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26.11.11 / Vater der deutschen Tarifpartnerschaft / Vor 150 Jahren wurde der Vertreter der Gewerkschaftsseite beim Stinnes-Legien-Abkommen geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-11 vom 26. November 2011

Vater der deutschen Tarifpartnerschaft
Vor 150 Jahren wurde der Vertreter der Gewerkschaftsseite beim Stinnes-Legien-Abkommen geboren

Am 20. Mai 1922 wurde in Wilhelmshaven ein Hugo Stinnes gehörender Schiffsneubau auf den Namen „Carl Legien“ getauft. Hintergrund dieser auf den ersten Blick seltsam anmutenden Ehrung eines Arbeiterführers durch einen Großunternehmer ist das Stinnes-Legien-Abkommen, das dem Gewerkschaftsfunktionär Respekt im Arbeitgeber-, aber auch Kritik im eigenen Lager einbrachte.

Bereits wenige Tage nach Ausbruch der Novemberrevolution schlossen Carl Legien für die Gewerkschafts- und Hugo Stinnes für die Arbeitgeberseite das sogenannte Stinnes-Legien-Abkommen. Das Abkommen begründete die „Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“ (ZAG) zur partnerschaftlichen Regelung wirtschafts- und sozialpolitischer Fragen zwischen den Vertragspartnern. Die ZAG bestand zwar nur bis 1924, stellt aber trotzdem einen auch noch für die Bundesrepublik wichtigen Meilenstein zur Sozialpartnerschaft am Beginn der Weimarer Republik dar. Für die Gewerkschaften war das Abkommen insoweit ein Erfolg, als sie nun von den Arbeitgebern nicht mehr als Staatsfeinde behandelt, sondern als legitime Vertreterinnen der Belegschaftsinteressen und Tarifpartner anerkannt wurden. Für die Arbeitgeberseite bestand der Vorteil darin, dass ihr Vertragspartner die Beibehaltung von Kapitalismus und Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung über die Revolution hinaus akzeptierte und sich auf systemimmanente Reformen beschränkte.

So verständlich vor diesem Hintergrund das Wohlwollen von Legiens Vertragspartner Stinnes ist, so nachvollziehbar ist die Kritik des revolutionären, marxistischen Flügels der deutschen Arbeiterbewegung. Während Stinnes Legien als „Lebensretter Deutschlands“ lobte, titulierte ihn der Sozialdemokrat Friedrich Stampfer in seinen Erinnerungen als einen „revisionistischen Gewerkschaftsführer“. Der Freund und Gewerkschaftskollege Theodor Leipart hingegen widmete Legien im Jahr 1929 eine warmherzige Biografie, die 1980, versehen mit einem Vorwort des damaligen Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Heinz Oskar Vetter, in der Bundesrepublik neu aufgelegt wurde. Am 1. Dezember 2011 jährt sich Legiens Geburtstag zum 150. Mal, was Anlass bietet, sich näher mit dem Leben dieses deutschen Sozialdemokraten zu beschäftigen.

Legien kam in der durch ihr Hochmeisterschloss bekannten westpreußischen Stadt Marienburg als 13. und letztes Kind eines kleinen Zollbeamten und dessen Ehefrau zur Welt. Früh verstarb die Mutter, und als der kleine Carl zwölf Jahre alt war, auch der alkoholkranke Vater. Die Vollwaise wurde anschließend im als mustergültig geltenden Waisenhaus von Thorn aufgezogen. Familienbande spielten danach für Legien keine besondere Rolle mehr, und als er einmal als junger Drechslergeselle sich dafür interessierte, warum ein älterer Arbeitskollege den gleichen Familiennamen wie er selbst trug, entpuppte sich dieser zu seiner Überraschung als einer seiner älteren Brüder. In Thorn erlernte Legien mit gutem Erfolg das Drechslerhandwerk, was ihn noch anlässlich der Unterzeichnung des Versailler Vertrages 1919 zur großen Verwunderung von Friedrich Stampfer veranlasste, die Bäume im Park von Versailles und die Qualität ihres Holzes einer eingehenden Musterung zu unterziehen. Seinen dreijährigen Militärdienst absolvierte der spätere Arbeiterführer in Altenburg und Mainz, wo er unter anderem als Bursche eines preußischen Generals diente.

Als Drechslergeselle wurde der fleißige und intelligente junge Mann durch seine Tätigkeit im Fachverein der Drechsler zu Hamburg ab 1886 auf die noch schwache, doch im Aufschwung befindliche Gewerkschaftsbewegung aufmerksam. 1887 machte er deutschlandweit auf sich aufmerksam, als unter seiner Leitung die „Vereinigung der Drechsler Deutschlands“ gegründet wurde. Legien, der 1885 Sozialdemokrat geworden war und intern als Organisationsgenie galt, verdiente nun jährlich 700 Mark als hauptamtlicher Gewerkschaftsangestellter. Dabei hätte er als tüchtiger Drechslergeselle gewiss das Anderthalbfache und mehr erarbeiten können. Nun stellte er sich das Ziel, eine fachübergreifende gewerkschaftliche Organisation zu schaffen, um Einfluss und Schlagkraft der Einzelgewerkschaften zu sammeln und zu bündeln. Aus dieser seit ihrer Gründung im Jahre 1890 von ihm geführten „Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands“ entstand schließlich 1919 der „Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund“ (ADGB), dessen Vorsitz er übernahm. Als im März 1920 der Kapp-Putsch die Republik bedrohte, organisierte Legien als ADGB-Vorsitzender einen Generalstreik. Ob dieser Generalstreik tatsächlich zum Scheitern des Putsches führte oder ob die Ursache eher in der Weigerung der Beamten, Weisungen der Putschisten entgegenzunehmen, zu sehen ist, ist zwischen linken und rechten Historikern umstritten.

Politisch stand Legien, der dem Deutschen Reichstag mit einer sechsjährigen Unterbrechung von 1893 bis 1920 für den Wahlkreis Kiel angehörte, immer auf einem pragmatischen und nationalen Standpunkt. Bei Kriegsausbruch 1914 war er ein Anhänger der Burgfriedenspolitik. Als Karl Liebknecht entgegen dem Fraktionsbeschluss gegen die Kriegskredite stimmte, bestand er auf dessen Ausschluss aus der SPD-Reichstagsfraktion. 1916 sorgte er dafür, dass der dem linken Parteiflügel zuzurechnende damalige Parteivorsitzende Hugo Haase, den er in einer Reichstagssitzung als „Judenjunge“ bezeichnete, wegen eines mit der Fraktion nicht abgestimmten heftigen Angriffs auf die Regierungspolitik aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen wurde, was letztlich zur Gründung der USPD 1917 führte.

Nach Kriegsende 1918 war Legien bemüht, über die von ihm mitgeschaffene ZAG die gewerkschaftliche Mitbestimmung in den deutschen Wirtschaftsbetrieben durchzusetzen. Ebenso galt seine stete Aufmerksamkeit den ganz praktischen Dingen zur Verbesserung des Lebens der Arbeiter, wie der korrekten Organisation der Stellenvermittlung und vor allem der Einführung des Acht-Stunden-Arbeitstages. Legien legte man nach 1918 vergeblich nahe, sich in einem Staatsamt zu erproben. Der leidenschaftliche Gewerkschafter fühlte sich indes in erster Linie dem unmittelbaren Wohl der deutschen Arbeiter verpflichtet. Am 26. Dezember 1920 verstarb der zeitlebens ledige Gewerkschafter an Magenkrebs in Berlin, wo er auf dem Friedhof Friedrichsfelde seine letzte Ruhestätte fand. Jürgen W. Schmidt/PAZ


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