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10.12.11 / Wählte der General nur das »kleinere Übel«? / Vor 30 Jahren verhängte Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht über Polen – Es folgte ein »Krieg gegen das Volk«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-11 vom 10. Dezember 2011

Wählte der General nur das »kleinere Übel«?
Vor 30 Jahren verhängte Wojciech Jaruzelski das Kriegsrecht über Polen – Es folgte ein »Krieg gegen das Volk«

Gibt es bei Wojciech Jaruzelskis Kriegern ein Schuldbewusstsein? Als Polens Verfassungsgericht Anfang 2009 den Junta-Generälen von 1981 und ihren Tausenden Bütteln die Offizierspensionen strich, haben sie heftig protestiert, hätten sie doch legal gehandelt. Die Täter stehen nicht allein. Bis heute hält der Streit um die Beurteilung des Militärputschs vor mittlerweile drei Jahrzehnten an.

Von Jaruzel­skis einstigen 20 Mitverschwörern sind zehn verstorben und drei „ernsthaft“ krank. Ihnen allen hilft der Streit um das „kleinere Übel“, die Erinnerung daran zu vernebeln, mit welcher Brutalität die Junta 1981 ihren „Krieg gegen das Volk“ führte. Es war ein Krieg, den in der Nacht zum 13. Dezember, einem Sonntag, 70000 Soldaten und 30000 Sonderpolizisten mit 2000 gepanzerten Fahrzeugen und 1750 Panzern starteten. „Jodła“ (Tanne) lautete der Tarnname einer Aktion, bei der nach vorbereiteten Listen 3000 Personen in 40 vorbereitete Internierungslager verschleppt wurden. Später folgten noch 7131 Personen, darunter der ehemalige KP-Chef Edward Gierek und andere Genossen, die man aus schierem Populismus als „verantwortlich für die Wirtschaftskrise“ einsperrte. Zeitgleich lief die „Aktion Azalia“ an, bei welcher in 451 Zentralen alle zivilen Telefone Polens abgeschaltet wurden, selbst die von Botschaften und Konsulaten. Wie viele Menschen damals starben, weil man keine Hilfe für sie rufen konnte, wurde in Polen oft gefragt und nie beantwortet.

Das war erst der Anfang. Um 6 Uhr morgens redete Jaruzelski über Radio und Fernsehen von „tödlicher Gefahr für das Vaterland“, welcher „der Selbsterhaltungstrieb des Volks“ begegnen müsse, während im Minutentakt neue Verbote und Strafgesetze verkündet wurden, darunter für 80 „Verbrechen“ die Todesstrafe. Versammlungen aller Art, Veranstaltungen, Publikationen, Reisen, Streiks, Zeitungen – mit Ausnahme zweier Parteiblätter – waren verboten. Nächtliche Ausgangssperren wurden verhängt, Bahn und Betriebe unter militärische Aufsicht gestellt, Briefe zensiert.

Dabei war die Stasi der DDR behilflich, die seit Mitte 1980 in Warschau mit einer „operativen Gruppe“ präsent war. Die Oberaufsicht über die Stasi und ihr polnisches Pendant SB führte der sowjetische KGB. Auf deren Konto gingen (mindestens) 91 Todesopfer bei Protesten unter anderem in Danzig, Krakau, Lublin und Kattowitz.

Nach 16 Monaten Dauer wurde der Kriegszustand am 22. Juli 1983 aufgehoben, viele seiner repressiven Bestimmungen blieben weiter in Kraft. 1983 traten 850000 Menschen aus der kommunistischen Partei aus, bis 1986 flüchteten Hunderttausende vorwiegend junge Menschen aus Jaruzelskis Polen. Am 1. Februar 1982 wurden dort die Lebensmittelpreise um 241 Prozent, die für Heizung und Energie um 171 Prozent erhöht. Die Realeinkommen der Leute sanken 1982 um 30 Prozent, während Polens Auslandsverschuldung auf 50 Milliarden US-Dollar stieg.

Bei Polen unvergessen bleibt die Welle deutscher Hilfsbereitschaft in den Jahren 1980 bis 1982, die sich in über zehn Millionen Paketen niederschlug – für die darbenden Nachbarn, die häufiger und härter als der Rest des östlich des Eisernen Vorhangs gelegenen Teils Europas gegen ihre stalinistischen Unterdrücker aufbegehrten. 1956 und 1970 hatte das Regime sie mit Waffen „pazifiziert“ – seit Juli 1980 hungerte es sie mit Warenknapp­heit und Wucherpreisen aus. Die Polen antworteten mit Streiks, deren Massiertheit die Machthaber einlenken ließ, zumal sie von einer spontan gebildeten unabhängigen Gewerkschaft mit dem Namen „Solidarität“ koordiniert wurden.

Die Not wurde drückender, die Streiks gingen weiter. Ab April 1981 gab es Lebensmittel auf Karten, im darauffolgenden Winter drohte eine totale Energiekrise. 62 Prozent der Polen hielten zur „Solidarität“, sechs zu den regierenden Kommunisten. Deren Führung, seit Februar 1981 unter General Wojciech Jaruzelski, rätselte, ob sie alsbald von verbitterten Polen oder erbosten Sowjets verjagt würde. Zehn Millionen Mitglieder zählte die „Solidarität“, zirka jeder dritte Erwachsene, die nur zu gern kurzen Prozess mit den „Roten“ gemacht hätten. Gefährlicher waren die Sowjets, die Polen mit 78 Garnisonen und 100000 kampfbereiten Rotarmisten ihrer „Heeresgruppe Nord“ im Würgegriff hielten. Bereits im Dezember 1980 sollen sie den Plan fertig gehabt haben, Polen im Rahmen des Manövers „Sojuz 80“ mit 15 sowjetischen, zwei tschechoslowakischen und einer DDR-Division zu besetzen. Das konnte Jaruzelski mit der Versicherung abwenden, man werde mit der „Solidarität“ allein fertig. Aber für alle Fälle veranstaltete Moskau im September mit „West-81“ das größte Armeemanöver der Nachkriegszeit und die Generalprobe einer Invasion Polens. Jaruzelski kam mit dem „Kriegszustand“ als „zło mniejsze“ (kleineres Übel) dem zuvor.

General Jaruzelski hat später immer wieder behauptet, auf seiner eigenen Website wojciech-jaruzelski.pl, vor Gericht und anderswo, dass er Schlimmstes verhütet habe. Nicht wenige Polen nehmen ihm das ab, andere wie etwa das „Institut für Nationales Gedenken“ (IPN) beschuldigen ihn, die Sowjets um „Hilfe“ gebeten zu haben. Dritte werfen ihm vor, mit pseudopatriotischen Lügen einen Staatsstreich zu bemänteln, und als Zeugen der Anklage benennen sie Moskaus Spitzenpolitiker Jurij Andropow, der noch am 10. Dezember 1981 gewarnt hatte, die Sowjetunion könne sich neben dem verheerenden Afghanistan-Abenteuer weitere „Risiken“ nicht leisten und „denkt nicht daran, Truppen nach Polen zu entsenden“. Wolf Oschlies


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