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29.10.11 / Fiskalisches Unikum / Staatlich eingezogene Kirchensteuer eine Folge der Säkularisation

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-11 vom 29. Oktober 2011

Fiskalisches Unikum
Staatlich eingezogene Kirchensteuer eine Folge der Säkularisation

Eine Kirchensteuer, die von staatlichen Steuerbehörden eingezogen wird, ist relativ selten auf der Welt zu finden. Sie existiert fast nur noch im deutschsprachigen oder nordeuropäischen Raum. Weltweit finanzieren sich über 80 Prozent der christlichen Kirchen über freiwillige Beiträge oder Spenden.

Die Sonderstellung der Kirchen-steuer erklärt sich aus der Säkula-risation von 1803. Im Zuge der napoleonischen Eroberung verloren die Kirchen beider Konfessionen nahezu ihren gesamten Besitz, aus dessen Einkommen sie bisher die Kirchengebäude und Gehälter ihrer Priester und Pastoren finanziert hatten. Von diesen Enteignungen ausgenommen blieb nur das sogenannte „eigentümliche Kirchengut“, das der Seelsorge, der Caritas und dem Unterricht dienen sollte. Aus den Pfründen und Kirchenstiftungen konnten zunächst die notwendigen Ausgaben leidlich bestritten werden, was sich aber in den folgenden Jahren und Jahrzehnten änderte. Die Industrialisierung und Landflucht, revolutionäre Bewegungen und Kriege sorgten für eine Verarmung der Kirchen, die ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen konnten. So begann Lippe-Detmold 1827 mit der Einführung einer Kirchensteuer, die 1808 in Preußen noch gescheitert war. 1831 folgten Oldenburg und 1835 (durch die rheinisch-westfälische Kirchenordnung) die preußischen Provinzen Rheinland und Westfalen. Sachsen schloss sich 1838, Hessen 1875, Baden 1888, Bayern 1892 und als letztes Land 1905/1906 das übrige Preußen an.

Kirchenkritische, liberale und sozialistische Kräfte konnten es nicht verhindern, dass die Kirchensteuer im Jahr 1919 in den Artikel 137,6 der Weimarer Reichsverfassung aufgenommen und so die entsprechende Regelung aus der Kaiserzeit beibehalten wurde. Auch das Konkordat zwischen dem Deutschen Reich und dem Heiligen Stuhl (1933) sicherte ebenfalls deren Fortbestand und ihren staatlichen Einzug. Erst 1941 beschloss die Reichsregierung per Gesetz, die staatliche Hilfe beim Einzug der Kirchensteuer zu verbieten, weswegen ab 1943 in Bayern eigene Kirchensteuerämter die entsprechenden Beiträge eintrieben.

Als 1949 das Grundgesetz verabschiedet wurde, wurde die Weimarer Regelung im Artikel 140 übernommen. Seitdem ziehen die staatlichen Finanzbehörden acht bis neun Prozent der fälligen Einkommensteuer als zusätzliche Kirchensteuer ein. Dies entspricht etwa ein bis zwei Prozent des Nettoeinkommens einer Person und damit ungefähr auch dem Satz, der in anderen europäischen Ländern für kirchliche oder kulturelle Aufgaben fällig wird. Die evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche erzielen auf diese Weise zusammen rund neun Milliarden Euro an jährlichen Einnahmen. Über 70 Prozent der Kirchensteuereinnahmen werden für soziale Zwecke verwandt. Die Kritik an der Kirchensteuer von linken und liberalen Parteien ist nahezu verstummt, weil die religiösen Gemeinschaften diese sozialen Leistungen wesentlich billiger als staatliche Träger anbieten können. Als ungerecht wird allerdings seit Längerem kritisiert, dass Nicht-Kirchenmitglieder sich an diesen sozialen Leistungen nicht beteiligen. H.E. Bues


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