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29.10.11 / Ein Beruf voller Risiken und Freuden / Hebammen wehren sich gegen finanzielle Belastungen und geringe Vergütungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 43-11 vom 29. Oktober 2011

Ein Beruf voller Risiken und Freuden
Hebammen wehren sich gegen finanzielle Belastungen und geringe Vergütungen

Obwohl die aus den USA stammende Hebamme Ina May Gaskin in diesem Jahr den „Alternativen Nobelpreis“ erhalten hat, ändert das doch nichts an dem Umstand, dass Hebammen grundsätzlich in der gesellschaftlichen Achtung und der Bezahlung Welten von Gynäkologen entfernt sind. Dabei dürfen auch nur sie Geburten allein begleiten. Geburtshilfe ist eine Hebammen vorbehaltene Tätigkeit.

Mit geübtem Handgriff legt die in Hamburg-Volksdorf tätige, freiberufliche Hebamme Janette das Baby auf die Waage. Schon als die jetzt rund vier Monate alte Louisa noch im Bauch ihrer Mutter war, kam Janette regemäßig vorbei, um zu schauen, ob es Mutter und Kind gut geht. Nein, zum Streik der Hamburger Hebammen im Oktober sei sie nicht gegangen, sie habe ihren Frauen versprochen, nicht zu streiken, da in Hamburgs Osten keine Notfallzentrale eingerichtet sei, antwortet sie, nach dem Streik der Hebammen befragt. Allerdings würden rund 27 Euro pro Hausbesuch plus einer von den gesetzlichen Krankenkassen zugesagten Lohnerhöhung von 1,98 Prozent, 5,81 Euro pro Telefonat und Beantwortung von E-Mails der Patientinnen (aber nichts bei SMS) ein sehr überschaubares Einkommen ergeben.

Trotzdem macht Janette einen sehr zufriedenen Eindruck, während sie Louisa begutachtet, wiegt und deren Mutter Hinweise zur anstehenden Zufütterung von Gemüse und Brei gibt. Janette liebt ihren Beruf und weiß, dass Geld nicht alles ist. Gleich nach der Schule hat sie in einer Anwaltskanzlei gelernt, aber das war nicht ihre Welt. Die Arbeit mit den schwangeren Frauen und den dazugehörigen Männern, die Betreuung der Frauen im Wochenbett und der frischgeborenen Babies gefällt der 36-Jährigen viel besser. Janette kann es sich aber auch leisten, die Liebe zum Beruf über die Verdienstmöglichkeiten zu stellen, denn erstens ist sie nicht Alleinverdienerin in ihrer fünfköpfigen Familie und außerdem hat sie ein Quasi-Monopol, denn im Elternzentrum des Volksdorfer Amalie-Sieveking-Krankenhauses bietet sie mit wenigen anderen Kolleginnen Kurse zur Geburtsvorbereitung und zur Rückbildung sowie Krabbelgruppen an. 56 Euro für zehnmal eine Stunde gibt es beispielsweise pro Teilnehmerin im Rückbildungskurs von der gesetzlichen Krankenkasse. In Hamburg sind die Kurse sehr stark nachgefragt, denn in der norddeutschen Hansestadt werden wie in allen Großstädten mehr Kinder geboren als auf dem Land.

Und während Hebammen in Großstädten zumindest kein Problem haben, Patientinnen zu bekommen, sieht das auf dem Land, wo die Entfernungen zwischen den einzelnen Patientinnen auch noch größer sind, deutlich schlechter aus. 27 Euro pro Hausbesuch, ganz gleich wie lange er dauert und wie lange der Fahrtweg ist, da kann am Ende des Monats wenig bei „rumkommen“.

Manche jungen Mütter haben auch die Konsequenz der geringen Entlohnung der Hebammen zu spüren bekommen, denn einige Geburtshelferinnen bessern ihren Verdienst durch den Verkauf von Baby-Pflegeprodukten auf: Schnell wird da der Wochenbettbesuch der Hebamme zu einer Verkaufsveranstaltung.

Traditionell ist die Geburtshilfe ohnehin in erster Linie die Hauptaufgabe der Hebammen, die schon Kinder auf die Welt brachten, lange bevor es Krankenhäuser und Gynäkologen gab. Doch dass ihr Beruf eine lange Tradition hat, bedeutet nicht, dass sie gesellschaftlich hoch anerkannt sind. Ging etwas bei einer Geburt schief, sprich starb ein Kind oder war es behindert, dann war es bis ins 19. Jahrhundert hinein nicht unüblich, der Hebamme die Schuld zu geben und sie wegen Hexerei anzuklagen. Auch heute wird so manche freiberufliche Hebamme zur Rechenschaft gezogen und muss, wenn etwas schief geht und ihr in einem Gerichtsprozess die Schuld hierfür zugesprochen wird, hohe Entschädigungen zahlen. Zwar sind Hebammen inzwischen für diese Fälle haftpflichtversichert, doch eine solche Haftpflicht kostet knapp 4000 Euro im Jahr, was bei einem laut Hebammen-Verband e.V. zu versteuernden Einkommen von rund 15000 Euro pro Jahr eine beachtliche Summe ist.

Als Folge dieser Entwicklung bietet nur noch etwa ein Viertel der etwa 15000 freiberuflichen Hebammen die Betreuung von Geburten an. Eine Hebamme, die also eine Hausgeburt begleitet oder bei der Geburt in einer Klinik durchgehend dabei ist und nicht wie die festangestellten Hebammen mit jeder Schicht wechselt, ist inzwischen selbst in Großstädten nicht mehr leicht zu finden.

Neben den Kosten, an denen sich die werdenden Eltern zumeist beteiligen müssen, kommen natürlich noch die sehr schlechten Arbeitszeiten hinzu, denn Kinder kommen dann auf die Welt, wenn es ihnen passt. Hebammen, die wie Janette selber kleine Kinder haben, können Geburten rein zeitlich gesehen gar nicht begleiten.

So mancher niedergelassene Gynäkologe sieht die Arbeit der Hebammen nicht gern. Viele empfinden die Hebammen als Konkurrenz. Auch hält so mancher die Streiks der Hebammen für übertrieben, schließlich würde ein Frauenarzt für eine Standarduntersuchung einer Patientin auch nur knapp 20 Euro im Quartal abrechnen können, egal wie oft sie zur Sprechstunde kommt.

Ob der Streik der Hebammen etwas bewirken wird, ist fraglich. In Hamburg sind rund 550 Hebammen gewerkschaftlich organisiert, etwa 100 beteiligten sich am Streik. 2010 hatte der Deutsche Hebammenverband e.V. bereits eine Petition beim Bundestag vorangetrieben, die von über 186000 Personen unterzeichnet wurde. Die Politik reagierte lediglich mit einer Studie, in der nun die Verdienstsituation der Hebammen überprüft und die Versorgungslage untersucht werden soll. Eigentlich sollten die Ergebnisse bereits vorliegen, doch noch wird an der Studie gearbeitet.

Die Hamburger Hebamme Janette hat in ihrem Berufsalltag allerdings wenig mit der Verbandspolitik zu tun. Sie bedauert jedoch, dass so wenige Schwangere darüber informiert sind, dass sie bereits während der Schwangerschaft Anspruch auf eine Hebamme haben und nicht erst bei Geburt und im Wochenbett. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bewegt die finanzielle Situation der Hebammen offenbar wenig. Der „Spiegel“ lästerte schon, das könnte daran liegen, dass sich unter den Gynäkologen zwar viele FDP-Anhänger befinden würden, nicht aber unter den Hebammen.

Auch die kleine Louisa kümmert die große Politik wenig, sie krakeelt fröhlich, lächelt Janette an, denn schließlich hat sie schon eine Hebamme, die ihre Arbeit so sehr liebt, dass sie rund um die Uhr auch per SMS auf die zum Teil oft übertriebenen Ängste der jungen Eltern eingeht.

Doch wie die Zukunft aussieht, sprich, ob genügend junge Frauen bei den Verdienstmöglichkeiten den Beruf erlernen und ob es auf dem Land und in der Stadt künftig genügend Hebammen geben wird, hierüber wird vielleicht die Studie einige Informationen liefern. Rebecca Bellano


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