28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
17.12.11 / Seinem Lebenswerk treu geblieben / Ernst Nolte beweist in »Späte Reflexionen«, dass er sich nicht zurück ins Glied begeben hat

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-11 vom 17. Dezember 2011

Seinem Lebenswerk treu geblieben
Ernst Nolte beweist in »Späte Reflexionen«, dass er sich nicht zurück ins Glied begeben hat

Die jüngere deutsche Geschichte vor 1945 ist im Alltag der Bundesrepublik als negativer Bezugspunkt überaus präsent. Dies ist eindeutig. Weniger eindeutig stellt sich dagegen die Relation dieser deutschen Vergangenheit zu anderen Vergangenheiten des 20. Jahrhunderts dar. In seiner neuen Schrift „Späte Reflexionen. Über den Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts“ blickt Ernst Nolte auf die Auseinandersetzungen jener Ära zurück, die diesen Zustand verursacht haben. Sie tragen für ihn die Bezeichnung „Weltbürgerkrieg“. Wie der Titel verspricht, sind es in der Tat „Reflexionen“ über diese Ära. Teilweise sind sie philosophischer oder aphoristischer Art, aber an vielen Stellen auch ganz persönliche Anmerkungen. Ernst Nolte betrachtet sich – und tut das zweifellos mit gewissem Recht – nicht nur als Chronist und Historiker dieses Bürgerkriegs, sondern zudem als einen durchaus unfreiwilliger Teilnehmer an dem Konflikt und dessen Nachwirkungen, wie man zwischen den Zeilen entnehmen kann.

Seine wesentlichen Themen sind, wie stets, die Zusammenhänge zwischen der Entstehung des NS-Regimes und dem Sozialismus sowjetischer Prägung, dazu der Zionismus und gelegentlich der Islamismus. Längere Abschnitte sind Einzelfragen, beispielsweise denen nach der Definition des Liberalismus und den Grundlagen des Liberalen Systems gewidmet. Aber auch der intellektuelle Weg Noltes selbst, dessen Stern als Geschichtsdenker Anfang der 1960er Jahre mit seiner Habilitationsschrift über den „Faschismus in seiner Epoche“ aufging und eineinhalb Jahrzehnte unangefochten strahlte, bis er langsam in die Isolation und schließlich in einen Konflikt mit dem bundesdeutschen und internationalen Establishment der Zeitgeschichtsdeutung geriet, wird hier beleuchtet.

Das führt zu interessanten und detailliert ausgeführten Erkenntnissen über die Wandlungen politischer Orientierung in der Bundesrepublik. Vieles an Noltes Schriften lag im Jahr 1960 im Zentrum der akademischen Debatte und wurde dort nicht nur als innovative Analyse akzeptiert, sondern politisch gesehen eher der Linken zugeordnet. Seine aus diesem Ansatz heraus folgerichtig weiterentwickelten Äußerungen galten dann 1986, dem Jahr des notorischen, um Nolte kreisenden Historikerstreits, mehrheitlich als rechtskonservativ und revisionistisch. Bemerkenswert konsequent ist deshalb die Deutlichkeit, mit der Nolte im vorliegenden Buch noch einmal ausdrücklich und prinzipiell der Linken das historische Recht gibt. Gemeint ist damit nicht das bundesdeutsche Juste Milieu, sondern diejenige Fraktion, die für ihn in der Neuzeit die Fähigkeit des Menschen zur „Transzendenz“ repräsentiert, also etwa zur steten Weiterentwicklung der Gesellschaft in egalitärer Tendenz. Der Nationalsozialismus als Widerstand gegen diese Transzendenz sei von Anfang an ein Unrecht gewesen, wie auch der Holocaust, das Verbrechen während des Krieges, für Nolte kategorisch die negativste Untat der Menschheitsgeschichte darstellt. Den NS-Staat deutet er als ethnisch ausgerichteten Kriegerstaat ohne jede Zukunft, gewissermaßen den letzten seiner Art.

Könnte man in diesen Äußerungen Noltes die Absicht sehen, den Anschluss an den Zeitgeist zu gewinnen, so wird man umgehend eines anderen belehrt. Der Autor erneuert zugleich seine Feststellungen über den „jüdischen Bolschewismus“ sowie über einen „kausalen Nexus“ zwischen der Oktoberrevolution und dem Aufkommen des Nationalsozialismus. Er setzt einige vergleichend-negative Anmerkungen über die Grundlagen und die Politik des heutigen Zionismus hinzu, die reichlich zugespitzt und provokant daherkommen. In Israel sieht er letztlich ebenfalls einen ethnisch ausgerichteten Kriegerstaat, der gar nicht anders könne, als zu vergleichbaren Entwick-lungen wie seine Vorläufer zu kommen. Das löst Widerspruch aus, ist aber innerhalb von Noltes Gedankenwelt letztlich konsequent. Ernst Nolte ist seinen Positionen in dem jetzt vorgelegten persönlichen Abschluss seines Lebenswerks treu geblieben. Man könnte ihn einen linksliberalen Wissenschaftler nennen, der die unvergangene Vergangenheit bundesrepublikanischer Geschichtspflege an ihre Widersprüche erinnert hat. Stefan Scheil

Ernst Nolte: „Späte Reflexionen. Über den Weltbürgerkrieg des 20. Jahrhunderts“, Karolinger, Wien 2011, geb., 316 Seiten, 24,90 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabobestellen Registrieren