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29.10.11 / Rot-Schwarz hat große Pläne / Berlin soll »Modellstadt« werden: Milliarden, um Kreative an die Spree zu locken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-11 vom 29. Oktober 2011

Rot-Schwarz hat große Pläne
Berlin soll »Modellstadt« werden: Milliarden, um Kreative an die Spree zu locken

Mit kostspieligen Projekten will der neue Senat Berlins Ausstrahlung als Kulturstadt stärken. Bei der architektonischen Gestaltung der immer noch von Krieg und Teilung durchlöcherten Metropole zeigen sich die Verantwortlichen indes recht ratlos. Architekten üben scharfe Kritik.

Berlin soll Modellstadt werden, verkünden SPD und CDU im Rahmen ihrer Verhandlungen um ein Regierungsbündnis im Land Berlin. Doch die hohen Ansprüche beider Parteien, sichtbar in gemeinsamen Verlautbarungen, droht die Möglichkeiten der mit 60 Milliarden Euro verschuldeten Metropole zu sprengen: 270 Millionen Euro für eine neue Zentralbibliothek sind geplant. Ein „Musik-Board Berlin“ soll überdies als „zentraler Ansprechpartner für Belange der Szene“ die Kreativen in der Stadt halten oder anlocken. Der Umsatz der Berliner Musikindustrie wird auf eine Milliarde Euro jährlich geschätzt.

Beide Vorhaben sollen erst der Anfang sein: Schon vor der Wahl hatte die Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten bekanntgegeben, die Kulturausgaben trotz Sparzwang zu erhöhen und damit den selbstauferlegten minimalen Ausgabenzuwachs zu brechen. Ebenfalls noch vor der Wahl hatte der rot-rote Senat den Neubau einer Metropolenbibliothek abgesegnet. Der Bau soll nicht nur zentrales Archiv für Bücher sein, sondern auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof modernste Multimediatechnik bieten. Stadtteilbibliotheken bleiben dagegen im Sparkorsett und schließen um 19 Uhr.

Der Bibliotheksneubau gilt als Lieblingsprojekt von Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Noch im Wahlkampf hatte die CDU das als „unsinnig und nicht zu finanzieren“ bezeichnet. Nun gibt sie ihr Okay. Im Gegenzug für die Zustimmung zum SPD-Projekt will die Union einen symbolischen Spatenstich am Stadtschloss noch in diesem Jahr statt erst 2013, wie bisher vorgesehen. Beide Parteien stellen „uneingeschränkte Unterstützung“ für den Plan in Aussicht, das 1950 gesprengte Gebäude wieder zu errichten. Berlins rund 32 Millionen Euro schwerer Anteil daran scheint somit sicher.

Möglich ist, dass eine von der SPD ins Gespräch gebrachte Bettensteuer, die sogenannte City Tax, weiteres Geld für dieses und andere Kulturprojekte liefern soll. Noch aber lehnt die CDU diese fünfprozentige Übernachtungssteuer für Berlin-Touristen ab. Zwischen den Verhandlungspartnern umstritten ist auch eine neue Kunsthalle. Die CDU hofft hier auf den Einsatz privater Investoren.

Während die angehende Koalition großzügig Kultur plant, sogar finanzielle Unterstützung für durch Lärmklagen von Anwohnern bedrohte Clubs über das neue „Musik-Board Berlin“ erwägt, flammt in der Stadt der Streit ums rechte architektonische Maß wieder auf. Der Berliner Architekt Tobias Nöfer attackiert den baulichen Zeitgeist. Dem Vorstandsmitglied im Berliner Architekten- und Ingenieur-Verein (AIV) missfällt ein Galerie- und Büro-Gebäude auf dem Kunst-Campus am Hauptbahnhof.

Nöfer tadelt den „Hang zur Schießscharten-Architektur“. Die Gebäude seien phantasielos, weil sie nach neuer Berliner Mode allen nur denkbaren Ansprüchen zugleich genügen sollen: „Dazu gehört auch die fast einheitliche Breite der Fenster“, so Nöfer. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher verteidigt indes den aktuellen Baustil: „Ein Bürobau muss zunächst funktional sein, deshalb bietet sich das Raster an. Aber wenn man genau hinschaut, erkennt man deutliche Unterschiede“, sagte sie jüngst der Tageszeitung „B.Z.“. Als Gegenbeispiel nannte Lüscher den Leipziger Platz, wo das mit 450 Millionen Euro aktuell wohl teuerste private Bauwerk der Spreemetropole entsteht. Aufgelockerte Fassaden, Säulen, Schmuck – das spreche beim dortigen Einkaufskomplex gegen den Raster-Vorwurf, so Lüscher.

Zum ersten Spatenstich war im Januar Bürgermeister Klaus Wowereit erschienen und hatte seinerseits architektonische Forderungen erhoben. Überhaupt erlebt Berlin als Kultur- und Baustandort derzeit viel Aufmerksamkeit: Just hat der britische Architekt David Chipperfield für den umstrittenen, weil Kriegsschäden zeigenden Wiederaufbau des Neuen Museums den Deutschen Architekturpreis erhalten, bezeichnenderweise ein Projekt des Bundes. Zwar wurde auch das Berliner Architekturbüro Staab ausgezeichnet, allerdings für den Bau des Albertinums in Dresden.

Berlins Architekturstreit ist kein Zwist auf hohem Niveau oder ein Streit zwischen zugereisten und einheimischen Planern um lukrative Aufträge. Am Leipziger Platz baut beispielsweise der Berliner Star-Architekt Sergei Tchoban als Partner. Das Vorhaben Leipziger Platz, „das die Stadt dringend braucht, wegen der Arbeitsplätze und Perspektiven“, so Wowereit, steht beispielhaft für das Problem der Berliner Politik. Sie hat sich verzettelt. Im Frühjahr hatten Hauptstadtarchitekten diese Art Entwicklungspolitik bereits aufs Korn genommen. Star-Architekt Hans Kollhoff warf der Verwaltung „Versagen“ vor und Meinhard von Gerkan, Architekt des Hauptbahnhofs, sagte, im Umfeld seines Baus entstehe „die primitivste, billigste und ordinärste Architektur“. Insgesamt gebe es zu wenig offenen Wettbewerb und keine Vorstellung, was aus den Quartieren werden könne, mahnten damals junge wie alte Architekten.

Die Kritiker fordern also vor allem mehr Klarheit. Doch statt klarer Vorstellungen, was Vorrang hat, will die Politik die Kulturszene offenbar weiter mit kurzatmigen Ideen halten, so wird moniert. Sverre Gutschmidt


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