23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
05.11.11 / Die Spitzel sind noch unter uns / DDR-Bürgerrechtler setzten die Offenlegung der Stasi-Archive durch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-11 vom 05. November 2011

Die Spitzel sind noch unter uns
DDR-Bürgerrechtler setzten die Offenlegung der Stasi-Archive durch

Die heikelste Hinterlassenschaft der untergegangenen DDR waren die Akten der Staatsicherheit. Wie brisant sie waren, wusste die Stasi selbst am besten. Spätestens seit dem Mauerfall begann sie mit Hochdruck ihre Zeugnisse zu vernichten.

Weil die Reißwölfe wegen Überbeanspruchung immer öfter ausfielen, wurden Akten auf Lastwagen verladen und auf Müllkippen verbrannt. Auch aus den Schornsteinen der Heizhäuser der Stasigebäude drang schwarzer Rauch.

Anfang Dezember 1989 war die Empörung der Bevölkerung über die Aktenvernichtung so groß, dass dagegen vorgegangen werden musste. Den Beginn machten die Thüringer, indem sie am 4. Dezember die Bezirkszentrale der Staatssicherheit in Erfurt stürmten. Die Besetzer fanden zahlreiche Spuren einer umfangreichen Zerstörung. Sie verriegelten die Archive und schützten den Bestand vor weiterem Zugriff. Ab sofort kontrollierte ein Bürgerkomitee die Anlage.

Die Nachricht von der erfolgreichen Besetzung in Erfurt wurde das Signal für die Besetzung aller anderen Bezirks- und Kreisdienststellen der Staatsicherheit in der DDR. Am 15. Januar 1990 wurde auch die Zentrale in Berlin von den Bürgerrechtlern erobert.

Parallel dazu erzwang die Bürgerbewegung am Runden Tisch, der im Dezember 1989 als Ersatz- Administration ins Leben gerufen worden war, weil die letzte SED-Regierung Modrow über keinerlei Autorität mehr verfügte, die Auflösung der Staatssicherheit. Zwar versuchte Modrow mit zwei Neugründungen, dem „Verfassungsschutz“ und dem „Nachrichtendienst“, diesen Beschluss zu unterlaufen, was aber nicht gelang. Die politische Geheimpolizei der DDR musste vollständig abgewickelt werden.

Das war kein einfaches Unterfangen, denn es handelte sich um einen Dienst mit zuletzt 91000 hauptamtlichen und 173000 inoffiziellen Mitarbeitern. Dazu kam noch die „Hauptverwaltung Aufklärung“ (HVA), die Auslandsspionage der Stasi, mit 3800 offiziellen und 11500 inoffiziellen Beschäftigten.

Ein großer Fehler unterlief den Bürgerrechtlern, als sie am Runden Tisch ihre Zustimmung gaben, dass die HVA sich selbst auflösen und ihre Akten vernichten durfte. Den Offizieren unterliefen dabei glück­licherweise Fehler, sodass eine Mikrofilmkartei in den Besitz der CIA gelangte. Eine Kopie dieser Kartei wurde inzwischen nach einer Intervention von Bürgerrechtlern bei Präsident Bill Clinton an Deutschland zurück­gegeben.

Damit war es wieder möglich, das Kapitel Westmitarbeiter der Stasi aufzuklären. Wie tiefgehend die Stasi die Geschichte der Bundesrepublik beeinflusst hat, wurde schlaglichtartig klar, als sich herausstellte, dass der Mörder des Studenten Benno Ohnesorg, Karl-Heinz Kurras, im Dienste der Stasi stand.

Als sich die schnelle Vereinigung abzeichnete, war die Frage, wie mit den Akten der Staatssicherheit umgegangen werden sollte, einer der größten Konfliktpunkte bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag. Fast bis zum Schluss wehrte sich die westliche Seite, den Beschluss der Volkskammer, die Stasiakten zu öffnen und den Verfolgten zugänglich zu machen, in den Eini­gungsvertrag aufzunehmen. Es bedurfte einer erneuten Besetzung der ehemaligen Stasizentrale und eines Hungerstreiks von Bürgerrechtlern, ehe es zu einer Aufnahme in den Vertrag kam.

Im ersten Bundestag des vereinten Deutschland war es wiederum die kleine Gruppe von Bündnis 90/Grüne (Ost), die dafür sorgte, dass das Vermächtnis der Volkskammer auch Gesetz wurde. Den acht Aufrechten gelang es, die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten von der Notwendigkeit der Stasiaktenöffnung zu überzeugen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz trat am 29. Dezember 1991 in Kraft, am 2. Januar 1992 konnten die ersten Bürgerrechtler ihre Akten einsehen. Was zum Vorschein kam, erschüttert die Öffentlichkeit bis heute. Vera Lengsfeld


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren