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05.11.11 / Russlands verkanntester Staatsmann / Im 220. Todesjahr bemühen sich Landsleute um die Rehabilitierung des Namensgebers der Potjomkinschen Dörfer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 44-11 vom 05. November 2011

Russlands verkanntester Staatsmann
Im 220. Todesjahr bemühen sich Landsleute um die Rehabilitierung des Namensgebers der Potjomkinschen Dörfer

Die „Potemkinschen Dörfer“, also jene Dorf-Kulissen, mit denen er seiner Zarin Katharina der Großen angeblich Wohlstand vorgaukelte, als diese das neueroberte Krimgebiet besuchte, prägen das Bild von Fürst Grigorij Potjomkin von Taurien. Und George B. Shaw tut es, der 1913 in seiner Burleske „Great Catherine“ urteilte: „Potjomkin ist ein gewalttätiger, brutaler Barbar, ein neureicher Despot, unduldsam, gefährlich, faul, hässlich, abstoßend in seinen Gewohnheiten.“ Das wollen nun Russen ändern, indem sie versuchen, das 220. Todesjahr ihres 1739 geborenen Landsmannes zu seiner Rehabilitierung zu nutzen.

Das Bild vom Kulissenschieber Potjomkin hält sich in der Weltliteratur, ist dabei längst als eine vom sächsischen Gesandten Hellweg damals lancierte Verleumdung entlarvt. „Potjomkinsche Dörfer“, sagen die Russen heute in stolzer Ironie, waren Cherson, Nikolajew, Sewastopol, Jekaterinoslaw und weitere Städte, die Potjomkin gegründet und zu Zentren blühender Landschaften im neurussischen Süden gemacht hatte. Aber Shaws „Optik“ wirkt noch, denn wenn Nichtrussen ihn überhaupt erkennen, dann als Nägel kauenden russischen Rüpel.

Dabei war der niedere Landadlige Potjomkin hochbegabt, zudem von dem deutschen Physiker und Theologen Johann von Luetke an dessen Moskauer Schule gut vorgebildet. 1757 wurde er zusammen mit den elf besten Studenten Russlands der Zarin vorgestellt – aber 1760 wegen Faulheit von der Moskauer Universität gefeuert, worauf er zur Armee ging. So begann Potjomkins Weg als genialer Exekutor der Pläne von Zarin Katharina.

Nur Shaw sah die 1729 als deutsche Prinzessin von Anhalt-Zerbst geborene Gattin des Zaren Peter III. als tumbe Deutsche, die Russisch mit deutschem Akzent radebrechte. Tatsächlich wurde Katharina zur Mutter Russlands, nachdem im Juni 1762 eine Offiziersverschwörung sie auf den Thron geputscht hatte.

Bei den Putschisten zeichnete sich der Gardeoffizier Potjomkin aus, nun von der Zarin mit 10000 Rubeln belohnt und zum Obristen befördert. Das war der Start einer einmaligen Karriere, die Potjomkin zu den Gipfeln militärischer und politischer Macht führte. Bereits 1772 bekam er von der Zarin den offiziellen Titel „Favorit“, was man zu allen Zeiten als „Geliebter“ dechiffrierte. Dabei bedeutete es erster Berater der Herrscherin und hatte mit Erotik nichts zu tun. In Russland hält sich zudem die Mär, er habe am 8. Juni 1774 heimlich Katharina geheiratet, was Unsinn sein dürfte.

In der Machtpyramide ganz oben platziert, griff Potjomkin die von Zar Iwan Grozny im späten 16. Jahrhundert begonnene Politik wieder auf, von den Osmanen weite Regionen zu erobern und sie Russland anzufügen. In den zwei russisch-türkischen Kriegen von 1768 bis 1774 und von 1787 bis 1792 nahm er das nördliche Schwarzmeergebiet ein. 1783 annektierte er die Krim, deren griechischen Namen „Taurien“ er fortan als Ehrentitel führte. 1787 besuchte die Zarin das von Potjomkin erworbene, befriedete und ökonomisch entwickelte „Neurussland“, dessen Bevölkerung und deren Wohlstand laufend zunahmen, unter Potjomkin als „Vizekönig des Südens“.

Auch das Ausland bemühte sich um Potjomkins Gunst. Preußen verlieh ihm den Hohen Orden vom Schwarzen Adler. Ähnlich ehrten ihn Dänemark und Schweden. In Wien erhob Kaiser Joseph II. ihn 1776 zum Fürsten des Heiligen Römischen Reichs. Mit Frankreich schloss er 1786 einen bilateral vorteilhaften Wirtschaftsvertrag. Wer sich ihm, wie die Osmanen, überlegen fühlte, musste Lehrgeld zahlen: Nachdem er französische Festungsingenieure ausspioniert hatte, provozierte er die Osmanen 1787 zum Krieg, den er an der Spitze von 150000 Soldaten siegreich führte und mit einem weisen Friedensvertrag abschloss. Damit war die russische Landnahme am Schwarzen Meer beendet und die Herrscherin wie ihr „Favorit“ hofften auf die Realisierung ihres seit 1782 verfolgten „Griechischen Projekts“, die Restitution des Reichs von Byzanz, jetzt unter russischer Führung.

Potjomkin hatte eine unter russischen Politikern seltene Eigenschaft: Er stellte das Wohl des Staates über sein persönliches. Natürlich kam er nicht zu kurz. Man schätzt, dass er aus der Staatskasse über 50 Millionen Rubel erhalten hat, dazu Ländereien, Paläste und Zehntausende Leibeigene. Aber seine Loyalität und Lauterkeit brachten ihm so viele höchste Ämter ein, dass sein erster deutscher Biograph, Samuel Baur, eine ganze Seite für die bloße Aufzählung brauchte. Minister und Feldmarschall gehörten ebenso dazu wie Oberbefehlshaber der russischen Armee, Generalgouverneur des russischen Südens und Großadmiral vom Schwarzen Meer. In einem Poem bespöttelte der Dichter Gawril Derschawin die Allgegenwart seines Zeitgenossen Potjomkin: Mit einer Hand spielt er Schach, mit der anderen nährt er Völker, mit einem Fuß tritt er Feinde, mit dem anderen betritt er eroberte Ufer.

Seine militärischen Erfolge errang Potjomkin mit einer im Grunde untauglichen Armee. Von jeweils 200 Leibeigenen musste einer Soldat werden und lebenslang dienen. Verständlich, dass die Gutsherren der Armee nur unfähige Bauern überließen. Eine geschulte Reserve kannte diese Armee nicht. Ihr Ausbildungssystem der „palotschnaja muschtra“ (Knüppel-Drill) trieb den Soldaten jegliche Motivation aus. Erst 1794, also nach seinem Tod, wurde die Wehrpflicht auf 25 Jahre gesenkt. Allerdings gingen dem zahlreiche kleinere Reformen voraus wie die Milderung körperlicher Strafen und die Verbesserung von Uniformen und Waffen, die sein Verdienst sind. Die von Katharina umworbenen und von Potjomkin angesiedelten Deutschen waren zu ihrem Glück vom Wehrdienst befreit.

Die Malaria wurde Potjomkin schließlich zum Verhängnis. Der Tod ereilte ihn unweit der moldauischen Stadt Jassy auf dem Weg nach Nikolajew. Eine Woche brauchte die Todesnachricht bis nach Sankt Petersburg, wo die Zarin sie mit Entsetzen aufnahm, wohl ahnend, dass ohne Potjomkin aus dem „Griechischen Projekt“ nichts werden könne. Sie ließ ihn in Cherson bestatten. Ihr unfähiger Sohn und Nachfolger Paul I. riss ihn wieder aus dem Grab. Wie man das von Potjomkin an Russland angerichtete „Unheil“ beseitigen könne, fragte er. „Die Krim und das Schwarze Meer hergeben“, antworteten Spötter. Erst heute, so russische Historiker, wäre der dumme Paul wohl zufrieden, weil Russland seitdem fast alles wieder verloren hat, was Potjomkin errang. Wolf Oschlies


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