitzende, mitunter ins Abwegige gleitende Religiosität auch heute noch in den USA.

Die Erinnerung an die Salzburger Religionsflüchtlinge ist bei den Nachkömmlingen in den USA lebendig geblieben. Sie haben Brücken nach Europa geschlagen und Verbindungen zu den Nachkommen der ehemaligen Salzburger in Ostpreußen geschaffen. Dort waren die Salzburger in Königsberg, Gumbinnen, Tilsit und Deutsch-Eylau angesiedelt worden. In Gumbinnen wurde 2006 mit amerikanischen und deutschen Spenden ein Diakoniezentrum mit Kirche eingeweiht – gleichsam ein Symbol für die fortlebende Erinnerungsgemeinschaft der Salzburger Religionsflüchtlinge. Dirk Klose


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