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12.11.11 / Straßenbau auf regionale Ebene verlagern / Gouverneur Zukanow ist über die Praxis der Auftragsvergabe im russischen Straßenbau verärgert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 45-11 vom 12. November 2011

Straßenbau auf regionale Ebene verlagern
Gouverneur Zukanow ist über die Praxis der Auftragsvergabe im russischen Straßenbau verärgert

An Programmen und Projekten zur Verbesserung der Straßen im Köngisberger Gebiet ist kein Mangel, Vorrang hat wie jedes Jahr das „Föderale Straßennetz“, von dem allein in diesem Jahr 5700 Kilometer Straßen repariert werden sollen. Dabei fallen auch 60 Millionen Euro für die A 229 Königsberg–Stallupönen ab, die einzige Föderalstraße der Region. Für andere Projekte blieb nur eine Milliarde Rubel, wie Gouverneur Zukanow im Mai klagte. In diesem mit 15125 Quadratkilometern relativ kleinen Gebiet kommen auf je 1000 Einwohner 284 meist neue Autos. Vergleichsmaßstäbe nannte Premier Putin im Oktober 2009 in Königsberg: „Hier hat jeder Dritte ein Auto, im russischen Durchschnitt besitzt nur jeder zehnte seinen eigenen Personenkraftwagen.“ Das spezifisch russische Problem ist, dass viele neue Autos sich auf wenigen alten Straßen bewegen. Das sorgt für exorbitant viele Unfälle, allein in Mos-kau 600000 jährlich. Königsberg liegt relativ höher und das liegt daran, dass die Russen in den fast 70 Jahren ihrer Herrschaft über das Königsberger Gebiet so gut wie nichts für den Straßenbau getan haben. Es trifft zu, dass Königsbergs Wirtschaftsplanung seit einigen Jahren auf Tourismus abzielt. Aber bevor nur eine Kopeke verdient ist, sind Dutzende Rubel-Milliarden für Reparatur und Neubau von 700 Kilometern Straßen nötig, was 917 Millionen Euro kostet.

Die Russen merken – oder kriegen es von Polen aufs Butterbrot geschmiert –, dass sie in „ihrem“ Teil Ostpreußens verkehrspolitische Sünden in Serie begangen haben. Wie am Beipiel der „Berlinka“ zu sehen, der legendären Autobahn Berlin–Königsberg, von der die Polen ein Teilstück seit den 90er Jahren modernisierten, während die Russen vergangenes Jahr, als sie den Grenzübergang „Mamonowo II“ zu Polen öffneten, parallel zur alten Betonpiste eine neue Asphaltbahn legten. Das hielten die Bürger der ostpreußischen Hauptstadt gleich aus zwei Gründen für falsch. Zum einen hätte es sich angeboten die alte „Berlinka“, die Teil des „europäischen Schnellstraßensystems“ gewesen war, instand zu setzen. Zum anderen haben die Russen mit dieser nur schlechte Erfahrungen gemacht, verträgt sie doch nur Temperaturschwankungen von etwa 40 Grad, wo Russen solche von 80 Grad kennen. Dabei reißt der Asphalt, was die russischen

Schlaglöcher von Metertiefe und Quadratmeter-Ausdehnung bewirkt. Es gibt in Russland respektable Straßenbaufirmen, allen voran den Konzern „Dorservis“ (Straßendienst), der auch in Königsberg eine Niederlassung unterhält. Er ist in dem Gebiet an der erwähnten Föderalstraße A 229 tätig und war auch an den Umgehungen von Königsberg, Tilsit und Insterburg beteilgt. Neben Branchenführer „Dorservis“ stehen andere, die Gouverneur Zukanow zornig machen: Drei Unternehmen bekommen einen Auftrag, nur zwei leisten reelle Arbeit und so bleiben Teile der Strecke unerledigt liegen. Oder es bewerben sich „Brezelbäcker“, die im Straßenbau den großen Reibach wittern.

Russland braucht ein „einheitliches Straßennetz, ganzjährig der Bevölkerung zugänglich, das eine Autoverbindung mit allen Regionen und Siedlungen erlaubt und ständige Transportströme sichert“. Für Straßen mit fester Decke werden dieses Jahr 120 Millionen Euro bereitgestellt. Im kommenden Jahr sind es 144 Millionen Euro, danach alljährlich 168 Millionen Euro. So verkündet es Russlands Verkehrsminister Igor Lewitin, der aus internationalen Vergleichen um russische Rückstände weiß. Können es die Russen nicht?

Die Königsberger Russen könnten es sehr wohl, wenn die „Duraki“ (Dummköpfe) der Moskauer Bürokratie sie nur ließen! Gouverneur Zukanow hat es im Mai wütend vorgerechnet: Wenn die Föderation Bauaufträge ausschreibt und die Finanzierung ungenügend kontrolliert, dann solle sie sich nicht wundern, wenn „kolossale Summen“ spurlos versickern. Verlagert alles auf „regionale Ebene“ und es wird besser!

Aus Moskauer Sicht ist Königsberg „Russlands westlicher Vorposten“, was Zukanow nur als geografische Angabe goutiert: Für ihn ist Königsberg nicht nur „russische Exklave“ am EU-Ostrand, sondern ein Feld, auf dem alles geprobt und probiert wird, was EU und Russland einander bieten können. Beide besiegelten 1994 ein Partnerschaftsabkommen und konkretisierten es 2003 in einer „Roadmap“, die Zukanow nun als infrastrukturellen und verkehrspolitischen Anschub nutzen will. Details verriet er der Agentur „RIA Nowosti“: Königsberg wird 2018 die Fußball-WM mit ausrichten, wofür Russland vor allem Verkehrsprojekte finanzieren soll: „moderner Flughafen, Seehafen, Busbahnhof, gute Straßen. Transportverbindungen, neue Brücken über den Pregel und dessen Uferbefestigung, neues Stadion für 44000 Zuschauer, modernes Gesundheitswesen“ und was eine Region sonst noch braucht, die nach Jahrzehnten der Zurückstellung die Chance sieht sich Europa bestens zu empfehlen. Dass sie von „Europa“ immer mehr an ihrer nichtrussischen Vergangenheit gemessen wird, nimmt sie als Ansporn hin, selbst wenn es so ätzend formuliert ist wie jüngst von Toomas Ilves, Präsident des benachbarten Estlands: „Kaliningrad heute zu Europa zu zählen, ist lachhaft. Königsberg war das Herz Europas, als Kant hier lebte.“ Wolf Oschlies


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