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05.11.11 / Im Deutschen Bundestag angekommen / Ausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen über die Integration der Vertriebenen in Deutschlands erster Kammer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-11 vom 05. November 2011

Im Deutschen Bundestag angekommen
Ausstellung des Zentrums gegen Vertreibungen über die Integration der Vertriebenen in Deutschlands erster Kammer

Es waren Millionen von Menschen, die über die Ostsee unter sowjetischen U-Boot- und Fliegerangriffen bei Minengefahr und beißender Kälte oder über verstopfte Straßen und Wege aus dem Feuer zwischen den Frontlinien, mit den Flüchtlingstrecks, nach durchlebten Massenvergewaltigungen und Morden an ihren Angehörigen und Verwandten, durch den Bombenhagel der Städte entkräftet und traumatisiert im Rest- und damit im Nachkriegsdeutschland ankamen. Zwölf bis 15 Millionen Menschen standen vor dem Nichts, mit leeren Händen, hungrig, als Obdachlose auf den Straßen zerbombter Städte. Die Ausstellung „Angekommen“ erzählt von jenem Neuanfang dieser Menschen. Sie ist noch bis zum 18. November in der großen Halle des Paul-Löbe-Hauses des Bundestagsgebäudes zu sehen.

Das „Danach“ war gekennzeichnet von einer „Vielzahl menschlicher Härten, Leid der Betroffenen und Spannungen zwischen Alteingesessenen und Neuankömmlingen“. Die Neuankömmlinge waren keine Fremden, hatte man doch den Krieg gemeinsam verloren. Die Vertreibung als besonderes Schicksal war zufällig, nicht nach Verschulden, sondern rein geografisch. Selbst vormals fanatische Parteigenossen, Mitglieder des Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK), SA- oder SS-Leute wurden in Köln oder Hamburg in aller Regel nicht mitsamt der ganzen Familie vertrieben. Dennoch: Die Deutschen aus den preußischen Provinzen, dem Sudetenland und östlich beziehungsweise südöstlich davon verschärften dort schon durch ihr Erscheinen die Situation von fehlendem Wohnraum und Mangelernährung. Soziale und wirtschaftliche Ausgrenzung waren die Folge. Ihre Verteilung auf die Besatzungszonen beziehungsweise Länder erfolgte nach zähen Verhandlungen. Die Besatzungsmächte setzten die Unterbringung von Vertriebenen durch Wohnraumerfassung, Beschlagnahmen und Wohnraumzuweisungen durch. Für viele gab es trotzdem keine Wohnung, sie blieben zunächst in den Lagern oder hausten in verlassenen, feuchten Bunkern ohne Licht. Zuzugsverbote in die zerstörten Großstädte wurden von ihnen als zusätzliche Herabsetzung empfunden.

Viele Vertriebene lebten bis in die 50er Jahre in Hunderten von Lagern, in den Provisorien der „Fliegerbaracken“, bald als Nissenhütten verschrien. In räumlicher Enge, katastrophalen hygienischen Verhältnissen, unter Seuchengefahr und mit Lebensmittelrationen, die zum Überleben oft nicht reichten, waren sie die neuen Armen, einstige Bewohner stolzer Regionen jenseits der Grenzen oder Einwohner ganzer Provinzen des Deutschen Reiches. In den Wintern 1946 und 1947 wüteten Hungersnöte, nach Schätzungen starben im besetzten Deutschland 200000 Menschen durch Kälte und Unterernährung.

Im kommunistischen Machtbereich des besetzten Mitteldeutschlands waren die Vertriebenen bei der Bevölkerung zunächst ebenso unwillkommen, doch ließen sie sich aufgrund ihrer Notlage gut instrumentalisieren, etwa um politisch missliebige Menschengruppen zu vertreiben, etwa bei der Binnenvertreibung der deutschen Quasi-„Kulaken“ in der sogenannten Bodenreform, oder um gesellschaftliche Prozesse anzutreiben, etwa bei Industrialisierung und Zwangskollektivierung. Ihre gesellschaftliche Existenz als „Umsiedler“ endete 1953, eine eigene Organisation oder Vertretung erhielten sie nicht. Heimliche Treffen – etwa der Ostpreußen – an unverdächtigen Stellen (im Zoo) wurden von der Staatssicherheit argwöhnisch und akribisch beobachtet.

In den westlichen Teilen Deutschlands hingegen verpflichtet das Bundesvertriebenengesetz seit 1953 Bund und Länder, das kulturelle und historische Erbe der deutschen Ostprovinzen zu sichern und zu bewahren. Mit dieser Statusklärung, den eigenen Organisationen, dem Bundesvertriebenenministerium und Starthilfen wie dem Lastenausgleichgesetz gelang im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs die Integration der Vertriebenen in Arbeitsprozesse, ihre Versorgung und ihre politische Integration. Die Erinnerung an die geliebte Heimat wird etwa im Ostpreußischen Landesmuseum wachgehalten. Trotzdem blieben die Traumata weitgehend unbehandelt, übertrugen sich psychische Langzeitfolgen von Vertreibung und Gewalterfahrungen auch auf die zweite und dritte Generation der betroffenen Familien.

Mit der Verhinderung des Ostpreußen, ehemaligen Vertriebenenministers und CDU/CSU-Fraktionschefs Rainer Barzel als Bundeskanzler durch Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit der DDR und die so herbeigeführte Kanzlerschaft von Willy Brandt kam es mit der neuen „Ostpolitik“ zu einer „tiefgreifenden Entsolidarisierung weiter Teile von Politik und Gesellschaft mit den Anliegen der Vertriebenen“. Vertreter der deutschen Linken sahen dies später zumindest in Teilen als schweres Versäumnis an, wie es der Bundestagspräsident Norbert Lammert in seiner Eröffnungsrede zum Ausdruck brachte. Er zitierte den Schriftsteller Günter Grass mit seiner Figur des Alten aus der Erzählung „Im Krebsgang“: „Niemals, sagt er, hätte man über so viel Leid, nur weil die eigene Schuld übermächtig und bekennende Reue in all den Jahren vordringlich gewesen sei, schweigen, das gemiedene Thema den Rechtsgestrickten überlassen dürfen. Dieses Versäumnis sei bodenlos.“ Lammert unterstrich, dass die Vertreibung zu den Tragödien des 20. Jahrhunderts gehört, die man nicht verschweigen, verdrängen, vergessen dürfe.

Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) Erika Steinbach umriss die Dimension der Integrationsleistung, die Alfred Grosser als „größte sozial- und wirtschaftspolitische Aufgabe“ bezeichnet hatte: Niemals seit dem Dreißigjährigen Krieg seien die demografischen und auch konfessionellen Verhältnisse derart umgewälzt worden. Die Ausstellung „Angekommen“ in der großen Halle des Paul-Löbe-Hauses des Bundestagsgebäudes beschreibe jene „Ethnomorphose“, die Entstehung „eines neuen Volkes aus Binnendeutschen und Ostvertriebenen“, die der Soziologe Eugen Lemberg einst beschrieb. Das nach dem im Sommer 1945 aus Schlesien vertriebenen Reichstagspräsidenten benannte Hauptarbeitsgebäude liegt zum einen direkt gegenüber dem Reichstag und zum anderen gegenüber dem Bundeskanzleramt. Paul Löbe war einer jener Bundestagsabgeordneten, die ihre Heimat im früheren deutschen Osten hatten, so wie „Herbert Hupka, Herbert Czaja, Erich Mende oder der Ostpreuße Rainer Barzel, aber auch … Wolfgang Thierse“. Unter den interessierten geladenen Gästen der frisch eröffneten Premieren-Ausstellung waren zahlreiche Vertreter des diplomatischen Corps, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Landsmannschaften wie Stephan Grigat für die Ostpreußen. Gunnar Digutsch

Die Ausstellung „Angekommen“ ist montags bis donnerstags 11 Uhr und 14 Uhr sowie freitags um 11 Uhr nach vorheriger Anmeldung per Telefon (030) 227-38883 oder per E-Mail: info-ausstellungen-plh@bundestag.de im Paul-Löbe-Haus, Eingang West, Konrad-Adenauer-Straße 1, Berlin-Mitte, zu besichtigen. Weitere Informationen erteilt das Zentrum gegen Vertreibungen, Fried­richstraße 35/V, 65185 Wiesbaden, Telefon (0611) 3601928, Fax (0611) 3601929 und dessen Organisationsbüro, Godesberger Allee 72-74, 53175 Bonn, Telefon (0228) 8100730, Fax (0228) 8100752, E-Mail: info@z-g-v.de


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