26.04.2024

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08.10.11 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 40-11 vom 08. Oktober 2011

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Flunkern wie bei Junckern / Warum Pofalla plötzlich nicht mehr langweilig ist, wie wir uns in den Abgrund »hebeln«, und wie es Merkel mit der Wahrheit hält

Wie geht es uns eigentlich? Uns Deutschen, meine ich. Wenn man der Presse glaubt, fühlen wir uns gerade nicht so richtig. Dieser Sommer, der mit „durchwachsen“ noch freundlich beschrieben wäre, hat Furchen in unserem Befinden hinterlassen. Da reißen die paar Sommertage, die man uns verspätet nachgeliefert hat, auch nichts mehr.

Wie schlimm es um uns steht, konnten wir in den Medien lesen: Ein großes Nachrichten-Magazin machte diesen Montag mit dem Thema „Rückenschmerzen“ auf, ein anderes quälte uns nur vier Tage zuvor mit dem „Burn-out-Syndrom“ als Titelgeschichte. „To burn out“ ist Englisch und heißt „ausbrennen“. Ausgebrannt fühlten wir uns früher schon mal hin und wieder. Damals hieß es lapidar: Spann ein paar Tage aus, mach Urlaub, dann wird das schon wieder. Und wurde es meistens auch.

Seitdem wir jedoch ein englisches Wort für die Angelegenheit importiert haben, können wir die Sache nicht mehr auf die leichte Schulter nehmen. Englische Wörter geben den Dingen etwas Globales, Bedeutungsvolles, glauben wir Deutsche zumindest. War Ausgebranntsein früher also nur eine lästige, aber eben hin und wieder zu ertragende Begleiterscheinung unserer schnelllebigen Zeit, so ist es als „Burn out“ zur sogenannten „Volkskrankheit“ aufgestiegen. Ein jeder horcht in sich hinein.

Gut so, doch diese gebannte Aufmerksamkeit hat einen Haken: Bei der regen Berichterstattung über „Burn out“ ist eine andere, nicht minder zerstörerische neue Epidemie völlig untergegangen: der „Bore out“. Das kommt von „to bore“, was „langweilen“ bedeutet. In dem Nachrichtenmagazin mit den Rückenschmerzen beklagt eine französische Verwaltungsbeamtin ihr Martyrium. Sie habe so viele tolle Ideen gehabt. Doch ihr Vorgesetzter habe alles abgeblockt, um weiter oben keinen Ärger zu kriegen. Ständig habe er sie mit Ausreden dafür ausgebremst, warum es sinnlos sei zu arbeiten. Das hat der armen Frau derart zugesetzt, dass sie am Ende „sterben wollte“. Als sie dann ein Buch über die Hölle der Faulheit veröffentlichte, bekam sie ein Disziplinarverfahren an den Hals.

Wie sich „Bore out“ anfühlt, wissen alle, auch die weniger Betroffenen: Wie oft wollten wir schon sterben vor Langeweile, wenn uns als Kind ein vermatschter Sommertag kaum vor die Tür ließ, wenn uns dröge Lehrer oder Dozenten durch die Stunde quälten oder wenn Ronald Pofalla im Fernsehen auftrat? Schrecklich.

Heute fragen wir uns, warum uns der Pofalla bloß so angeödet hat. Ist doch eine richtige Stimmungskanone, er bedarf nur der richtigen Motivation: Als Wolfgang Bosbach von seiner Ablehnung der neuesten Milliardenbürgschaft nicht lassen wollte, da schoss Pofalla unter dem Rock der Kanzlerin hervor und ging auf den Verdatterten los wie ein Dackel im Blutrausch.

Kraftausdrücke kamen heraus, wie man sie sonst nur in verruchten Säuferkneipen vernimmt. Wie sich das wohl angehört hat? Ronald Pofalla hat ja eine recht einprägsame Stimme, er klingt wie Ivan Rebroff im Heliumzelt. Wenn so einer Vokabeln wie „Fresse“ oder „Sch...“ herausfistelt, macht das nicht Angst?

Wolfgang Bosbach war mehr überrascht als verängstigt, als Pofalla ihm an die Waden ging. Und enttäuscht. Wir indes machen uns vor allem Gedanken darüber, was in einem Politiker vorgeht, der Begriffe wie Gewissen und Grundgesetz vor versammelter Fraktion als „Sch...“ bezeichnet, wie Kanzleramtsminister Pofalla es gegenüber Bosbach getan hat. Waren das überhaupt seine Worte? Als Person mit eigener Meinung war uns Pofalla bislang ja nie aufgefallen. Haben wir hier am Ende eine Kostprobe des Umgangs im Hause Merkel genossen? Na ja, die Leichtigkeit, mit welcher man in Berlin zwecks „Euro-Rettung“ Gesetze, Verträge und eigene Versprechungen weggespült hat, die kommt der Methode, mit der man üblicherweise Exkremente entsorgt, zumindest recht nahe. Mit der Spülerei soll nun aber Schluss sein: Mit fester Stimme hat uns Bundesfinanzminister Schäuble versprochen, dass der Rettungsschirm EFSF nicht noch mehr ausgeweitet wird.

Endlich ein klares Wort! Um bei diesem Wort endlich mal länger als sechs Wochen bleiben zu können, haben sich die Strategen etwas einfallen lassen: Statt das Hilfsprogramm mit dem deutschen Beitrag von 211 Milliarden Euro aufstocken zu müssen, will man den EFSF „hebeln“. Was das bedeutet, versteht glücklicherweise fast niemand.

Auch wir wollen nur das Allerwesentlichste verpetzen: „Hebeln“ heißt, dass die EFSF-Gelder nicht direkt eingesetzt werden. Man verstrickt sie stattdessen in einem verwirrenden System aus Krediten und Sicherheiten. Dadurch kann man Schätzungen zufolge gut das Achtfache dessen zusammenbringen, was der EFSF allein auf die Waage bringt. Bravo! Diese Vorgehensweise entspricht exakt der Strategie jener sagenhaften Investmentbanker, derentwegen die Welt seit vier Jahren über dem finanziellen Abgrund balanciert. Die EU-Finanzminister sind sich sicher, dass sie auf diesem Wege verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen können.

Und wir sind uns sicher, dass wir angesichts dessen kurz davor stehen, in den Sprachgebrauch eines Ronald Pofalla zu verfallen. Das jedoch verkneifen wir uns, zumal CDU-Politiker Peter Hintze dazu aufgerufen hat, die Debatte über den Kanzleramtsminister schleunigst zu beenden.

Das hätten die Spitzen von CDU und FDP ohnehin von Anfang an am liebsten getan: Die Bundestagsdebatte über den EFSF beenden, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Wozu überhaupt noch Debatten um so ’nen „Sch...“? Die Kanzlerin bekümmert es bis heute, dass ihr einstiges Lieblingswort „alternativlos“ zum Unwort verflucht wurde. Damit konnte jede Diskussion im Keim erstickt werden. Nun soll die Politik dem Volk immerfort alles „erklären“, was man viel lieber heimlich täte. Gut, dass es da den „Hebel“-Trick gibt: Da kann man den Deutschen das eine versprechen und das ganz, ganz andere machen, ohne dass sie einen später der Lüge überführen können. Wenn es windigen Finanzberatern gelungen ist, den Sparern jahrelang undurchschaubare Finanzbündel anzudrehen, dann wird man den Deutschen doch wohl noch so einen hochexplosiven Hebelkram unter die Weste jubeln können. Bis das alles hochgeht, vergehen im günstigen Fall Jahre. Und so weit schauen die „Auf-Sicht-Fahrer“ von der Spree schon lange nicht mehr.

Wir, die wir schon gern ein wenig weiter gucken wollen, müssen uns die Wahrheit herausklauben aus den Debattenfetzen, die dauernd durch die europäische Luft rasen. Neulich kam wieder etwas Erhellendes vorbei: Die Briten seien unsolidarisch, weil sie, so der Vorwurf, sich zwar alle Vorteile der EU sicherten, gleichzeitig aber nicht am Euro teilnehmen wollten. So springt die Katze aus dem Sack: Der Euro ist also selbst in den Augen seiner Verfechter ein Nachteil, den man für die Vorzüge der EU in Kauf nehmen müsse. Hatte man uns nicht 20 Jahre lang vorgebetet, dass wir alle, „und wir Deutsche ganz besonders“, vom Euro fürchterlich profitieren würden?

Würden die Engländer tatsächlich weich und ließen sich in den Euro hineinpressen, dann würde man das den Deutschen als Beweis verkaufen, welch großes Vertrauen die Einheitswährung doch genieße. Bis dahin hält man sie mit den Rezepten des Euro-Zonen-Chefs Jean-Claude Juncker bei Laune, der bekanntlich einräumte: „Wenn es ernst wird, müssen wir lügen.“ Neulich behauptete Angela Merkel bei Günther Jauch, 60 Prozent der deutschen Exporte gingen in die Euro-Länder. Die Zahl ist falsch, es sind nur rund 42 Prozent, und der Anteil der Euro-Länder am deutschen Export ist zudem seit Jahren rückläufig. Merkel weiß das natürlich genau, doch in der Not heißt offenbar auch ihre Devise: Flunkern wie bei Junckern.


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