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24.12.11 / Bizarre Geschichtsdarstellung / Tochter macht Journalisten für Tod der Eltern beim Anschlag von Djerba 2002 verantwortlich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51-11 vom 24. Dezember 2011

Bizarre Geschichtsdarstellung
Tochter macht Journalisten für Tod der Eltern beim Anschlag von Djerba 2002 verantwortlich

Um Schick-sal, Schuldzuweisungen, um das Brodeln und den Ausbruch von Gewalt in der arabischen Welt geht es im zweiten Roman des 1978 in Zittau geborenen Autors Gernot Wolfram, betitelt „Das Wüstenhaus“. Man schreibt das Jahr 2008. Ein erfolgreicher, weit gereister Journalist erhält in seinem Berliner Büro einen Anruf von einer ihm unbekannten Frau. Sie will ihn unbedingt zu einer Unterredung treffen. Es ginge um den Tod ihrer Eltern auf einer Insel, lässt sie ihn wissen. Widerstrebend geht er auf ihren Vorschlag ein und begegnet Maja aus Freiburg wieder, die er vor sechs Jahren als 17-Jährige auf der tunesischen Insel Djerba zusammen mit ihren Eltern kennen gelernt hatte. Djerba galt damals als „Schnittstelle der Kulturen“. Mit Maja, die ihn bewunderte, hatte sich der Journalist angefreundet und heimlich tiefere Gefühle für sie gehegt. Erinnerungen werden wach, an einen traumhaft schönen Urlaub, an das Hotel am Strand und lange Gespräche mit Maja und ihrem Vater, der seinen Lehrerberuf gern mit dem eines Schriftstellers getauscht hätte. Bevor der Journalist nach einigen Tagen abreiste, hatte er Majas kulturell interessiertem Vater den Besuch der Al-Ghriba-Synagoge empfohlen, um die sich so viele Legenden ranken. Fatalerweise folgten Majas Eltern dieser Empfehlung. Am 11. April 2002 besichtigten sie den Ort und wurden, wie insgesamt 19 weitere Touristen, Opfer des islamistischen Selbstmordattentats. „Er“, der namenlose Journalist, wird nach sechs Jahren mit den Vorwürfen der jungen Frau konfrontiert, ihre Eltern seinerzeit mit seinem Weltwissen und gewinnenden Wesen „umgarnt“ zu haben. Immer wieder fragt sie sich seitdem, ob sie sonst womöglich noch leben würden.

Der Roman hat Schwächen, die eigentlich im Lektorat hätten auffallen müssen. Man rekonstruiere einmal den Fortgang der Ereignisse im April 2002, gesetzt den Fall, alles hätte sich so zugetragen. Sicherlich hätte der Journalist nach Bekanntwerden des Anschlags sofort an das Lehrerehepaar aus Freiburg und deren Tochter gedacht. Er hätte sich um ihr Ergehen gesorgt und versucht, sie telefonisch oder schriftlich zu erreichen. Zu erwarten gewesen wäre ferner, dass die Erinnerung an diesen Urlaub sich ihm für alle Zeit ins Gedächtnis eingebrannt hätte, zumal er dem Anschlag nur knapp entgangen war. Auch dürfte er sich selbst mit den Vorwürfen und Fragen beschäftigt haben, mit denen ihn die junge Frau sechs Jahre später konfrontierte, hatte er ihren Eltern doch die Besichtigung der alten Synagoge vorgeschlagen. Im Roman aber stellt sich alles ganz anders dar. Als Maja den Journalisten in seinem Berliner Büro anruft und äußert: „Es geht um den Tod meiner Eltern. Wir kennen uns von einer Reise“, reagiert er befremdet. Bei ihrem Treffen in einem Café erkennt er die mittlerweile 23-Jährige längere Zeit nicht wieder. Widerstrebend beginnt er in dem Manuskript zu lesen, das sie ihm reicht, doch kein Funke der Erinnerung keimt in ihm nach dem Lesen der ersten Seiten auf. Das ist in hohem Maße unglaubwürdig.

Hinzu kommt ein anderer Schwachpunkt. In diesem Buch geht es zwar um eine Hinterbliebene und ihre Problematik, nicht um die Täter. Dennoch stellt sich die Frage, warum Maja sich in all den Jahren vorwiegend mit der Frage nach einer Mitschuld des Journalisten am Tod ihrer Eltern befasst hat, hingegen offenbar wenig mit der krankhaften Weltanschauung der unbekannten Attentäter und ihren Motiven. Das entspricht dem Vorgehen des Autors, den religiös-ideologischen Hintergrund des Attentats weder zu benennen noch zu beschreiben, was dem Buch nicht guttut. Auf dieses Konto geht ja auch die kalte Verachtung, die einige der Einheimischen auf der Urlaubsinsel für die Touristen hegen, wie in einer Szene eindrücklich beschrieben.

Zugegeben, hier handelt es sich um eine schwer fassbare, furchteinflößende Thematik, die unsere Gegenwart seit Jahren mit beeinflusst. Doch wer sie aufgreift, sollte nicht zu zaghaft sein, sondern sich zu einigen klaren Aussagen durchringen und auf Notbehelfssätze wie „Manche Kreise im Land (gemeint ist Tunesien) beobachten die Touristenattraktionen besonders argwöhnisch“ verzichten. Den gut geschriebenen Roman mit seiner nur angerissenen vielschichtigen Problematik nimmt man daher mit nicht allzu großem Interesse auf. Dagmar Jestrzemski

Gernot Wolfram: „Das Wüstenhaus“, DVA, München 2011, geb., 224 Seiten, 19,99 Euro

 

Weitere Titel

Gerhard Amendt: „Frauenquoten – Quotenfrauen …“, Manuscriptum, Leipzig 2011, gebunden, 74 Seiten, 9,50 Euro

Michael Brückner: „Banken Crash. Wenn Geldhäuser zu Pulverfässern werden“, edition winterwork, Borsdorf 2011, broschiert, 107 Seiten, 12,90 Euro

Ulrich Hutter-Wolandt: „Glaubenswelten. Aufsätze zur schlesischen und Oberlausitzer Kirchengeschichte“, Bonn 2011, 568 Seiten, geb., 24,90 Euro

Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Alexander Sachse: „Hingerichtet in Moskau. Opfer des Stalinismus aus Sachsen 1950 bis 1953“, Evangelische Verlagsanstalt Sachsen, Leipzig, kartoniert, 190 Seiten, 9,80 Euro

Reinhard Ulmar: „Der Sinn ergibt sich – Dichtung ... für helle Köpfe und rabenschwarze Spaßvögel“, BoD, Norderstedt 2011, broschiert, 164 Seiten, Abb. von Künstlern aus sechs Nationen, 14,90 Euro


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