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15.10.11 / Ganz schön katastrophal / Eine Doppelausstellung regt zur Auseinandersetzung mit Heinrich von Kleist an

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Ganz schön katastrophal
Eine Doppelausstellung regt zur Auseinandersetzung mit Heinrich von Kleist an

Ein erster Blick auf das Konzept der Doppelausstellung „Krise und Experiment“ in Berlin und Frankfurt an der Oder könnte durchaus zum Zynismus verleiten: Offenbar war bei Heinrich von Kleist nahezu alles katastrophal, ein Wunder dass der Dichter überhaupt bis kurz nach seinem 34. Geburtstag durchgehalten hat und erst am 21. November 1811 seinem Leben selbst ein Ende setzte.

Sicher kann man Kleists Leben auch unter der Überschrift „Zweifeln und Scheitern“ betrachten, andererseits gilt er als einer der bedeutendsten deutschen Erzähler. Von der tragischen Figur des „Michael Kohlhaas“ hat man im Allgemeinen schon einmal etwas gehört, dem Vernehmen nach wird dieses literarische Meisterstück selbst noch im Jahre 2011 von einigen unerschrockenen Deutschlehrern den Schülern zugemutet. Zudem werden Kleists Dramen bis heute gespielt. Am bekanntesten ist vielleicht „Der zerbrochene Krug“. Auch über 200 Jahre nach seiner Entstehung ist dieses Werk noch als erstklassiges Lustspiel erfolgreich aufführbar.

Lustspiel und tragische Helden? An Widersprüchen, Unstetigkeit und Verwerfungen war das Leben Heinrich von Kleists überreich. Dem versucht die Doppelausstellung gerecht zu werden. Sie bietet Annäherungsmöglichkeiten an Kleist, eröffnet breite Interpretationsspielräume, lässt den Dichter mittels seiner Werke und Briefe selbst ausführlich zu Wort kommen und bietet Gegenwartsbezüge an. Hat man sich ein wenig eingesehen und mit dem zwar nicht krisenhaften, aber doch sehr experimentellen Ausstellungskonzept angefreundet, so lassen sich neue Wege zu Kleist finden. Allen muss man nicht unbedingt folgen, interessant sind sie aber allemal.

Das Ganze ist durchaus nicht ohne Anspruch und ein klein wenig sollte man den Dichter schon kennen, bevor man sich nach Berlin und Frankfurt an der Oder aufmacht, um das Leben, Leiden, Denken und Experimentieren Heinrich von Kleists aus den dort dargebotenen Perspektiven zu betrachten. Aufgrund des großen zeitlichen Abstandes er-scheint er uns fremd, der deutsche Ausnahmedichter, aber fremd erschien er wohl auch seinen Zeitgenossen.

Kleist war in die Umbrüche seiner Zeit, am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts, hineingezogen. Die Ausstellungsmacher folgen der Linie, Kleist habe es von Anfang bis Ende des Lebens für sein Credo gehalten, nicht die Erhaltung des Bestehenden zum Ziel zu erheben. Vielmehr müsse man in Zeiten des Umbruchs lernen, „sich jeglichen Halts zu enthalten“. So jedenfalls fasst es der Präsident der Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft Günter Blamberger in seinem Beitrag für den Ausstellungskatalog zusammen.

Blamberger und der Ausstellungsmacher Stefan Iglhaut zeichnen auch für die kuratorische Leitung der Schau verantwortlich, ebenso wie für die Herausgabe des sehr gelungenen Katalogs. Dieser beschränkt sich bei weitem nicht auf die Wiedergabe und Beschreibung der Objekte und der oft bühnenbildartigen Ausstellungsinstallationen, sondern bietet mittels einer Reihe von Essays nicht nur die Möglichkeit zum vertieften (historischen) Kennenlernen des Dichters, sondern vor allem eine Vielzahl von Anregungen und Reflexionen zur Person und zum Werk Heinrich von Kleists.

Der Berliner Teil der Ausstellung, welcher im Ephraim-Palais gezeigt wird, nähert sich Kleist mittels dreier „Katastrophenräume“ an. Zwar sollte man im Hinterkopf behalten, dass dieser doch arg pessimistische Zugang zu Kleist nur einer ist, jedoch – mit Blick auf die Biografie – kein unberechtigter. Das Trauma der Militärzeit als Kindersoldat, Preußens Katastrophe von 1806 sowie – natürlich – Kleists Selbsttötung sind hier die großen Fixpunkte. Es handelt sich um eine sehr unkonventionelle Ausstellung, die den Besucher immer wieder einbezieht und Verbindungen zur Gegenwart herstellt. Gerade die ansprechende Präsentation eines literaturhistorischen Themas – Hauptobjekt sind hier naturgemäß Texte – stellt eine enorme Herausforderung dar. Selten wurde diese so gut gemeistert wie in der Ausstellung anlässlich des Kleist-Jahres 2011. Dies gilt uneingeschränkt für beide Standorte.

Sind es in Berlin die „Katastrophen“, die zu Kleist führen, so wird im zweiten Teil der Schau, die im Kleist-Museum Frankfurt an der Oder gezeigt wird, ein Zugang mittels „körperlicher und sozialer Identitäten“ des Dichters geboten. Fünf Themenkreise haben hier zur Orientierung gedient: das Bild Kleists, Kleists nahezu symbiotische Beziehung zu seiner Halbschwester Ulrike, seine sonstigen sozialen Vernetzungen, das Geld und schließlich das Schreiben.

Vollständig „erschlossen“ wird Kleist durch die Doppelausstellung nicht. Und das ist gut so! Es handelt sich um Angebote, Annäherungen und mitunter sehr eigenwillige Zugänge und Fokussierungen, die Kleist mitunter in starke Nähe zur heutigen Zeit rücken. Zur weiteren oder erneuten Auseinandersetzung mit dem Dichter wird nicht nur angeregt, diese wird geradezu herausgefordert. Erik Lommatzsch

Gezeigt wird die Doppelausstellung an beiden Standorten (Ephraim-Palais – Stadtmuseum Berlin sowie Kleist-Museum – Frankfurt an der Oder) noch bis zum 29. Januar 2012. Der im Kerber-Verlag erschienene Katalog kostet 19,90 Euro. Weitere Informationen: www.heinrich-von-kleist.org


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