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15.10.11 / Kaczynski-Dämmerung / Der Wahlsieg von Donald Tusk belegt, dass sich die Stimmung in Polen verändert hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Kaczynski-Dämmerung
Der Wahlsieg von Donald Tusk belegt, dass sich die Stimmung in Polen verändert hat

Die Umfrageergebnisse schlugen zwar Purzelbäume, aber ein Machtwechsel stand in Polen nie an. Im Gegenteil: Bei den Parlamentswahlen vom 9. Oktober schaffte der amtierende Premier Donald Tusk das „majstersztyk“, als Erster seit 1989 wiedergewählt zu werden. Seine „Bürgerplattform“ (PO) hat Polen als einziges Land Europas schmerzfrei durch jüngste Krisen gelotst und bekam von den Wählern ein Vertrauensvotum von wieder vier Jahren. Darum hatte Tusk vor der Wahl gebeten, danach erklärte er seinen Sieg zum Sieg des „optimistischen Polens“.

Über 30 Millionen Polen waren aufgerufen, 460 Abgeordnete des Sejm und 100 des Senats zu wählen. Der Wahlkampf war ruhig, der Wahltag auch: Mit 47,7 Prozent lag die Beteiligung unter der von 2007 (53,9 Prozent), wenn auch über der von 2005 (40,6 Prozent). Normalerweise nützt niedrige Beteiligung der Opposition, aber das traf hier nicht zu.

Die PO bekam 39,6 Prozent der Stimmen und 212 Sitze, ihr Koalitionspartner, die „Bauernpartei“ (PSL) von Wirtschaftsminister Waldemar Pawlak, 8,2 Prozent und 27 Sitze. Ihre „gute und in Schwierigkeiten bewährte Koalition“ kann weiterarbeiten, der Polen selbst in den Krisenjahren 2008/09 Wirtschaftswachstum und Rückgang der Arbeitslosigkeit verdankte.

Seit Juli versieht Polen erfolgreich die EU-Ratspräsidentschaft, dorthin vor allem mit Berliner „Rückenwind“ gekommen. Über die deutsche Bundeskanzlerin ist Donald Tusk des Lobes voll: „Unter den heutigen Führern Europas ist keiner Polen so zugetan wie Angela Merkel.“ Das war sie auch 2006/07, als Jarosław Kaczynski polnischer Premier war. Der und sein Zwillingsbruder Lech, damals Staatspräsident Polens, leiteten die nationalistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), bis Lech im März 2010 bei einer Flugzeugkatastrophe in Smolensk ums Leben kam. Lech hatte sich um ein korrektes Verhältnis zu Angela Merkel bemüht, Jarosław beleidigt sie und ihr Land, was die Wähler nicht honorierten: Mit 30,1 Prozent und 158 Sitzen ist die PiS Tusks PO deutlich unterlegen. Am Wahlabend redete sich ein verwirrter Kaczynski um Kopf und Kragen: Die PiS ficht für „tiefgreifende Veränderungen“, aber „ein bedeutender Teil der Gesellschaft findet den Ist-Zustand gut“, irgendwann „werden wir in Warschau Budapest haben“, also ein halbdiktatorisches Regime wie das der Fidesz unter Viktor Orban in Ungarn.

Lech Wałesa, Solidarnosc-Legende und erster postkommunistischer Präsident Polens, hat seine Erzfeinde, die Kaczynski-Zwillinge, 2007, „durni“ (Volltrottel) genannt, nun differenzierte er: „Lech hatte Skrupel, Jarosław ist ein einziges Übel.“ Jarosławs Buch „Polska na­szych marzen“ (Das Polen unserer Träume), kurz vor der Wahl vorgestellt, hatte Wałesa und andere Spitzenpolitiker verärgert. Kaczynski verdächtigt in seinem 200-Seiten-Traktat Angela Merkel, mit Stasi-Hilfe an die Macht gekommen zu sein, eine deutsche „Großmacht“ restaurieren und Polen unterjochen zu wollen. Das brachte Premier Tusk, Präsident Komorowski und Außenminister Sikorski auf, die den Autor anklagten, Polen gegen dessen Interessen in einen „Krieg“ mit dem befreundeten Deutschland zu treiben.

Die gelassenste und treffendste Verdammung äußerte der Europa-Abgeordnete Michał Kaminski: Kaczynski habe allen PiS-Kandidaten einen Dolchstoß versetzt, ihn und seinesgleichen im Parlament zu haben, sei „ein sehr schweres Problem für Polen“. Nach dem Unglück von Smolensk konnte die PiS etwas Boden gutmachen, durch Kaczynskis neuerliche Rüpeleien ging der wieder verloren. Übrig blieb eine konzeptionslose Sammlungsbewe-gung von Nationalisten, die zu keiner Sachdebatte bereit und fähig war. In den letzten Monaten hatte TVN24 vier große Diskussionen veranstaltet – Gesundheitswesen, Außenpolitik, Infrastruktur, Landwirtschaft –, an denen alle Parlamentsparteien teilnahmen, ausgenommen die PiS.

Dass Kaczynski sich auch mit der deutschen Volksgruppe in Schlesien, für die Ryszard Galla im Sejm sitzt, überworfen hat, verwundert wohl niemanden.

Tusk und die PO verhehlen nicht, dass Polen noch vor Problemen steht wie dem Bevölkerungsrückgang, der Finanzierung von Vorschulen und dem Gesundheitswesen sowie der Jugendarbeitslosigkeit. Mit Hilfe von EU und deren „stärkstem Land“, Deutschland, werden sie rascher bewältigt werden. Seit 1992 ist Deutschland ununterbrochen und mit Abstand Polens größter Handelspartner, die Kooperation mit Deutschland sichert zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts und über eine Million Arbeitsplätze in Polen. Tusk hat es immer wieder vorgerechnet, die Wähler vertrauten ihm – Kaczynski negierte es, die Wähler bestraften ihn. Paweł Fafara, Chefredakteur von „Polska The Times“, meint, dass die PiS „völlig deklassiert“ sei und nach vier verlorenen Wahlen in Folge und jüngsten schweren Fehlern wie den Ausfällen gegen Merkel sich ihrem Ende nähere. Wolf Oschlies


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