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24.12.11 / Schattenbanken außer Kontrolle / Die Möglichkeit, Kundengelder als Pfand für Kredite zu hinterlegen, schafft gefährliche Geldvermehrung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Schattenbanken außer Kontrolle
Die Möglichkeit, Kundengelder als Pfand für Kredite zu hinterlegen, schafft gefährliche Geldvermehrung

Fast zeitgleich mit dem denkwürdigen Auftritt des britischen Premiers David Cameron auf dem EU-Gipfel am 9. Dezember richten auch ehemalige Kunden der Pleite gegangenen US-Bank MF Global ihren Blick nach Großbritannien. Dorthin führt offensichtlich die Spur zahlreicher verschwundener US-Kundengelder.

Im Zuge der Suche nach verschwundenen Kundengeldern wurde erstmals einer breiteren Öffentlichkeit bewusst, dass in der „City of London“ Finanzgeschäfte legal sind, die selbst der US-Finanzaufsicht als zu „heiß“ erscheinen: „Ich weiß nicht, wo die Kundengelder geblieben sind.“ Ein erstaunliches Eingeständnis, das der ehemalige Chef von MF Global, Jon Corzine, gegenüber einem Ausschuss des US-Kongresses abgegeben hat.

Erstaunlich zunächst, weil die Bank bis zur Beantragung des Gläubigerschutzes im Oktober ein sogenannter „Primery dealer“ war: ein Status, den nur Banken erhalten, die von der US-Zentralbank als zuverlässig eingestuft werden, und denen deshalb bevorzugte Bedingungen eingeräumt werden. Zum anderen kommt das Eingeständnis völliger Ahnungslosigkeit von einem Mann, der immerhin bis 1999 in einer führenden Stellung bei Goldman Sachs gearbeitet und es dort zum mehrfachen Millionär gebracht hat. Seinen Posten an der Spitze von MF Global hat Corzine erst im März 2010 angetreten. Der jähe Absturz folgte im Oktober 2011 mit dem Insolvenzantrag der Bank und den folgenden Ermittlungen wegen mutmaßlicher Veruntreuung von Kundengeldern in Höhe von 700 Millionen US-Dollar.

Hinweise, welchen Weg die Kundengelder möglicherweise genommen haben könnten, wurden nun durch Presseberichte aus den USA und Großbritannien geliefert. Für seine Kunden hat MF Global Börsengeschäfte mit Währungen, Derivaten oder Rohstoffen abgewickelt. Nach US-Recht ist es durchaus legal, wenn der für die Geschäfte beauftragte Makler, in diesem Fall MF Global, einen Teilwert des Kundendepots für eigene Geschäfte benutzt, und als Pfand beleiht. Beschränkt ist eine derartige Beleihung durch US-Vorschriften allerdings auf 140 Prozent des Pfandwertes. Nicht so in Großbritannien, dort ist eine Beleihung in unbegrenzter Höhe möglich. Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds findet im Durchschnitt eine Beleihung in vierfacher Höhe statt – eine Regelung, die Kapital aus den USA förmlich anzieht.

Die Möglichkeit, dass MF Global zur Umgehung von US-Vorschriften die Beleihung der Kundengelder ebenfalls nach Großbritannien verschoben hat, gilt inzwischen als heiße Spur. Mit den aufgenommenen Geldern scheint MF Global eine letztendlich schiefgegangene, komplexe Wette auf europäische Staatsanleihen im Volumen von 6,2 Milliarden Dollar finanziert zu haben. Für die meisten Kunden von MF Global war sicherlich erst die Insolvenz des Unternehmens der Anlass, sich genauer mit dem Kleingedruckten der unterschriebenen Verträgen zu befassen. Dort hatte sich MF Global das Recht einräumen lassen, die von Kunden zur Absicherung von Geschäften hinterlegten Sicherheiten selbst in jeglicher Form weiterzuverleihen oder verpfänden zu können.

Die Vermutung über die Verschiebung der Kundengelder nach Großbritannien hat das Phänomen der sogenannten Schattenbanken erneut in den Blick der Öffentlichkeit gerückt. Derartige Firmen im Graubereich sind häufig die Gegenpartei von Geschäften, wie sie MF Global in London eingegangen zu sein scheint. Gemeint sind mit dem Begriff Schattenbank Unternehmen, die zwar Finanz- und Kreditgeschäfte betreiben, allerdings selbst keine Kreditinstitute sind und deshalb auch keiner Aufsicht unterliegen.

Vor den Gefahren durch diesen unreglementierten Bereich hat erst unlängst der ehemalige Bundesbankpräsident Axel Weber gewarnt: „Der beste Deich ist von geringem Nutzen, wenn wir in unserem Rücken einen ganzen Ozean haben. Dieser Ozean ist das Schattenbankensystem.“

Paradoxerweise haben gerade die Bemühungen um stärkere Aufsicht über den regulären Bankensektor dazu geführt, dass immer mehr in den Schattenbankmarkt ausgewichen sind. Nicht nur im aktuellen Fall von MF Global wird der Finanzplatz London im Zusammenhang mit hochriskanten und unreglementierten Geschäftspraktiken genannt. Bereits im Jahr 2008 mussten selbst einige US-Hedgefonds die Erfahrung machen, dass sie auf eigene Depotwerte bei Lehman Brothers in den USA keinen Zugriff mehr hatten, da Kundengelder zur Tochtergesellschaft „Lehman Brothers International (Europe)“ nach London transferiert und dort für Eigengeschäfte der Bank beliehen worden waren.

Der Schock durch die Nachwirkungen der Lehman-Pleite war anscheinend nicht ausreichend, eine Regulierung und Aufsicht über den Schattenbankenmarkt auf den Weg zu bringen. Blockiert wurden Regulierungsversuche nicht zuletzt durch die „City of London“, die Großbritannien inzwischen mehr Steuereinnahmen einbringt, als die nur noch rudimentär vorhandene Industrie. Wie eine derartige Entwicklung der vollständigen Unterordnung des Landes unter die Interessen der Bankenbranche enden könnte, wurde unlängst in einem Artikel des „Guardian“ skizziert: England reduziert auf einen „Off shore“-Finanzplatz London, ohne nennenswerte Industrie, ohne soziale Absicherung der Bevölkerung und ohne Schottland, das inzwischen kaum noch zu übersehende Anstalten macht, sich vom Vereinigten Königreich loszusagen. Norman Hanert


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