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17.12.11 / Nur ein Urknall könnte helfen / Griechenland braucht einen völligen Neustart, um wieder Fuß zu fassen, doch das gilt nicht nur für Athen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Nur ein Urknall könnte helfen
Griechenland braucht einen völligen Neustart, um wieder Fuß zu fassen, doch das gilt nicht nur für Athen

Nach dem letzten Euro-Gipfel steht Deutschland wie der hartherzige Zuchtmeister da und darf für das schlechte Image auch noch zahlen. Zudem gilt stabiles Geld für viele Europäer als eine Marotte der Deutschen.

Der Bericht der OECD zu Griechenland, der fast zeitgleich mit dem Brüsseler Euro-Gipfel an die Öffentlichkeit gelangte, malt ein katastrophales Bild: Die Verwaltung des Landes verharrt demnach in einem Zustand von Chaos, Lethargie und unvorstellbarer Inkompetenz. Sie sei nicht einmal in der Lage, Akten zu führen oder anzulegen, die Abteilungen der Ministerien – es gibt im Vergleich zu funktionierenden Ländern eine Unzahl davon – verständigten sich nicht untereinander, eine Kontrolle ihrer Arbeit finde nicht statt.

Niemand könne sagen, wie viele Mitarbeiter der öffentliche Dienst überhaupt habe, die Schätzungen schwanken zwischen 1,1 und 1,5 Millionen Menschen, schon bei 1,1 Millionen wäre jeder vierte erwerbstätige Grieche beim Staat angestellt, mehr als irgendwo sonst in der EU.

Die OECD-Experten kommen nach ihrer Untersuchung zu einem dramatischen Schluss: Nur eine „Big-Bang-Reform“ könne das Land noch retten. „Big Bang“ ist die englische Vokabel für Urknall. Mit anderen Worten: Nur ein totaler Neuaufbau des gesamten Staates brächte die Aussicht auf Genesung.

Vor diesem Hintergrund werden die verhaltenen Stimmen auf Angela Merkels unbestreitbaren Verhandlungserfolg beim Brüsseler Euro-Gipfel verständlich: Um weiter Geld zu bekommen aus einem dauerhaften Rettungsschirm, müssten die Nehmerländer strenge Haushaltsdisziplin üben. Wenn sie dagegen verstoßen, drohten ihnen „automatische Strafen“.

Im Lichte des OECD-Berichts indes erscheint Hellas wie ein „gescheiterter Staat“, ein Etikett, das bislang Ländern wie Somalia oder Afghanistan vorbehalten war. Wie Haushaltsdisziplin in einem Gemeinwesen funktionieren soll, in dem eine ordnungsgemäße Aktenführung unbekannt ist und niemand darüber wacht, wofür Ministerialbürokraten wie viel Geld ausgeben, bleibt schleierhaft.

Muss Athen dann also die angedrohten „automatischen Strafen“ fürchten? Hier gibt es mindestens zwei Haken: Zunächst sollen die Strafen per qualifizierter Mehrheit gestoppt werden. Jüngste Abstimmungen in der Führung der Europäischen Zentralbank, dem EZB-Rat, haben gezeigt, dass in der Euro-Zone jene Länder die Macht übernommen haben, welche Haushaltsdisziplin für konjunkturschädigend halten und das Festhalten an stabilem Geld für eine deutsche Marotte.

Zudem hätten sie sogar einen einleuchtenden Grund, Strafen für Haushaltssünder zu vereiteln. Sie werden fragen: Was soll es bringen, ein Land, das so schon nicht zurechtkommt mit seinem Geld, mit zusätzlichen Zahlungen oder Zuschusskürzungen noch mehr zu belasten? Deutschland stünde abermals als der kalte, egoistische Zuchtmeister da, der Partnern in Not sadistisch in den Rücken fällt, statt ihnen beizustehen.

Der zweite Haken lauert in den Verfassungen, auch dem Grundgesetz. Das Haushaltsrecht ist das vornehmste Recht demokratischer Volksvertretungen. Der Veteran der Linksliberalen, Burkhard Hirsch, stellte auf dem Euro-Parteitag der FDP im November die entscheidende Frage: Wollen wir ein Europa, in dem nicht mehr die frei gewählten Parlamente, sondern demokratisch kaum oder gar nicht gewählte und ebenso wenig demokratisch kontrollierte Bürokraten und „Apparate“ entscheiden? In dem die Volkssouveränität zur leeren Hülle verkommt?

Juristen bezweifeln, dass diese Entrechtung der Völker rechtlich möglich ist, oder fragen, ob sie nicht gar an den Verfassungsgerichten der Staaten scheitern muss. Das wird sich in den kommenden Monaten erweisen.

In jedem Falle wird die jetzt erreichte Einigung für die Deutschen sehr teuer. Für ihr Entgegenkommen in der Frage der Haushaltsdisziplin verlangen die Nehmerländer nun deutliche Zugeständnisse von Berlin. Im Hintergrund wabert erneut die Vergemeinschaftung der Schulden über sogenannte Euro-Bonds. Dabei würde Deutschland für die Schulden anderer mit haften. Zudem wird die EZB aller Voraussicht nach weit mehr Geld drucken, um es den notleidenden Staaten zu leihen, als bislang. Dies ist ein Treibsatz für Inflation.

Die Furcht vor Inflation ist keine historisch bedingte Macke der Deutschen, sie hat reale Hintergründe. Denn Geldentwertung trifft die Deutschen weit härter als etwa die Spanier. Letztere haben ihr Vermögen weit stärker in inflationsfesten Werten wie Immobilien investiert. Mehr als 80 Prozent der Spanier leben in den eigenen vier Wänden, in Deutschland ist es nicht einmal die Hälfte.

Stattdessen haben die Deutschen weit mehr gespart und ihr Vermögen in Lebens- und privaten Rentenversicherungen oder anderen Geldwerten investiert, die per Inflation entwertet würden. In Spanien hingegen haben sich die Privathaushalte in Schulden gestürzt, nicht zuletzt um ihre Häuser zu finanzieren. Diese Schulden würden durch dieselbe Inflation im Wert stark reduziert. Übrigens ist ein beträchtlicher Teil der deutschen Ersparnisse über den Kapitalmarkt in diese Kredite geflossen. Eine starke Inflation bringt somit eine erhebliche Umverteilung von Reichtum zulasten der deutschen Sparer und Kreditgeber.

Zu guter Letzt ist überhaupt fraglich, ob die den Nehmerländern abverhandelten Auflagen zur Haushaltsdisziplin das letzte Wort waren. Die deutsche „Wirtschaftsweise“ Beatrice Weder di Mauro zweifelt daran, „dass das schon alles war“. Sie fürchtet, dass Berlin schon bald mit neuen Forderungen konfrontiert würde. Dies könnten erneut Euro-Bonds sein oder eine Lockerung der „Strafmechanismen“. Hans Heckel


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