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24.12.11 / Deuter der schwankenden Felsen / Der vor 150 Jahren geborene Emil Wiechert setzte mit seinen luftgedämpften Seismografen Maßstäbe

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Deuter der schwankenden Felsen
Der vor 150 Jahren geborene Emil Wiechert setzte mit seinen luftgedämpften Seismografen Maßstäbe

Der Ostpreuße Emil Wiechert gilt als Begründer des Fachgebietes der Geophysik und ebnete den Weg zu einer Vielzahl wegweisender Entdeckungen über den Aufbau der Erde, aber auch zur Entwicklung von technischen Verfahren bei der Suche nach Lagerstätten. Auch war er als Mitbegründer von bis heute bestehenden nationalen und internationalen Wissenschaftsgesellschaften engagiert und damit einer der führenden Repräsentanten des jungen und schnell wachsenden Fachgebiets. Seine in Göttingen entwickelten Seismografen sind bis heute als Wissenschaftsdenkmale in Betrieb.

„Ferne Kunde bringt Dir der schwankende Fels – Deute die Zeichen!“ Mit diesem Zitat von Emil Wiechert aus dem Jahr 1902, das noch heute mahnend am Eingang der „Wiechertschen Erdbebenwarte“ in Göttingen angeschlagen ist, verbindet sich ein großer, Jahrtausende alter Wunsch der Menschheit. Nämlich der, eines Tages dazu in der Lage zu sein, ein Erdbeben rechtzeitig zu erkennen und die Menschen vor den zerstörerischen Folgen warnen zu können. Dass man bis heute auf diesem Weg ein entscheidendes Stück vorangekommen ist, verdankt die Menschheit mit Emil Wiechert einem Ostpreußen, der am 26. Dezember 1861 in Tilsit als einziges Kind einer Kaufmannsfamilie zur Welt kam. Er wuchs in Königsberg auf, besuchte dort das Realgymnasium und studierte nach dem Abi-tur 1881 an der Königsberger Universität Physik. 1889 wurde er promoviert und habilitierte sich bereits im folgenden Jahr für das Fachgebiet Physik.

Wiechert blieb bis Anfang 1897 als Privatdozent in Königsberg und machte sich in diesen Jahren mit Forschungen zum Aufbau der Materie, Experimenten mit Kathodenstrahlen und theoretischen Arbeiten zur Elektrizität einen Namen als Physiker. Nur wenigen ist bekannt, dass ihm dabei eine der ersten Bestimmungen des Verhältnisses von Ladung zu Masse des Elektrons gelang.

Die Ergebnisse seiner Arbeiten erregten schließlich das Interesse der Universität Göttingen, an der er ab dem Frühjahr 1897 arbeitete. Dort wurde er nach nur wenigen Monaten auf den weltweit ersten Lehrstuhl für Geophysik berufen und 1898 zum Direktor des neu geschaffenen Instituts für Geophysik ernannt. Ab 1901 trieb Wiechert den Aufbau der bis heute noch im Betrieb befindlichen Erdbebenwarte voran.

Die Konstruktion des luftgedämpften Wiechertschen Seismografen mit hoher Vergrößerung, der für viele Jahrzehnte das Vorbild für die meisten der in den Erdbebenwarten in aller Welt eingesetzten Instrumente bleiben sollte, ermöglichte erstmals eine kontinuierliche Aufzeichnung der weltweiten Erdbebentätigkeit.

Mit den von diesen Seismografen aufgezeichneten Diagrammen der Bodenbewegung wurden die Ausbreitung der Erdbebenwellen und der Aufbau des Erdinneren erforscht. Die Ergebnisse wurden in wegweisenden Arbeiten publiziert. Daneben untersuchte Wiechert erdmagnetische und luftelektrische Phänomene.

Im Jahr 1902 wurde auf Wiecherts Betreiben hin ein geophysikalisches Observatorium auf Samoa gegründet, welches bis nach dem Ersten Weltkrieg von Göttingen aus betrieben wurde. Dahinter stand die Erkenntnis, dass die Beantwortung der großen Fragen der Geophysik ein weltweites Beobachtungsnetz erfordert. Heute gehört weltweit vernetztes Forschen auf diesem Gebiet zum wissenschaftlichen Standard.

Viele von Emil Wiecherts Göttinger Studenten sind später bedeutende Geophysiker geworden und haben Teilgebiete der Wissenschaft entscheidend vorangebracht, so beispielsweise Beno Gutenberg, der zusammen mit dem US-Amerikaner Charles Francis Richter die Magnitudenskala für die Erdbebenstärke schuf, heute noch bekannt als Richterskala.

Wiechert erhielt zahlreiche Ehrungen, stand in ständigem Austausch mit den führenden Physikern seiner Zeit und nahm regen Anteil an den rasanten Entwicklungen auf vielen Feldern der Physik, so auch der Entwicklung der Relativitätstheorie. Sein wichtigstes Arbeitsgebiet blieb jedoch die Seismologie, die er auf praktischem und theoretischem Gebiet ständig weiter vorantrieb.

Folgerichtig gab er im Jahr 1922 auch den Anstoß zur Gründung der Deutschen Seismologischen Gesellschaft, zu deren erstem Vorsitzenden er in Leipzig gewählt wurde. 1924 ging daraus die Deutsche Geophysikalische Gesellschaft hervor, die ihre höchste Auszeichnung für herausragende Arbeiten auf dem Gebiet der Geophysik nach Emil Wiechert benannt hat.

Mehrere Rufe auf renommierte Lehrstühle lehnte Emil Wiechert ab. Bis unmittelbar vor seinem Tod am 19. März 1928 im Alter von 66 Jahren konzentrierte er sich unvermindert auf seine wissenschaftlichen Arbeiten.

Hartmut Koschyk

Der Artikel basiert auf einem Vortrag, den der Parlamentarische Staatssekretär anlässlich der Präsentation der Sonderbriefmarke „150. Geburtstag Emil Wiechert“ gehalten hat.


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