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05.11.11 / Böses Erwachen in Libyen / Gaddafi-Anhänger noch immer aktiv – Islamisten die einzig einigende Kraft im Land?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-11 vom 05. November 2011

Böses Erwachen in Libyen
Gaddafi-Anhänger noch immer aktiv – Islamisten die einzig einigende Kraft im Land?

Was waren das für beeindruckende Szenen: Tausende friedliche Demonstranten auf der Mittelmeerpromenade von Bengasi. Studenten bauten Zelte auf. Jungen und Mädchen säuberten gemeinsam die Straßen. „Juden und Christen sind unsere Brüder“, wurde mit strahlenden Augen verkündet. Doch die Disziplin von damals hat Risse bekommen.

Im Februar und März 2011 wurde noch jeder ausländische Reporter in der libyschen Cyrenaika selbst ohne Visum und Einreisestempel als „Verbündeter“ im Kampf gegen Muammar al Gaddafi mit großer Herzlichkeit empfangen. Doch wo noch vor einigen Monaten die (männliche) Jugend am nächtlichen Lagerfeuer über Allah und die Welt diskutierte, sammeln sich nun in der Dunkelheit ausschließlich Bewaffnete und Drogenabhängige. Die beiden freien Medienzentren sind zugrunde gerichtet. Auf die zahlreicher werdenden Streitereien zwischen diversen Personen und Gruppen folgen meist wüste Schüsse – in die Luft. Ohne organisierte Polizei ist dies kein Wunder.

In anderen Landesteilen geht es derweil seit Monaten wirklich blutig zur Sache. Bengasi und dem gesamten Osten von Libyen kommt trotz aller Probleme immerhin zugute, dass die hier ansässigen Familienstämme über die Jahrhunderte ein gereiftes Gesellschaftsgefüge entwickelt haben. Einschneidende Konflikte werden seit jeher von Clanführern besprochen und nach Möglichkeit im Einvernehmen gelöst. Hier im Osten gibt es viele gemeinsame Interessen. Gaddafi setzte seine Sichtweisen vor allem im Westen und Süden Libyens um. „Bengasi war schon immer lockerer – und weit weg vom Zentrum der Macht“ so der italienische Maschinen-Unternehmer Antonello Cavallanti, 1978 und 2006 im Land vertreten. Nur deshalb konnte die Gegenrevolution des Jahres 2011 von Aschdabija bis Tobruk innerhalb weniger Tage Fuß fassen, während sie andernorts wie in Tripolis scheiterte oder ganz ausblieb wie in Sirt.

Das Eingreifen der Nato hat nicht nur die Aufständischen im Osten beschützt. Kriegführung und Geldspritzen haben nach fünf Monaten dazu geführt, dass die Flagge des alten (Cyrenaika-) Königreiches nun auch in der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes weht. Derweil bittet der Übergangsrat die westliche Allianz darum, die Militärangriffe noch bis Jahresende fortzusetzen. Das Problem: In der Landesmitte, vor allem um Jufrah, sind selbst nach der schwerfälligen Einnahme von Sirt und Bani Walid noch immer bewaffnete Feinde der „neuen Ordnung“ aktiv. Nicht nur, dass sie bis an die Zähne bewaffnet sind, die Kämpfer werden auch von ihren Stämmen gedeckt. Gaddafa, Magarha, Warfalla und Hassauna trauern um „ihren Revolutionsführer“. Auf der anderen Seite haben die scheinbar siegreichen Post-Oppositionellen bis heute keine einheitliche Armeestruktur aufbauen können. Während sich im Dunstkreis von Bengasi nur drei Kämpfer-Vereinigungen herausgebildet haben, muss man im restlichen Land von hunderten Milizen ausgehen. Die meisten Kämpfer stellen sich dazu auf den Standpunkt, in ihrem Heimatort zu verbleiben und keine Probleme in anderen Stammesgebieten verursachen zu wollen. Somit hat die neue „Führung“ nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ wenig aufzubieten, um das zerrissene Land mit Gewalt zu einen. Es gab dezente Hoffnungen auf einen Dialog. Doch wie soll der aussehen? Jetzt, da das zusammenschweißende Feindbild der einen, und der Anführer der anderen nicht mehr am Leben ist.

Ein Informationsbeschaffer des Übergangsrates, zuletzt aus dem Schweizer Exil zurückgekehrt, berichtet aus seiner Heimatstadt Misratah Bedenkenswertes: „Wir haben es hier mittlerweile mit über 100 bewaffneten Gruppen zu tun – und hinter den meisten stehen schwerreiche Paten, die es in der Vergangenheit durch eine Mischung aus Unternehmergeist und Korruption zu viel Geld gebracht haben. Die einzige Einheit, die das Gemeinwohl noch hochhält, ist die islamische Al Farouk, die von libyschen Afghanistan-Veteranen geführt wird.“ „Al Farouk“ (zu Deutsch „Trennung von Gut und Böse“), die für einen Gottesstaat am Mittelmeer kämpft, ist aus dem Sammelbecken der „Libysch-Islamischen Kampfgruppe“ aus den 90er Jahren entstanden. Islamisten als die einzig einende Kraft im Land? Der Informant, früher selbst im „Heiligen Krieg“ gegen Gaddafi aktiv, und nun ganz zufrieden mit Freiheit, Wohlstand und Frieden im Alpenland, bringt es auf den Punkt: „Ich habe Angst um meine Heimat.“ Billy Six


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