20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
26.11.11 / Er sah in der Frau ein Mysterium / »Edvard Munch – Rätsel hinter der Leinwand«: Eine packende Schau in Bremen zeigt Werke des Norwegers

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-11 vom 26. November 2011

Er sah in der Frau ein Mysterium
»Edvard Munch – Rätsel hinter der Leinwand«: Eine packende Schau in Bremen zeigt Werke des Norwegers

Der Norweger Edvard Munch (1863–1944) gehört zu den herausragenden Malern der klassischen Moderne. Die Kunsthalle Bremen kann sich rühmen, als erstes deutsches Museum eines seiner Gemälde erworben zu haben. Und zwar erstand sie 1918 „Das Kind und der Tod“ (1899). Dass die Kunsthalle damit in den Besitz eines weiteren Gemäldes von Munch gelangte, stellte sich erst vor sechs Jahren heraus. Unter dem bekannten Bild wurde eine weitere Leinwand entdeckt. Auf ihr befindet sich ein bis dahin unbekanntes Gemälde Munchs. Es erhielt den Titel „Mädchen und drei Männerköpfe“ (um 1898).

Warum Munch diese in seinem Schaffen einzigartige Komposition unter einem anderen Bild verschwinden ließ, bleibt rätselhaft. Alle anderen Fragen, die sie aufwirft, werden in einer packenden Schau geklärt. Aufgeboten sind rund 80 Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafiken, mit deren Hilfe sowohl „Mädchen und drei Männerköpfe“ als auch „Das Kind und der Tod“ in den Kontext von Munchs Gesamtwerk gestellt werden.

Das Gemälde „Mädchen und drei Männerköpfe“ wirkt höchst grotesk. Rechts sitzt in Seitenansicht ein blutjunges, nacktes Mädchen. Es hat die Beine zusammengekniffen und den Kopf gesenkt. An einem verzweigten grünen Band schweben wie Luftballons drei Männerköpfe. Der gelbe rechte glotzt uns an. Der rote mittlere hat die Augen geschlossen und wirkt wie tot. Der orangefarbene Kopf aber ist dem Mädchen zugewandt und schneidet ihm eine Fratze. Thema des Gemäldes ist also die Bedrohung der Unschuld des Mädchens durch die sexuelle Begierde des Mannes. Ausstellungskuratorin Dorothee Hansen schlägt den Bogen weiter: „Munch vereinigt in diesem Bild existenzielle Themen wie Unschuld und Begierde, Liebe und Tod, die ihn zeitlebens beschäftigt haben.“

Mit dem Tod war Munch schon früh konfrontiert: Er war fünf Jahre alt, als seine Mutter an Tuberkulose starb. Und mit der Liebe hatte der notorische Junggeselle so seine Probleme. Nach der mehrjährigen Affäre mit einer verheirateten Frau hatte er eine turbulente Liebesbeziehung zu Tulla Larsen, der er die Heirat verweigerte. Die Beziehung endete mit einem Pistolenschuss, der Munch ein Fingerglied kostete.

Überhaupt ging es in seinem Leben lange Zeit hoch her. Schon während seiner Nomadenjahre, die er in Norwegen, Rom, Paris, Berlin und der deutschen Provinz verbrachte, hatte er großen künstlerischen Erfolg. Doch übermäßiger Alkoholkonsum bescherte ihm nervliche Zerrüttung. Zur Ruhe kam er erst, nachdem er sich 1909 wieder dauerhaft in Norwegen niedergelassen hatte.

Munch machte die Erfahrungen und Ereignisse des eigenen Lebens zur Grundlage seiner Kunst. Viele seiner Werke fanden in wechselnder Zusammenstellung Eingang in den wiederholt ausgestellten „Lebensfries“. Auch in Bremen steht der nun im Blick-punkt. Dessen „Stimmungsbilder“, wie Munch sie nannte, handeln von Liebe, Einsamkeit, Krankheit, Verzweiflung und Tod. Dabei entwirft er ein facettenreiches Bild der Frau. Mehrmals stellt er sie als Opfer männlicher Begierde dar. Häufiger aber behält sie die Oberhand, etwa im Gemälde „Vampir“ (1895) oder der Radierung „Kristiania-Boheme II“ (1895), die Oda Krohg, Malerin und Verfechterin der freien Liebe, triumphierend im Kreise ihrer allesamt unglücklichen Liebhaber und Ehemänner zeigt.

Im Gemälde „Die Frau. Sphinx“ (1894) präsentiert er eine unnahbare, eine lustvolle und eine bekümmerte Frau. Der rechts im Abseits stehende Mann trägt mit gebeugtem Haupt den Schmerz der Liebe. Munch erklärte: „Das Weib in seinem Facettenreichtum ist dem Mann ein Mysterium, das Weib, das zugleich Heilige, Hure und unglücklich Liebende ist.“

Werden und Vergehen stehen im letzten Teil der Schau im Blick-punkt. Im Gemälde „Vier Lebensalter“ (1902) versinnbildlichen ein fröhliches kleines Mädchen und drei mit zunehmendem Alter immer kummervoller dreinblickende Frauen den Kreislauf des Lebens.

Und im Gemälde „Das Kind und der Tod“ verkörpert das kleine Mädchen, hinter dem die Mutter aufgebahrt liegt, das blühende Leben. Es hat eine sorglose Miene aufgesetzt und hält sich die Ohren zu. Als wolle es vom Tod und all den Nöten, die das Leben mit sich bringt, nichts wissen.

Kuratorin Hansen erläutert: „Die tote Mutter und das Kind sind zwei Stadien in der unendlichen Kette der Generationen – jener Kette, von der das Bild ,Vier Lebensalter‘ einen exemplarischen Ausschnitt zeigt.“

Veit-Mario Thiede

Die Ausstellung in der Kunsthalle Bremen, Am Wall 207, ist bis 26. Februar 2012 dienstags von 10 bis 21 Uhr, mittwochs bis sonntags von 10 bis 18 Uhr zu sehen, Heiligabend und Silvester geschlossen. Neujahr von 13 bis 18 Uhr geöffnet. Eintritt 11 Euro. Der Katalog aus dem DuMont Verlag kostet im Museumsladen 29 Euro, im Buchhandel 34,95 Euro.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren