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03.12.11 / Aus 1001 Nacht noch nicht richtig erwacht / Auch in Marokko sind nun die »gemäßigten Islamisten« Regierungspartei, die Macht liegt aber weiter beim König

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-11 vom 03. Dezember 2011

Aus 1001 Nacht noch nicht richtig erwacht
Auch in Marokko sind nun die »gemäßigten Islamisten« Regierungspartei, die Macht liegt aber weiter beim König

Der „arabische Frühling“, der sonst meist mit viel Blutvergießen verbunden war oder noch ist und der bisher eher Verschlechterungen gebracht hat, verlief in Marokko relativ harmlos. Denn König Mohammed VI. hatte als Reaktion auf die von der „Bewegung des 20. Februar“ ausgelösten Straßenproteste auf einen Teil seiner Befugnisse verzichtet, die entsprechende Verfassungsänderung im Juli durch eine Volksabstimmung legitimieren lassen, die Parlamentswahlen um ein Jahr auf den 25. November vorverlegt – und so den Protesten viel an Dynamik genommen, wenigstens vorläufig.

Der Wahlkampf war nicht sonderlich spannend, denn ein Erfolg der „Partei der Gerechtigkeit und der Entwicklung“ (PJD) galt als sicher. Parteisymbol der PJD ist übrigens ein Öllämpchen, was sich unterschiedlich interpretieren lässt. Auch im Straßenbild war vom Wahlkampf nicht allzuviel zu merken, denn das Werbebudget der 31 Parteien war sichtlich begrenzt. Im Internet gab es zwar lebhafte Diskussionen, aber deren Breitenwirkung darf nicht überschätzt werden: In eher konservativen, ländlichen Gesellschaften sind persönliche Loyalitäten und Überzeugungen viel wirksamer, siehe den Erfolg der PJD.

Laut vorläufigem Endergebnis gehen von 395 Mandaten 107 an die PDJ und 60 an die Istqlal, die „Unabhängigkeitspartei“. Sie ist die älteste Partei des Landes – bereits 1940 noch in französischer Mandatszeit gegründet – und war bisher immer mandatsstärkste. Das Wahlergebnis ist mit dem letzten aber nur bedingt vergleichbar, denn 2007 waren 325 Mandate zu vergeben, und die PJD, damals schon stimmenstärkste Partei, war durch die Wahlkreiseinteilung stark benachteiligt.

Die niedrige Wahlbeteiligung von 45 Prozent – 2007 waren es 37 – dürfte weniger an den Boykott-aufrufen der „Protestbewegung des 20. Februar“ sowie einer offiziell verbotenen radikal islamistischen Bewegung liegen als am geringen politischen Interesse der Marokkaner. Und an der hohen Analphabetismusrate, denn in ländlichen Gegenden lassen sich viele nicht registrieren. Der Wahlgang selbst verlief laut Wahlbeobachtern ohne größere Ungereimtheiten. Doch im Vorfeld hatte es Verhaftungen und Benachteiligungen gegeben.

Nach der neuen Verfassung muss der König den Führer der mandatsstärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragen. Die PJD, die in Europa als „gemäßigt islamistisch“ bezeichnet wird, profitierte davon, dass sie als bisherige Oppositionspartei nicht „belastet“, also glaubhafter wirken konnte als andere. Sicher spielten auch die Erfolge „gemäßigter Islamisten“ in Tunesien und Libyen mit. „Gemäßigt“ ist allerdings ein relativer Begriff und bedeutet nur, dass es auch radikalere Kräfte gibt. PJD-Chef Abdelilah Benkirane hat sich in der Vergangenheit wiederholt abfällig über Homosexualität geäußert und wollte einen Auftritt von Elton John verhindern. Frühere Kritik am liberalisierten Familienrecht und die Forderung nach einem Alkoholverbot hatte er im Wahlkampf aber unterlassen.

Mäßigend wirkt sicherlich, dass die PJD die Monarchie nicht in Frage stellt. Doch man sei eine „Partei des Wandels“ und wolle die Dinge „besser“ machen. Sowohl Benkirane als auch der bisherige Ministerpräsident und Istiqlal-Chef Abbas Al-Fassi haben ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit bekundet. Es wird wie früher eine Vielparteienkoalition werden – was alles andere als hilfreich bei der Bekämpfung der Probleme ist: Korruption, Budgetdefizit, ein Viertel der 32 Millionen Marokkaner lebt unterhalb der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit ist hoch – bei Jugendlichen über 30 Prozent – und der jahrzehntealte Konflikt um das von Marokko annektierte ehemals spanische Überseegebiet Westsahara schwelt weiter.

An den engen Beziehungen Marokkos mit den USA wird der Wahlausgang jedenfalls nichts ändern. Und der 47-jährige König bleibt auch nach der neuen Verfassung oberste Autorität in Religion, Armee und Justiz. Und de facto auf vielen anderen Gebieten, denn er ist der mit Abstand größte Grundbesitzer und Unternehmer und damit Arbeitgeber des Landes, und seine Dynastie regiert seit vielen Jahrhunderten. R. G. Kerschhofer


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