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08.10.11 / Ziegen im Trend / Die Kuh des kleinen Mannes trägt Gold im Fell

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Ziegen im Trend
Die Kuh des kleinen Mannes trägt Gold im Fell

Meine Tante hatte einen Teil der Werkstatt ihres Mannes, der bereits seine Rente bezog und nur noch gelegentlich für Kundschaft arbeitete, zu einem Ziegenstall umfunktioniert, denn die Werkstatt lag abseits des Hauses neben der Garage. Und die Tante achtete auch darauf, ihre Schürze, die Strickjacke und ihr Kopftuch in der Freiluftgarage aufzubewahren, denn den „Duft der Ziegen“ mochte auch sie nicht im Hause haben – obgleich sie gern und immer wieder betonte, ihre Ziegen trügen „Gold im Fell“. Sie nannte sie „Angoraziegen“, schnitt ihnen im Frühjahr Bart und Mähnen ab und gerbte die abgezogene Haut, wenn die Tiere geschlachtet worden waren.

Die zarten Zicklein – so behaupten manche Leute – seien auch eine Gaumenfreude. Da will ich lieber nicht mitreden! Ich mied den Verschlag des „Stinkepeters“ schon aus der Ferne, obgleich er ja auch zur angesehenen Familie gehörte! Wenn meine Mutter ankündigte, wir wollten die Tante einmal wieder besuchen, rümpfte ich bereits die Nase. Denn schon bei dem Gedanken witterte ich den Geruch in der Nähe ihres Hauses, obgleich die kostbaren Tiere eigentlich nur in kalten Wintertagen im Stall gehalten wurden. Aber auch die Tante, die eine Freundin von „4711“ war, trug dennoch den Duft der kostbaren Tiere an Haut und Haaren. Aber Mutter beschwor mich, darüber nicht zu sprechen, denn die Tante sei doch sehr lieb. Und zudem auch eine fürsorgliche Arbeitgeberin, denn in ihrer Freizeit strickte Mutter Mützen und Schals aus der kostbaren Angorawolle von den Ziegen. Denn die wurden von Rheumakranken außerordentlich geschätzt. Denn nachdem Wolle und Strickwaren ganz vorsichtig gewaschen, gespannt und getrocknet worden waren, mochte ich mein Näschen hineinkuscheln, denn sie waren herrlich weich. Meine Mutter erzählte mir, die Ziegenböcke trügen unter ihrem Schwanzansatz eine Duftdrüse, die das eigenartige „Parfüm“ absonderte. Daraufhin betrachtete ich mir Tantes großen, schneeweißen Ziegenbock genau und entdeckte, dass die Unterseite seines kurzen Schwanzes unbehaart und rosa war.

„Stinkepeter“ half der Tante beim Geldverdienen. Besonders im Januar und Februar war der Ziegenbock viel beschäftigt. Dann wurde er oft von Nachbarn abgeholt, um die Ziegen der Umgebung zu decken. Ab Ende Mai sprangen dann etliche kleine weiße Zicklein herum und bewiesen, dass der „Stinkepeter“ gute Arbeit geleistet hatte.

Die Kinder im Dorf halfen schon beim Tränken der Zicklein. Die Muttertiere ließen sich gut melken, denn ihr Nachwuchs wurde per Fläschchen aufgezogen und kannte keine Muttermilch. „Meine Ziegen liefern mir bis zu 300 Liter Milch im Jahr“, sagte die Tante. „Jede?“ fragte ich ungläubig. „Ja, jedes Muttertier!“ bestätigte die Tante und hielt auffordernd ein Gläschen Ziegenmilch hin. „Trink nur, Kind, trink! Diese Milch ist nahrhaft und sehr gesund!“

Meine Mutter freute sich sehr, wenn sie beim Abschied noch etwas Ziegenbutter oder ein Stück Käse aus Tantes Molkerei mitnehmen durfte, denn ihre Freundin war ganz scharf darauf. Ich konnte dem gepriesenen Mitbringsel keinen Wohlgeschmack abgewinnen.

Heute weiß ich, dass Produkte aus Ziegenmilch und -fleisch für viele Menschen eine Delikatesse sind. Sie verbinden mit dem Genuss zugleich schöne Urlaubserinnerungen an den Balkan und den Vorderen Orient. Dort schätzt man die Ziegen noch weit mehr als bei uns und weiß schon lange aus ihrer Haut das weiche Ziegenleder zu gerben.

Archäologische Funde beweisen, dass in manchen Siedlungsgebieten vor bereits 8000 Jahren Ziegen als Haustiere gehalten wurden. Durch gezielte Erbauswahl gelang es den Menschen, besonders langhaarige Ziegen zu züchten, die wahrlich „Gold in ihrem weichen Fell“ tragen. Bei zweimaliger Schur liefert eine Angoraziege etwa fünf Kilo Mohairwolle jährlich, für die per Kilo über 50 Euro bezahlt werden.

Versuche an der Universität Hohenheim haben bestätigt, dass der Zyklus des Brünstigwerdens der Ziegen durch ein eingesetztes Lichtprogramm bei Mutter- und Jungtieren beeinflusst werden kann. Nach sechs bis acht Wochen zeigte sich bereits der Erfolg. Auch die Böcke der Herde durften das hormonsteigernde Licht „genießen“ und waren alsbald zu aktiven „Liebesfreuden“ bereit. Im Herbst danach sollen in dieser Herde der Versuchstiere 40 Lämmer geboren worden sein. – Ein Erfolg, der zum Beispiel durch den Einsatz von Gelbkörperhormonen bei Ziegen nie erreicht werden konnte. In Neuseeland bekamen Schafhalter seit 1980 finanzielle Unterstützung für das Umsatteln auf die Züchtung von Angoraziegen. Dieser Einsatz brachte ein sehr lohnendes Ergebnis.

Wenn meine Enkelkinder mich besuchen, gehen wir gern in den nahen Zoo. Eine besondere Anziehung üben dort die kleinen braunen Ziegen im Streichelgehege auf unsere Kleinen aus.

Die Tiere haben stets großen Appetit und dürfen gefüttert werden. So mancher Betrag vom Taschengeld der Kinder ist schon in den Futterautomaten gewandert. Immer wieder betteln possierliche Ziegenlämmer und ihre Mütter, während die frechen Böcke sie zu verdrängen suchen, um sogleich aus den Tüten und Taschen der Besucher zu fressen. Das Streichelgehege ist oft die spaßigste Attraktion unseres Tierparkbesuches. Meine Enkelin Katharina meinte kürzlich: „Der Zoodirektor muss reich sein! Die kleinen Ziegen arbeiten für das Eintrittsgeld und an ihrem Futter aus dem Automaten verdient er auch noch!“ Anne Bahrs


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