29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
12.11.11 / Grüne im Grabenkampf / Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der SPD spaltet Künasts Partei

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-11 vom 12. November 2011

Grüne im Grabenkampf
Scheitern der Koalitionsverhandlungen mit der SPD spaltet Künasts Partei

Berlins Grüne stehen vor der Zerreißprobe zwischen linkem und gemäßigtem Flügel. Seit mehr als zehn Tagen sträubt sich die Parteilinke, die beiden regulär wiedergewählten Fraktionsspitzen Volker Ratzmann und Ramona Pop anzuerkennen. Vermittler sollen schlichten, während Basis und Grünenwähler die Wut ergreift.

Das Modell Rot-Grün ist nach dem Scheitern rot-grüner Koalitionsgespräche im Land Berlin beschädigt. Darüber enttäuschte Grüne und Sozialdemokraten haben als Rettung ihres gemeinsamen „Projekts“ eine gemeinsame Denkfabrik ins Leben gerufen. Das „Denkwerk Demokratie“ soll ab 2012 neue Schnittmengen für rot-grüne Bündnisse vorgeben. Vor allem linke Grüne unterstützen das Projekt.

Waren die unmittelbaren Reaktionen führender SPD-Politiker schon zurück-haltend, so führt ausgerechnet der linke Flügel der Berliner Grünen im aktuellen parteiinternen Streit vor, wie schwer es der Partei insgesamt fällt, intern einen Burgfrieden zu schmieden. Sie führt einen Streit mit sich selbst, ringt sogar mit der Spaltung. „Was ihr in der Hauptstadt passiert, droht ihr auch im Bund: Enttäuschung und Zersetzung“ analysiert „Der Tagesspiegel“. „Wir haben es Klaus Wowereit zu einfach gemacht, sich Rot-Grün zu entziehen“, schimpft Cem Özdemir, Grünen-Bundesvorsitzender.

Längst geht es nicht mehr darum, dass Rot-Grün eine „Schippe drauflegen“ muss, wie er die Lage beschreibt. Die Enttäuschung an der Basis heizt grüneninterne Flügelkämpfe an. Beide Berliner Flügel sind sich schon seit längerem nicht grün: Kreuzberger Linke hier, bürgerliche Befürworter von Schwarz-Grün dort. „Die Schärfe dieses Konflikts wird niemanden für uns einnehmen“, warnt Özdemir. Der aktuelle Streit um die Doppelspitze Ratzmann-Pop bildet nur den Kristallisationskern der Auseinandersetzung. Nur in Bayern leisten sich die Grünen auf Landesebene noch die Eigentümlichkeit von zwei gleichberechtigten Vorsitzenden nebeneinander.

Was der Frauenförderung dienen soll, droht an der Spree die Grünen nun zu sprengen, weil weder Ratzmann noch Pop dem linken Parteispektrum angehören, Realos somit allein das Spitzenduo stellen. Beide gehörten zudem der Verhandlungsgruppe um die gescheiterten Koalitionsgespräche mit Klaus Wowereits SPD an.

Der linke Flügel will sie nun für deren Scheitern am Thema Autobahn 100 abstrafen. „Auch ich habe gegen die A100 demonstriert und bin heftig gegen deren Bau. Aber Wowereit nochmal zum Schwur zu veranlassen, war nicht nötig. Das hat die Verhandlungen am Ende erschwert“, bilanzierte der bundesweit bekannte Parteilinke Hans-Christian Ströbele.

Seit der Wahl der beiden fordern ihre unterlegenen Gegner Dirk Behrendt und Canan Bayram, einer der Parteichefs solle den Posten räumen. Das neue Duo, aber auch das grüne Demokratieverständnis, bleiben davon nicht unbeschädigt, handelte es sich doch um eine reguläre Wahl, in der jedoch das grüne Bedürfnis, Minderheiten einzubinden, scheiterte.

Nun drohen Linke sogar mit einer Art von Nebenparteipolitik: Weil die neue Doppelspitze der Parteilinken in der Integrationsdebatte, bei Flüchtlings- und Bürgerrechtsfragen nicht links genug ist, sehe man sich gezwungen, das selbst nach außen darzustellen, so der Tenor der unterlegenen Linken. Behrendt und Bayram drohen, im Parlament mit Angehörigen anderer Fraktionen auf eigene Faust zusammenzuarbeiten.

Die Situation ist verfahren: Die demokratische Wahl der neuen Spitze zurückzunehmen verbietet das grüne Selbstverständnis, einen Amtsverzicht ebenso. Manche Grüne wie der Abgeordnete Benedikt Lux verteidigen die Doppelspitze weiter: „Das nützt uns massiv, vielleicht gerade auch in unserem aktuellen Konflikt.“ Andere sind dagegen nur wütend, so der grüne Kreisvorsitzende für Steglitz, Norbert Schellberg: „Wir haben es nicht ins Rote Rathaus geschafft, dann ist die rot-grüne Koalitionsbildung gescheitert, und jetzt vermasselt die Linke den Neustart in der Opposition.“

Im Berliner Flügelstreit tritt der Kampf zwischen schwarz-grünen und rot-grünen Bündnisbefürwortern hart wie nie zutage. Linke wie Ströbele kritisieren: „Wir haben uns unnötig in eine Debatte um Grün-Schwarz drängen lassen.“ Auch die Kandidatur von Renate Künast und ihr Griff nach dem Bürgermeisteramt wühlen die Partei bis in die Bundespolitik hinein weiter auf. Özdemirs Vorgänger Reinhard Bütikofer bemängelt, Künast habe den Wahlkampf mit einer „Mischung aus Selbstüberschätzung und Fahrlässigkeit“ geführt. Der Realo Bütikofer wirft Künast vor, Schwarz-Grün unnötigerweise ausgeschlossen zu haben.

Es scheint, als stünde die zunehmend an bürgerlichen Wählern ausgerichtete Parteimehrheit davor, ihre linken Parteiwurzeln nebst verbliebenen Vertretern absprengen zu wollen, um weiter wachsen zu können. Diese Spaltung sollen die Alt-Grünen Michaele Hustedt und Wolfgang Wieland als Vermittler verhindern.

Das wird trotz Vorschusslob aus beiden Lagern durch die im November anstehende Wahlnachlese erschwert. Im Internet kündigt die Partei an, „Strategie und Kampagne dann auch öffentlich diskutieren“ zu wollen. „Wir hoffen, dass möglichst viele von Euch sich aktiv an dieser Auswertung beteiligen.“ Bis Ende November sollen aber auch die internen Schlichtungsgespräche abgeschlossen sein – ihr Ziel: eine „schlagkräftige Fraktion hinzukriegen“, so der Parteilinke Dirk Behrendt.         Sverre Gutschmidt


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren