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26.11.11 / »Ist das Kunst oder kann das weg?« / Zeitgenössische Kunst aus Alltagsgegenständen ist oft nicht von Sperrmüll zu unterscheiden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-11 vom 26. November 2011

»Ist das Kunst oder kann das weg?«
Zeitgenössische Kunst aus Alltagsgegenständen ist oft nicht von Sperrmüll zu unterscheiden

Durch den resoluten Eingriff einer Reinigungskraft wurde ein Objekt zeitgenössischer Kunst in Dortmund drastisch verändert. Nachdem das Gelächter verebbt ist, stellt sich die Frage nach dem Wert der Kunst von heute.

„Ist das Kunst oder kann das weg?“ Diesen Spruch zieren Poster, Frühstücksbrettchen oder Sticker. Der deutsche Comedian Mike Krüger hat eins seiner Programme so genannt. Eine Putzfrau in Dortmund hat die Frage beantwortet. „Mit einem Wisch ist alles weg“, dachte sie sich und behandelte sehr nachdrücklich einen weißen Kalkfleck im Dortmunder Museum Ostwall. Das Problem: Der Fleck war von dem Künstler Martin Kippenberger genau da platziert worden – mit Absicht. Seinen menschenhohen Holzplattenturm hatte er

„Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ genannt. Als Dauerleihgabe steht der Turm im Museum. Versichert ist das fragile Objekt aus Holzlatten, unter dem ein schwarzer Trog steht, mit 800000 Euro.

Die Putzkräfte hatten genaue Anweisung, die Werke zu schonen, so Dagmar Papajewski, Sprecherin der Stadt. „Selbstverständlich werden die eingewiesen“, sagte sie. „Das ist genauso wie zu Hause, da sagt man auch: ,Alles schön machen, aber den Schreibtisch nicht anfassen‘.“

Kippenberger kann sich nicht mehr ärgern, er ist seit 14 Jahren tot. Es hätte auch nichts gebracht, wenn er den Fehler hätte ausbügeln können. Die Originalität des „Kunst“werks ist dahin. Und wenn er einen anderen Fleck gemalt hätte, dann wäre es wieder ein neues Objekt, so jedenfalls Experten. „Das Original ist eben das, wo ein Künstler zum ersten Mal etwas gemacht hat“, meint Raimund Wünsche, Kunstbuchautor und pensionierter Direktor der Münchener Glyptothek. „Deshalb hat es oft eine besondere Intensität.“ Es geht um die Idee – nachmachen kann jeder.

Es geschieht immer wieder, dass Werke der zeitgenössischen Kunst durch einen Zugriff von Reinigungskräften verschwinden. Man denke nur an die berühmte „Fettecke“ von Joseph Beuys, die 1986 einem tatkräftigen Hausmeister in der Düsseldorfer Kunstakademie „zum Opfer fiel“. Mit dem Fett wollte Beuys ein Werk schaffen, das seine Farbe und Konsistenz verändert, das „lebt“. Das „Leben“ war nur kurz. Monate nach dem Tod des Künstlers ließ der Hausmeister die fünf Kilogramm Butter an der Decke des Ateliers 3 der Kunstakademie verschwinden. Freund Johannes Stüttgen beanspruchte das Objekt für sich und erhielt dafür 40000 D-Mark vom Land Nordrhein-Westfalen Schadensersatz. Schon zuvor war ein Objekt von Beuys nicht als „Kunst“ erkannt worden – die berühmte Badewanne. Sie entstand 1960 und war mit Mullbinden und Heftpflaster vom Künstler „verschönert“ worden. Bei einer Feier wurde sie 1973 gereinigt und anderweitig verwendet. Auch hier gab es Schadensersatz für den Besitzer.

Gustav Metzger, ein in London lebender deutscher Künstler, hat ebenfalls Erfahrungen mit der Putz-wut machen müssen. Die Vergänglichkeit in der Kunst ist eines seiner Themen. Einer Putzfrau in der Londoner Nationalgalerie Tate Britain ging das nicht schnell genug. Sie entsorgte 2004 kurzerhand eine mit Papier vollgestopfte Plastiktüte, die vor einem abstrakten Gemälde lag. Bei der mit Säure bemalten Nylonoberfläche ist eine langsame Zersetzung garantiert. Erst die Kuratoren bemerkten das Missverständnis und retteten den vermeintlichen Müllsack vor der Entsorgung. Metzger sagte, sein Werk sei beschädigt worden und schuf einen Ersatz. Das Personal in der Tate wurde informiert. Und damit es kein Versehen mehr gibt, wurde das Objekt über Nacht abgedeckt.

Dem chinesischen Architekten und Künstler Ai Weiwei, der in jüngster Zeit in den Schlagzeilen wegen seiner Inhaftierung stand, kam ebenfalls eins seiner Werke abhanden. Allerdings durch höhere Gewalt.

Auf der Documenta 12 im Jahr 2007 raste ein heftiges Unwetter über seinen zwölf Meter hohen Turm aus Türen und Fenstern alter Häuser, die dem Bauboom in China zum Opfer gefallen sind, hinweg – und schuf ein neues Objekt. „Das ist besser als vorher“, sagte er. „Jetzt wird die Kraft der Natur sichtbar. Und Kunst wird durch solche Emotionen erst schön.“

Seitdem Künstler Alltagsgegenstände für ihre Arbeiten verwenden, fällt es oft schwer, Kunst und Dreck zu unterscheiden. Doch auch bei gewöhnlichen Gegenständen gibt es Möglichkeiten der Verwechslung, so geschehen bei einer Ausstellung mit moderner Kunst in Paris. Die Besucherin schaute sich eingehend die Erklärungen an, die neben den Bildern und Objekten angebracht waren. Als sie dann vor einem weiß bemalten Metallgitter stand, das sie durch seine Schnörkellosigkeit beeindruckte, suchte sie vergebens nach einer Erläuterung. Kein Wunder, stellte sie später errötend fest, es war die Verkleidung einer Heizung.

Nicht nur eifrige Reinigungskräfte gehen der Kunst an den Kragen. Auch der Zahn der Zeit nagt an ihnen. Und die Verwendung von herkömmlichen Materialien versetzt schließlich Restauratoren in Angst und Schrecken. Anders als bei der „Fettecke“ von Beuys, bei der die Zersetzung vom Künstler gewollt war, gibt es Objekte, die für die Museen erhalten werden müssen. Restauratoren und Konservatoren haben die Aufgabe, jedes Werk möglichst lange in seinem ur-sprünglichen Zustand zu erhalten oder diesen wieder herzustellen, ganz gleich, was es kostet.

Bei Arbeiten von Thomas Rentmeister, der gern Schokolade oder auch „Penaten-Creme“ sowie Kartoffelchips verwendet, müssen die Restauratoren überlegen, wie sie im Fall eines Falles Ersatz beschaffen können.

Natürlich gibt es auch Grenzen, wie etwa bei einem Objekt von Andreas Slominski, bei dem Plastiktüten Verwendung fanden. Sie sind rissig und brüchig geworden, sind aber nicht zu ersetzen, da es die Firmen zum Teil gar nicht mehr gibt. „Manche Alterungsspuren kann man nicht aufhalten. Man muss auch loslassen lernen“, hat Barbara Sommermeyer, Restauratorin in der Hamburger Kunsthalle, erkannt. Silke Osman


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