28.03.2024

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22.10.11 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 42-11 vom 22. Oktober 2011

Der Wochenrückblick mit Hans Heckel
Alle ins Zelt / Warum wir alle dagegen sind, wieso Schäuble plötzlich Geschenke verteilt, und warum sich die Liberalen immer häufiger verirren

Kinder, war das anstrengend früher, eine politische „Bewegung“ loszutreten. Bevor es losgehen konnte, war jede Menge Vorarbeit zu leisten. Da haben wir uns die Nächte um die Ohren geschlagen und Ziele abgesteckt, Forderungen formuliert und die Hirne durchgeknetet, um auch den letzten Widerspruch aus unserem Programm zu tilgen. Hinterher waren wir vom vielen Vorbereiten meist dermaßen erschöpft, dass zum eigentlichen „Bewegen“ die Kraft fehlte. Wieder nichts.

Mittlerweile haben wir aus unseren Fehlern gelernt und sparen uns den theoretischen Kram. Heute reicht es, irgendwie „dagegen“ zu sein und schon geht es los: Eben noch waren wir gegen Atomkraft und diesen Bahnhof in ... ach, ist ja auch egal ... , und heute sind wir gegen „die Banken“ und „das Finanzkapital“.

Wie man das macht, haben wir in Madrid und Tel Aviv gesehen: Wer empört ist, der geht zelten. Nicht wie früher im Grünen, sondern mitten in der Stadt. Tragischerweise hat den deutschen Protest-Campern keiner erzählt, dass ihre Vorbildveranstaltungen im Sommer stattfanden und außerdem viel weiter südlich. Wie hinterhältig! Nun frieren sie sich auf herbstkaltem Straßenpflaster den empörten Hintern ab.

Andererseits hat das ja auch was besonders Heroisches, denn wer dieses Frostopfer auf sich nimmt, dem geht es bestimmt um etwas Großes. „Der Kapitalismus ist das Problem, das ganze System eben. Das ist zum Untergang verurteilt“, erzählt der junge Mann. Und dann? „Sozialismus!“ So wie in der DDR? „Nein, richtiger Sozialismus!“ Ach ja.

Da müssen dem 68er die Tränen der Rührung in die Augen schießen. So wie dem Hamburger Psychologie-Professor Erich H. Witte. Der 65-Jährige sieht eine neue Zeit zwischen den Zelten und Pappschildern emporsteigen: „Es könnte darauf hinauslaufen, dass ... Geld nicht mehr eine so bedeutende Rolle spielt. Dann sind wir bei anderen Werten angekommen, nach denen eine Gesellschaft leben will.“

Anders muss es werden. Das findet die junge Frau, die zwar nicht zelten will, auch. Aber Sozialismus? „Ach nee, ich weiß nicht ...“ Ihr mache „das alles einfach nur Angst, das mit den Märkten, den Griechen und diesem, wie heißt der noch ... na der von der Deutschen Bank!“ Ackermann. „Ja, dem Ackermann. Angst macht mir das. Irgendwie.“

Professor Wittes schöne neue Welt ohne Geld kann sie sich allerdings auch nicht recht vorstellen. Das liegt vielleicht daran, dass sie als einfache Angestellte nie sicher sein kann, dass ihr der Zaster durch Arbeitslosigkeit nicht wirklich mal ausgeht. Wie fast alle von uns vegetiert sie daher in dem „falschen Bewusstsein“, in welchem wir dem Geld viel zu viel  Bedeutung beimessen. Bislang haben sich nur zwei Bevölkerungsgruppen von dieser verkorksten Einstellung lösen können. Die eine, weil sie so reich ist, dass ihr die Kohle nie ausgeht, so wie der bekannten Millionenerbin, deren Namen wir aus Höflichkeit verschweigen: „Also, ich mache mir nichts aus Geld. Es ist halt da!“ Die andere, weil sie sich nach einem Leben in bestbesoldeter Unkündbarkeit auf einen Ruhestand mit Spitzenpension freuen darf.

Alle anderen haben jetzt Angst oder leiden zumindest unter Schüben von Ärger, Wut und wachsendem Unwohlsein. Für die Politik ist das heikel, weshalb sie sich etwas einfallen lässt, um das grummelnde Volk freundlicher zu stimmen. Finanzminister Schäuble hat angekündigt, das Übel der „kalten Progression“ abzustellen. Beifall! Warum erst jetzt? Weil Schäuble dringend etwas benötigte, was er in sein Schaufenster stellen kann, damit keiner sieht, was er hinten im Laden gerade treibt: Dort bastelt er nämlich die „Fiskalunion“, über die deutsche Steuermilliarden im großen europäischen Topf versenkt werden. Gleichzeitig will er, wie wir schon bemerkt hatten, den EFSF per „Hebel“ auf ein Mehrfaches seiner ohnehin gigantischen Größe aufblähen. Vor diesem Hintergrund wirkt die Abschaffung der „kalten Progression“ wie Freibier auf der Titanic. Ach nein, nicht ganz: Während der Kapitän des tragischen Luxusdampfers noch versuchte, dem Eisberg auszuweichen, hält Käpt’n Schäuble verbissen drauf auf das zerklüftete Ungetüm, während er im großen Saal die Humpen verteilen lässt.

Kein Wunder, dass sich nicht bloß unter Zeltplanen, sondern überall im Lande eine gewisse Bangigkeit breitmacht. Die Deutschen fühlen sich alleingelassen von ihrer Führung, von den Parteien, den großen Banken, von allen, die groß und mächtig scheinen.

Den Parteien tun wir damit aber Unrecht. Keine einzige, die noch nicht öffentlich mit den Protestierern gekuschelt hätte. Sogar Schäuble zeigt „Verständnis“. So viel Zuspruch war nie, man könnte glatt die Orientierung verlieren. Neulich hat Linkspartei-Chef Klaus Ernst sogar zu regelmäßigen Montags-Demonstrationen aufgerufen. Das sagt der Vorsitzende der SED-Erben, aus dessen Partei in schräger Regelmäßigkeit merkwürdige Äußerungen über jenes Stacheldrahtregime quellen, welches damals von den Montags-Demonstranten weggefegt wurde. Ball Paradox.

In Hamburg hat sich Grünen-Landesvorsitzende Katharina Fegebank mit den Zeltdemonstranten solidarisiert. Die Bürger dürften nicht die Zeche zahlen, schimpft sie, während Jürgen Trittin die Bundesregierung vor sich hertreibt mit dem Vorwurf, sie zahle viel zu wenig Zeche an die Gläubiger Griechenlands und das auch noch jedes Mal zu spät.

Die Grünen haben demnach mindestens zwei Meinungen zur Euro-Politik, eine für die Medien in der Hauptstadt und eine entgegengesetzte fürs Zelt. Das ist aber noch gar nichts: Zum großen „Aktionstag“ hat auch die Piratenpartei aufgerufen, die nach eigenem Bekunden überhaupt noch keine Meinung zur Finanzkrise gefunden hat. Dabeisein ist offenbar alles. Angesichts von „Bürgerprotesten“ benehmen sich Politiker wie partysüchtige Großstadtbewohner: Bloß kein „Event“ verpassen! Und wenn die Politiker das können, warum nicht auch die Banker? Sollte uns nicht erstaunen, wenn Josef Ackermann sein Büro demnächst ins Zelt verlegt, um dort „gemeinsam nach Lösungen zu suchen“.

Und Wirtschaftsminister Phi­lipp Rösler? Der ist ebenfalls herzlich eingeladen, auch wenn der sich auf der Suche nach den Demonstranten vermutlich zum Campingplatz am Müggelsee verirrt. Er landet ja gern mal dort, wo ihn keiner erwartet.

Das macht ihm seine Partei, folgsam wie sie ist, selbstredend nach. In Nordrhein-Westfalen hat die FDP der rot-grünen Minderheitsregierung durch die Abstimmung über deren Haushalt geholfen. Das haben die Liberalen nur getan, weil sie den Haushalt inhaltlich richtig finden, sagen die Liberalen. SPD-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte zu der Rechtfertigung indes ein Lächeln aufgesetzt, das sie nur in der Hölle gelernt haben kann. Von dort dröhnen auch die teuflischen Stimmen herauf, die behaupten, die FDPler hätten nur zugestimmt, um Neuwahlen zu vermeiden, bei denen sie im hohen Bogen rausflögen. Wäre der Haushalt gescheitert, wären die Wahlen wohl unvermeidlich gewesen.

Diese Gefahr ist also gebannt. Damit haben die liberalen NRW-Parlamentarier einen weiteren Grund, entspannt in die nähere Zukunft zu blicken. Und ihre Wähler einen, beim nächsten Mal ihr Kreuz woanders zu machen.

In unserer rasanten Zeit ist selbst ein offener Joghurt haltbarer als ein Politiker-Versprechen. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner will die Haltbarkeitsdaten auf Lebensmitteln sogar abschaffen, weil viel zu viel weggeschmissen würde, da die Menschen fälschlich glaubten, die Sachen seien an dem Tag schlecht, an dem das Datum ablaufe. Ja, unsere Lebensmittel – das ist noch Qualität! Den Politikern verfaulen die frischen Worte ja schon im Mund. Wir sind gespannt, was Frau Aigner dazu einfällt. Die grottige Quelle versiegeln?


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