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24.12.11 / Besessenes Sprachgenie / Emil Krebs: Trotz aller Kenntnisse war Kommunikation nicht sein Ding

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Besessenes Sprachgenie
Emil Krebs: Trotz aller Kenntnisse war Kommunikation nicht sein Ding

„Emil Krebs. Kurier des Geistes“ ist ein informatives Buch, mit einer leider chaotischen Kapitelanordnung, durch die man sich förmlich „durchfressen“ muss. Dass es um das Fremdsprachengenie Emil Krebs (1867–1930) geht, erfährt der Leser erst aus der Biografie ab Seite 87. Davor stehen eine angeblich literarische Würdigung, die schlicht albern ist und mit ihm nichts zu tun hat, sowie mehrere Aufsätze über deutsche Kolonialpolitik in Asien und Afrika, die verstehen lassen, warum Reichskanzler Otto von Bismarck Kolonien („Schutzgebiete“) als nutzlose Überflüssigkeiten ansah. Dann folgen Kapitel über Krebs, das Mathematikgenie mit exorbitanten Sprachenkenntnissen – ob er 32, 45, über 60 oder 100 Idiome beherrschte, ist unter den Autoren umstritten – und sein über 25-jähriges Wirken als „Dragoman“ (Dolmetscher) an der deutschen Botschaft in Peking.

Das Wort „Dragoman“ stammt aus dem Orient, wo man Dolmetscher zu allen Zeiten bis heute als niedere Chargen verachtete. Etwas davon scheint auch bei deutschen Diplomaten nicht unüblich gewesen zu sein, wie speziell aus Krebs’ Schicksal nach 1917 deutlich wird, als er wieder daheim war, wo man ihn kaum erwartete oder benötigte. Krebs trug daran eine Mitschuld, ihm fehlte völlig die feuilletonistische Brillanz seines späteren „Kollegen“ Paul Schmidt, ab 1923 Chefdolmetscher des Auswärtigen Amtes.

Schmidt hat 1949 mit seinen Memoiren „Statist auf diplomatischer Bühne“ einen Bestseller verfasst, was Krebs nie eingefallen wäre. Er lernte Sprachen in manischer Sammelwut, ohne sich und anderen einzugestehen, zu welchem Zweck er das tat. 1908 sollte er Konsul werden, was er ablehnte wofür selbst eine harsche Gehaltskürzung in Kauf nahm. Letztendlich war Krebs ein mechanischer „Sprachmittler“, dessen eigenbrötlerische Menschenscheu berüchtigt war, der sein immenses Wissen über chinesisches Land und Leute bestenfalls in kleinen Vortrags- oder Aufsatzbröckchen weitergab. Zwar urteilte man über ihn, „Krebs ersetzt uns 30 Außenmitarbeiter“, man bot ihm aber kaum ein Unterkommen bei Chiffrierbüros, Nachrichtendiensten, Ostasienabteilungen, Universitätsseminaren an.

„Interessant“ wurde Krebs erst nach seinem Tod – für Hirnforscher, die sein Hirn untersuchten und dabei zu Resultaten kamen („Sprachtalent (samt) Unterleistung in seiner übrigen Lebensgestaltung“), die moderne Krebs-Exegeten nur kopfschüttelnd zitieren können. Wäre Krebs heute gefragt, da Englisch globale Lingua franca ist, aber „Regionalexperten“ fehlen? Wolf Oschlies

Peter Hahn (Hrsg.): „Emil Krebs. Kurier des Geistes“, Oase, Badenweiler 2011, 263 Seiten, 14,80 Euro


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