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15.10.11 / Des Kaisers Commissario / Venedig-Krimi einmal anders

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 41-11 vom 15. Oktober 2011

Des Kaisers Commissario
Venedig-Krimi einmal anders

Folgt man den Schilderungen des in Berlin geborenen Autors Nicolas Remin, so ist zuweilen weit Unangenehmeres vorstellbar, als in den 1860er Jahren Commissario im damals noch von den Habsburgern beherrschten Venedig gewesen zu sein. Alvise Tron, der in „Die letzte Lagune“ nun schon seinen sechsten Fall zu lösen hat, stammt aus einer der ältesten Familien der Stadt. Im Café Florian am Markusplatz ist für sein tägliches Frühstück stets ein Tisch reserviert, bei der Auswahl der von ihm heiß geliebten Süßspeisen braucht er sich nicht zurückzuhalten – dass man ihm eine Rechnung bringt, ist eher unüblich. Privat ist die Principessa di Montalcino an seiner Seite. Die erfolgreiche Geschäftsfrau hilft ihm bei seinen Ermittlungen mit so manchem Rat weiter. Bei der Arbeit kann der Commissario wie immer auf die Unterstützung des bewährten Ispettore Bossi setzen.

Dieses Mal ist Alvise Tron durch einen seiner Vorfahren in die Handlung verstrickt. Ein Engländer entdeckt bei Forschungen in Venedig das bisher unbekannte Tagebuch des Zanetto Tron, der den Vierten Kreuzzug (1202–1204) an der Seite des Dogen Enrico Dandolo erlebte. Bekannt war, dass sich der Kreuzzug – entgegen der ursprünglichen Planung widersinnigerweise – gegen das christliche Byzanz wandte. In dem Tagebuch sind nun die „wahren“ Beweggründe für diese Wendung zu erfahren. Allerdings sind diese Gründe so brisant, dass sich mehr als 600 Jahre später nicht nur Historiker dafür interessieren. In Wien sowie im Vatikan kennt man jeweils noch ein weiteres Fragment dieses Tagebuchs. Als der englische Wissenschaftler jedoch bei den entsprechenden Stellen nachfragt, lassen sowohl der Papst als auch der österreichische Kaiser die Existenz dieser Tagebuchteile bestreiten – und schicken Vertraute mit Sondervollmachten in die Lagunenstadt.

Für Tron beginnt das Ganze aber zunächst mit dem Diebstahl eines Eisbechers. Als der Dieb wenig später wegen des wertlosen Bechers ermordet wird, ahnt der Commissario, dass er vor einem größeren Problem steht. Und es bleibt nicht bei einem Toten.

Nicolas Remin, der erst im Alter von 56 Jahren mit der Veröffentlichung seiner Romane begann und der nach eigener Aussage sein Leben hauptsächlich lesend auf dem Sofa verbrachte, hat – neben einem spannenden Kriminalroman – wiederum ein schönes, historisches Venedig-Porträt geliefert. Allerdings ist es bedauerlich, dass nicht etwas mehr Sorgfalt geherrscht hat: Warum ist das mittelalterliche Tagebuch in einem solch saloppen – unglaubwürdigen – Ton geschrieben („… versuche ich, die Schneiderrechnungen über die Firma laufen zu lassen“)? Warum heißt der – historische – Kreuzfahrer-Anführer einmal Bonifaz von Montfort (falsch) und einmal Bonifatius von Montferrat (richtig)? Vom Café Florian bis zur Questura braucht Tron einmal anderthalb Stunden – das ist auch bei dem die Handlung untermalenden, extremen Winter nicht realistisch. Warum ist auf dem Schutzumschlag angegeben, der Roman spiele 1865, obwohl aus der Handlung ausdrücklich hervorgeht, dass der Roman wenigstens ein Jahr nach dem Attentat auf Lincoln – also 1866 – angesiedelt ist? Das nächste Mal bitte etwas mehr Mühe bei den Details!

Erik Lommatzsch

Nicolas Remin: „Die letzte Lagune. Commissario Trons sechster Fall“, Kindler Verlag, Reinbek 2011, gebunden, 365 Seiten, 19,95 Euro


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