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10.12.11 / Vater des Jugendherbergswerks / Vor 50 Jahren starb der ostpreußische Lehrer und leidenschaftliche Wanderer Richard Schirrmann

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-11 vom 10. Dezember 2011

Vater des Jugendherbergswerks
Vor 50 Jahren starb der ostpreußische Lehrer und leidenschaftliche Wanderer Richard Schirrmann

Wer in einer fremden Stadt nach einer preisgünstigen Unterkunft sucht, denkt häufig fast automatisch an eine Jugendherberge: Seit über 100 Jahren bieten die Herbergen Reisenden ein günstiges Bett für die Nacht – und darüber hinaus einen Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen begegnen können. Die Idee, ein dichtes Netz von Jugendherbergen einzurichten, stammt von Richard Schirrmann. Am 14. Dezember jährt sich sein Todestag zum 50. Mal.

Schon in jungen Jahren zog es den am 15. Mai 1874 in Grunenfeld im ostpreußischen Kreis Heiligenbeil geborenen Richard Schirrmann in die Natur. Als Lehrer wollte er seine Schüler lieber im Freien unterrichten als in einem Klassenzimmer – und so organisierte er so oft wie möglich Wanderungen ins Grüne. Schirrmann war überzeugt davon, dass die Kinder auf diese Weise deutlich mehr lernen konnten als im starren Frontalunterricht seiner Zeit.

1901 kehrte Schirrmann Ostpreußen den Rücken und zog zunächst nach Gelsenkirchen im Ruhrgebiet. Zwei Jahre später wechselte er erneut den Wohnort und ließ sich in der Kleinstadt Altena im Sauerland nieder. Auch dort arbeitete er als Lehrer und mit der Unterstützung seiner Vorgesetzten konnte er sein Konzept der „Wandernden Schule“ umsetzen.

Als Geburtstag der Jugendherbergsbewegung gilt der 26. August 1909: Schirrmann war mit einer Klasse von Altena aus nach Aachen unterwegs, als die Gruppe von einem Gewitter überrascht wurde – und nur mit Mühe konnte der Lehrer für sich und seine Schützlinge eine Unterkunft finden. Seinen eigenen Aufzeichnungen zufolge lag Schirrmann dort in der Nacht wach, hörte dem tosenden Unwetter zu und entwickelte seine Jugendherbergs-Idee: In jedem wanderwichtigen Ort in Tagesmarsch-Abständen eine Herberge einzurichten, in der wandernde Jugendliche unterkommen konnten.

Das Wandern war in der Zeit um 1900 eine populäre Freizeitbeschäftigung. Viele junge Menschen zog es in die Natur. Die „Wandervögel“ nutzten die Wochen­enden oder die Ferien für Fahrten mit wenig Gepäck und ohne den Komfort der Zivilisation.

Richard Schirrmann wollte mit seiner Jugendherbergs-Idee ausdrücklich Unterkünfte für alle Jugendlichen – also Jungen und Mädchen, Volksschüler und Studenten – einrichten. Bei seiner eigenen Schule machte er den Anfang – und richtete in der Ferienzeit in den Klassenräumen ein Behelfslager für Wandergruppen ein. Hilfe bekam Schirrmann vom Sauerländischen Gebirgsverein (SGV) – einer Organisation, aus der 1919 das DJH hervorging. Schirrmann war selbst SGV-Mitglied und lernte dort seine engsten Mitstreiter kennen – unter anderem den Geschäftsmann Wilhelm Münker, der als erster Geschäftsführer des Jugendherbergswerkes Schirrmanns rechte Hand wurde. 1912 wurde auf der Burg Altena die erste ständige Jugendherberge der Welt eröffnet. Schirrmann selbst wurde dort Herbergsvater.

Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 meldete Schirrmann sich freiwillig – er kämpfte bis Kriegsende an der französischen Front. Seine Kriegserlebnisse beeinflussten seine Vorstellungen vom Jugendherbergswerk nachhaltig. Um künftig weitere Kriege zu verhindern, setzte er auf Völkerverständigung. Seine Jugendherbergen sollten „Friedensbrücken“ werden, in denen sich junge Menschen unterschiedlicher Nationalitäten kennen- und schätzen lernen sollten – die gedanklichen Grundlagen für das spätere internationale Jugendherbergswerk.

Der „Vater des Jugendherbergswerkes“ und seine Mitstreiter warben unermüdlich für ihre Idee. Der Idealist Schirrmann selbst verfasste unzählige Artikel über die positive Wirkung des Wanderns und seine Vorstellung von Unterkünften für junge Reisende. Außerdem war er ein talentierter, mitreißender Redner und reiste durch ganz Deutschland, um neue Mitstreiter und Förderer zu gewinnen. Und das mit Erfolg: Nach und nach wuchs das Jugendherbergswerk. Es bildeten sich in ganz Deutschland regionale Landesverbände und Ortsgruppen, die in allen Landesteilen neue Jugendherbergen einrichteten. 1930 gab es bereits etwa 2100 Herbergen – und seit Mitte der 20er Jahre investierte das DJH auch immer mehr Geld in sogenannte „Musterherbergen“, die auf die Bedürfnisse der jungen Wanderer eingestellt waren: mit Schlafsälen für Jungen und Mädchen, einem Aufenthaltsraum und Waschräumen.

Neben dem Herbergswerk lag Schirrmann noch ein zweites Projekt sehr am Herzen: 1925 gründete er auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz bei Paderborn das Kinderdorf „Staumühle“. Bis 1931 veranstaltete er dort jedes Jahr in den Sommermonaten eine Art Schullandheim in größerem Ausmaß. Mehr als 1000 Schüler mit ihren Lehrern kamen hier unter, wurden unterrichtet, wanderten oder spielten im Freien. Das Kinderdorf sollte nach Schirrmanns Vorstellung „Fa­mi­lien­cha­rakter“ haben – denn er hatte immer von vielen Kindern geträumt.

Sein eigenes Privatleben entsprach diesem Wunsch erst im zweiten Anlauf. Seit 1903 war er verheiratet – allerdings war die Ehe nicht glücklich. Seine erste Frau Gertrud teilte sein vielfältiges Engagement nicht und konnte ihm nach der Geburt seiner ersten Tochter keine weiteren Kinder schenken. 1929 wurde die Ehe geschieden und Schirrmann heiratete erneut. Seine zweite Frau Elisabeth war vom Wandern ebenso begeistert wie er selbst und teilte seine Liebe zu Kindern und zur Musik. Bis 1942 brachte sie insgesamt sechs Kinder zur Welt.

Nachdem 1933 die Nationalsozialisten das Jugendherbergswerk übernommen und unter die Kontrolle der Hitlerjugend gestellt hatten, blieb Schirrmann noch einige Jahre Ehrenvorsitzender des DJH und engagierte sich für das Internationale Jugendherbergswerk, zog sich jedoch bald ganz ins Privatleben zurück. Er zog mit seiner Familie nach Grävenwiesbach im Taunus, wo er wieder als Volksschullehrer arbeitete.

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm er von dort aus Kontakt zu seinen alten Mitstreitern auf und bemühte sich, das Jugendherbergswerk wieder aufzubauen. Nützlich waren ihm dabei die guten Kontakte ins Ausland. Zu der ersten Internationalen Jugendherbergskonferenz nach dem Krieg 1946 in Schottland wurde er von einem amerikanischen Freund mit einer Privatmaschine eingeflogen – er war damit der erste deutsche Zivilist, der nach 1945 britischen Boden betrat. Für sein Engagement rund um das Jugendherbergswerk wurde Schirrmann 1952 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Mittlerweile, fünf Jahrzehnte nach Schirrmanns Tod, gibt es in mehr als 90 verschiedenen Ländern auf allen Kontinenten Jugendherbergen; mehr als 530 sind es nach Angaben des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH) allein in Deutschland. Stefanie Hanke


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