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24.12.11 / Von den Roten eingesperrt / Unvorsichtige Äußerungen führten zur Verurteilung als »Feind der Republik«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Von den Roten eingesperrt
Unvorsichtige Äußerungen führten zur Verurteilung als »Feind der Republik«

Nachdem mein Großvater am 23. November 1966 vier Tage vor seinem 74. Geburtstag verstarb, blieb ich von unserer Familie allein zurück und lebte allein in unserer Wohnung. Meine Schwester war verheiratet und wohnte in Mecklenburg, wo ihr Mann eine LPG als Vorsitzender leitete. Ich arbeitete in Leuna, am Morgen fuhr ich in den Betrieb, am Abend kam ich zurück in meine Wohnung, die im Winter eiskalt war. Wenn ich am Wochenende einmal in die Gaststätte ging, saß die Stasi mit am Tisch oder belauerte mich, was seit 1959 der Fall war. Damals weigerte ich mich hartnäckig, „freiwillig“ zur Nationalen Volksarmee (NVA) zu gehen und 1960, im „sozialistischen Frühling auf dem Lande“, verdächtigte man mich, „zu Leuten zu gehören, die gewaltsam gegen die sozialistische Umgestaltung im Dorf vorgehen wollten“. Ich sang schon einmal eine Strophe der Preußenhymne und sprach des Öfteren von Ostpreußen. Am Sonnabend, dem 12. September 1969 fuhr ich früh mit dem Schichtbus nach Leuna zu einer Sonderschicht (Subbotnik) anlässlich des bevorstehenden 20. Jahrestages der DDR-Gründung. Von dieser Sonderschicht kehrte ich erst am 9. März 1972 nach Hause zurück. Wir machten an jenem Sonnabend um die Mittagszeit Feierabend und ich fuhr mit dem Zug nach Weißenfels. Da ich mit dem Bus weiterfahren wollte, verkürzte ich die Wartezeit mit einer Einkehr in den „Goldenen Ring“. Ich kam ins Gespräch mit einem gewissen „Deubel“; fürwahr, der Name war hier genau richtig. Er war ein Spitzel, einer von jener Sorte, die in Gaststätten herumlungerte und ahnungslose Leute aushorchte, um sie dann anzuzeigen. Plötzlich waren wir bei der Politik, und ich sagte wohl mehr, als ich wollte, es ging um Ostpreußen, die Russen und die Vertreibung. Und der Kerl stimmte mir zu und schimpfte kräftig mit. Nach einer Weile stand der Kerl plötzlich auf, sagte, er habe genug gehört und gehe jetzt die Polizei anrufen, denn er sei ein „Behördenangestellter“. Ich war wie vom Donner gerührt, der Spitzel ging ans Telefon in der Gastwirtschaft, und der Wirt flüsterte mir ins Ohr: „Hau’ schnell ab, der hat schon andere Leute angeschissen.“ Ich verließ die Gaststätte. Aber nun war mein Bus weg, und ich ging zum Bahnhof, um mit dem Zug nach Pürsten zu fahren, das nicht weit von Kreischau liegt. Sowie ich durch die Schwenktür die Bahnhofshalle betrat, kamen mir der Spitzel und zwei Polizisten entgegen, der Spitzel zeigte mit ausgestrecktem Arm auf mich und rief: „Na also, da ist er ja!“

Dieser Satz gellt heute noch in meinen Ohren. Ein Polizist schnappte meinen rechten Arm, der andere ergriff den linken. Ab ging es zum Polizeirevier. Dort unterhielten sich mehrere Polizisten mit mir und schrieben auf, was ich sagte, auch musste ich gleich noch eine „Stellungnahme“ schreiben. Ich wurde in eine hässliche Zelle mit alten Matratzen gesperrt und verbrachte den Sonntag in der trübsten Stimmung. Am Abend führten sie mich dem Haftrichter vor und der stellte Haftbefehl wegen Staatsverleumdung aus. In der Nacht steckte man mich in ein Gefängnisauto in einen winzigen Verschlag, in dem ich nur kauernd Platz hatte, und ab ging es in rasender Fahrt nach Halle in den „Roten Ochsen“, wo wir im Hof von Polizisten, Polizeihunden und Scheinwerfern in Empfang genommen wurden. Auf der Schreibstube, zu der ich dann bald geführt wurde, sagte der Posten: „Hier ist der Großdeutsche.“ Daraufhin sah mich ein finster blickender Geselle böse an und sagte: „Dann freuen Sie sich nur, da werden wir ein Paar!“ Ich blieb nicht in Halle, sondern kam nach einigen Tagen nach Naumburg.

In Naumburg führte man mich zum Stationsleiter zu einem Gespräch, er teilte mir mit, dass man inzwischen in meiner Wohnung eine Haussuchung gemacht und verschiedene Dinge, so auch Tagebücher und andere Bücher, beschlagnahmt hatte. Er meinte, er wäre kein Staatsanwalt, aber ich müsste wohl etwa mit zwei Jahren rechnen. Da bekam ich Wut und sagte: „Das ist mir zu lang. Da mache ich nicht mit!“ Der Stationsleiter stutzte, sah mich scharf an und meinte: „Dann müssen wir Sicherungsmaßnahmen einleiten!“ Ich wurde für acht Wochen in Einzelhaft gesteckt und immer wieder verhört. Der Vernehmer wollte mir unbedingt beweisen, dass ich ein Sprachrohr revanchistischer Ideen sei und „Unruhe unter die Bevölkerung“ getragen habe.

Im Oktober 1969 fand in Weißenfels die Hauptverhandlung gegen mich statt, es gab kein Pardon. Staatsanwalt Schmidt bestand auf einer Haftstrafe. Einen Verteidiger gab es nicht, der Staatsanwalt sagte in seinem Plädoyer, eine rechte oder revanchistische Zielstellung sei mir nicht nachzuweisen, dennoch wären meine Äußerungen rein objektiv geeignet, das Ansehen der Sowjetunion herabzusetzen und die Bevölkerung zu beunruhigen. Trotz meiner Ansichten hätte ich mich aber nicht auf die Seite der Feinde unserer Republik gestellt, vielmehr hätte ich aufgrund meiner Herkunft und Erlebnisse im Kindesalter (Flucht) und durch teilweise Beeinflussung durch westdeutschen Rundfunk und Fernsehen eine fehlerhafte Einstellung zum Entwicklungsprozess unserer Gesellschaft entwickelt, weshalb es nun nötig wäre, mir nachdrücklich meine Fehler vor Augen zu führen.

Anfang Dezember 1969 kam ich ins Straflager Volkstedt, wo ich vier Monate lang Schrott zerlegte. Vor dem Ausgang der Baracken war im Boden ein großer Sowjetstern eingelassen. Ansonsten Stacheldraht, Wachtürme, Polizeihunde, Schnee und Eis. Der Winter 1969/1970 war kalt und lang. Im März 1970 wurde ich mit vielen anderen Strafgefangenen in das Arbeitslager Bitterfeld verlegt, das Wachpersonal war hier menschlicher, auch gab es etwas besseres Essen. Ich war hier der Strafgefangene Nr. 268.

Ich hatte mir fest vorgenommen, diese Zeit so gut wie möglich durchzustehen und auf jeden Fall wieder herauszukommen, koste es, was es wolle. Das war hier gar nicht so selbstverständlich, so mancher verlor die Nerven und drehte durch, das war der gefürchtete „Knastkoller“. Ich erlebte, wie Strafgegangene nach längerer Haft plötzlich und unvermittelt aufsprangen, andere Mithäftlinge angriffen oder auch das Wachpersonal angingen und dafür eine weitere Haftstrafe erhielten. Ich erkannte, dass ich hier nur durch gute Arbeit und diszipliniertes Verhalten eine Chance hatte, einigermaßen heil herauszukommen. Ab Januar 1971 wurde ich in das neu aufgestellte Schrottkommando MAB Halle, Außenstelle Bitterfeld, abkommandiert, ich wurde Gussschläger und zertrümmerte mit Vorschlaghammer und Schrottbeil Verbrennungsmotoren, vom kleinsten Hühnerschreckmotor bis zu großen Schiffs- und Flugzeugmotoren, und das 15 Monate lang bis zur Entlassung. Das war eine sehr schwere und gefährliche Arbeit, auf einer relativ kleinen Fläche arbeiteten mehrere Arbeitsgruppen, da pfiffen oft genug die Gussbrocken wie Geschosse durch die Luft. Die Arbeitszeit betrug 48 Stunden in der Woche. Man sagte uns: „Wenn Sie so wenig von der DDR halten, können Sie nicht erwarten, alle sozialen Vorzüge der DDR zu bekommen!“

Danach war ich im September 1971 am Ende meiner Kraft, und meine Nerven flatterten, das war der gefährliche Moment, an dem viele gescheitert waren. Ich schrieb ein Gesuch an das Kreisgericht Weißenfels, worin ich um sechs Monate vorzeitiger Entlassung bat. Bald darauf musste ich zum Polizeimeister, der mir mitteilte, das Kreisgericht habe festgelegt, dass ich die gesamte Zeit absitzen müsse. Er sagte: „Wenn ich jemandem eine vorzeitige Entlassung wünschte, so wären Sie es. Ax, Sie haben nun so lange durchgehalten und sich sagenhaft entwickelt. Ich kann Ihnen nur raten, jetzt nicht schlappzumachen und das letzte halbe Jahr noch auszuhalten!“ Und ich folgte diesem Rat. Zähneknirschend und unter Tränen schluckte ich meine Enttäuschung herunter und schuftete noch sechs Monate weiter. Am 9. März 1972, nach fast 1000 Tagen, verließ ich das Straflager als freier Mann. Bernhard Ax


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