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24.12.11 / Spielball der Mächte / Danzig: Eine Stadt als Politikum – Zwei Bücher geben interessante Einblicke in die Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Spielball der Mächte
Danzig: Eine Stadt als Politikum – Zwei Bücher geben interessante Einblicke in die Geschichte

Danzig umweht noch immer der Hauch des Einzigartigen. Deutscher Vorposten, Kreuzritternest, blühende Kaufmannsstadt, Freie Stadt Danzig, Solidarnosc, Lech Walesa und Günter Grass – jedes Wort ruft Assoziationen hervor, die alle irgendwie richtig und doch nicht die ganze Wahrheit sind. Zweifellos hat die Stadt, über Jahrhunderte zwischen Deutschen und Polen hin- und hergerissen, europäische Geschichte mitgeschrieben, was durch äußere Umstände bewirkt wurde.

Zwei lesenswerte Bücher rufen Geschichte und historische Bedeutung der Stadt einmal mehr in Erinnerung. Der Historiker Peter Oliver Loew vom Deutschen Polen-Institut in Darmstadt zeichnet die Geschichte der 1000-jährigen Stadt von ihren Anfängen bis in unsere Tage nach. Er informiert ausführlich und wägt genau ab, wo deutsche und polnische Geschichtsschreibung häufig und fast zwangsläufig zu konträren Schlüssen kamen.

Wie alle Regionen im nördlichen Ostmitteleuropa geriet die früh zu Wohlstand gekommene Hafen- und Handelsstadt in die endlosen Auseinandersetzungen zwischen dem Deutschritterorden, dem Königreich Polen-Litauen, Russland, Schweden und Brandenburg. Die stolze Hansestadt war nach Lübeck lange die größte Stadt im Ostseeraum. Ihre Blütezeit erlebte die Stadt, wie Loew überzeugend zeigt, unter polnischer Hoheit zwischen 1450 und 1650. Die immer schwächer werdende polnische Adelsrepublik warf auch Danzig, das zeitweise drei Viertel des polnischen Außenhandels abwickelte, spürbar zurück; die Stadt war gewissermaßen „reif“, als sie im Zuge der polnischen Teilungen im Mai 1793 an Preußen fiel.

Die preußische Zeit brachte eine Konsolidierung und einen Aufschwung, der allerdings im Vergleich zu anderen Städten an der Ostsee doch moderater war, als es heute meist zugegeben wird. Die glänzende Vergangenheit wollte sich nicht wieder so recht einstellen. Als 1918 das wiedererstandene Polen mit Nachdruck einen freien Zugang zum Meer verlangte, wäre die Stadt schon damals fast polnisch geworden; der britische Premier Lloyd George setzte schließlich die „Freie Stadt Danzig“ durch, ein Konstrukt, das sofort zu ständigen Querelen im Inneren wie nach außen führte. Die Vergangenheit, auch die preußisch-deutsche, ist nicht mehr verpönt, sondern gehört zum historischen Selbstverständnis.

Über den Wiederaufbau der 1945 zu 90 Prozent zerstörten Stadt hat der polnische Historiker Jacek Friedrich eine fast minutiöse Chronik vorgelegt. Es sind jene Aufbaujahre, in denen teilweise mit großer Vehemenz darüber gestritten wurde, ob man in den historischen Grundrissen und in historischer Bauweise wiederaufbauen oder gänzlich Neues schaffen solle. Das Pendel neigte sich, wohl auch unter dem Eindruck des gewollt historischen Wiederaufbaus von Warschau, zugunsten eines historischen Wiederaufbaus, der in den Zentren der Stadt um 1960 weitgehend abgeschlossen war. In Danzig spielte eine Rolle, dass man das historische Danzig eben nicht als deutsches, sondern als polnisches Erbe aus den blühenden Jahrzehnten in der frühen Neuzeit sah, dass also ein polnisches Danzig wiedererstehen sollte.

Um den neuen, den „sozialistischen“ Gegebenheiten Rechnung zu tragen, wurden die dann in einem fast unheimlichen Tempo wiederaufgebauten historischen Viertel zu Arbeitersiedlungen deklariert und vor allem für Beschäftigte der Werften reserviert. Für den Bauschmuck wurden dann allerdings doch bestimmte Anforderungen des „sozialistischen Realismus“ berücksichtigt, was zu der Unterscheidung zwischen „genauer“, „korrigierender“ und „kreativer“ Rekonstruktion führte.

Der Autor zeichnet alle Diskussionen und Maßnahmen an Beispielen – der Hundegasse, dem Königsweg, der Breitgasse, der Langgasse und der Häckergasse – nach. Heute sind diese Stadtteile Ziel von Tausenden von Touristen, welche die alte Schönheit der Hansestadt wiederzufinden glauben.

Zwei sehr schöne Danzig-Bücher, denen freilich einmal mehr das Manko fehlender Stadtpläne anzukreiden ist. Was liegt näher, bei Stadtbüchern auch einen Stadtplan beizugeben? So tappt der unwissende Leser mitunter leicht frustriert und aufs Geratewohl durch die Stadt. Dirk Klose

Peter Oliver Loew: „Danzig. Biografie einer Stadt“, C. H. Beck, München 2011, 320 Seiten, 24,95 Euro; Jacek Friedrich: „Neue Stadt in altem Gewand. Der Wiederaufbau Danzigs 1945 bis 1960“, Böhlau, Köln, 276 Seiten, 42,90 Euro


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