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31.12.11 / Der Wald, ein Nationalsymbol der Deutschen? / Das Deutsche Historische Museum geht auch dieser Frage in einer anspruchsvollen Sonderausstellung nach

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-12 vom 31. Dezember 2011

Der Wald, ein Nationalsymbol der Deutschen?
Das Deutsche Historische Museum geht auch dieser Frage in einer anspruchsvollen Sonderausstellung nach

Wenn das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz für eine Sonderausstellung mit dem Titel „Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald“ eine Anschubfinanzierung leistet, mag der Interessierte damit eine primär forstwirtschaftliche, ökonomische und ökologische Aufarbeitung assoziieren. Wer aber dann im Untergeschoss der Ausstellungshalle des Deutschen Historischen Museums zu Berlin in diesem musealen Waldgebiet wandelt, wird überrascht. Gelangt er doch bei seiner weitläufigen Promenade nicht nur in die Tiefe des Waldes, sondern auch zu der tiefschürfenden Frage: Ist der Wald ein Ort der kollektiven Identität der Deutschen? Der Wald – ein Nationalsymbol für uns Deutsche?

Die Kuratoren gehen dieser Frage auf nahezu ausschließlich preußischem Terrain nach. Preußische Exponate beherrschen den Erkenntnisgang übermächtig. Dies wird plakativ deutlich an der Sammlung der Kopfbedeckungen der Förster. Dort sticht ein „Schiffshut zur Galauniform der Forstmeister in Bayern“ fast wie ein exotischer Fremdling aus der Preußen-Schau heraus. Jedoch, dies darf, soll gestattet sein am Standort Berlin. Bereits im Foyerbereich wird deutlich, dass die Kuratoren im Gleichschritt auf den „preußischen Weg“ einbogen. Kommt der Besucher doch hier in den Genuss der hoch originellen textlichen Anfänge der Waldwirtschaft als wissenschaftliches Fach. So schrieb Fried­rich Wilhelm Leopold Pfeil (1783–1859) in seinem „Erziehungsbuch für Waldbäume“: „Fragt die Bäume, wie sie erzogen sein wollen, sie werden Euch besser darüber belehren als die Bücher es tun.“ Und das, obwohl doch, wie man staunend erfährt, Bäume Bücher sein können: „Baumbücher“. Jedem Baum wurde um 1800 ein „Baumbuch“ zugedacht; äußerlich ein Buch, aufgeschlagen ein kunstvolles Schatzkästchen mit Astscheibe, Borke, Blättern, Zapfen, Nadeln und Samen des verarbeiteten Baumes. 173 solcher Exemplare haben überlebt in der „Hohenheimer Xylothek“.

In England und Frankreich überlebten im ausgehenden Mittelalter Millionen Bäume den großen Kahlschlag für den Haus- und Schiffsbau nicht. Die Folgen sind noch heute sichtbar: Weite Freiflächen sind allenfalls mit Baumgruppierungen bestanden, horizontweit reicht der Blick. Dem deutschen Wald blieb dieser Exitus erspart. Das schuf früh ein besonderes Verhältnis zum und Verständnis vom Wald. Beides wurde in Dichtung, Malerei und Musik künstlerisch ausgedrückt.

„Alles drängt sich zur Landschaft“, schrieb der Frühromantiker Philipp Otto Runge (1777– 1810) im Jahr 1802. Knorrige Eichen und verschneite Nadelwälder erhielten eine geradezu mystisch aufgeladene Bedeutung. Caspar David Friedrich (1774–1840) wurde der bedeutendste Frühromantiker. In der Waldausstellung kommt sein „Kreuz im Gebirge“ (um 1823) zu Ehren. Mit der zerklüfteten wilden Bergwaldlandschaft ist es eine vorzügliche Wahl, gaben doch die Frühromantiker noch Zeugnis vom ursprünglichen, wilden Wald voller Fährnis und Bedrohung. Mit dem streng zentralen Christuskreuz erhebt Friedrich den düsteren Waldausschnitt – nebenbei – zum Sakralraum. Carl Blechen (1798– 1840) darf mit seiner „Schneelandschaft“ und ihrem geheimnisvollen, dämonischen Charakter gerade noch der Frühromantik zugeschlagen werden.

Doch die Wald-Maler mit einer neuen Betrachtungsweise stehen bereits vor der Tür. Konsequent stellen sie den deutschen Wald als „geordnetes“ Refugium dar, das sich für den Aufenthalt anbietet. Biedermeierliche Komposition als Ausdruck der Behaglichkeit hält Einzug; der Wald wird zum ersehnten Ziel für Ruhe suchende Individualisten. Carl Spitzweg (1808–1885) formt diese neue bürgerliche Sehnsucht in seinem Gemälde „Der Lieblingsplatz“ (um 1849) anschaulich aus. Auf einer Bank an einem Waldweg sitzt in schöner Umgegend ein lesender Mann; ein Hund schläft friedlich zu seinen Füßen. Die Städter entdecken den Wald für sich; in ironischem Anstrich zeigt August von Rentzell (1810–1891) in „Die verregnete Grunewald-Partie“ ihre Unerfahrenheit und Unbeholfenheit im Umgang mit dem Wald: Eine Familie im Sommersonntagsstaat steht pudelnass im heftigen Regen.

Daneben aber hat sich in der Kunst längst auch eine andere Sichtweise auf den deutschen Wald etabliert. Die Befreiungskriege von 1813 bis 1815 waren Waldkriege; aus dem Wald heraus warfen sich preußische, österreichische, russische und schwedische Truppen auf die Restheere Napoleons – und siegten entscheidend bei Leipzig. Der Dramatiker Theodor Körner war 1813 im Lützowschen Freikorps im Forst von Rosenow gefallen; „Theodor Körner, Fried­rich Friesen und Heinrich Hartmann auf Vorposten“ überschreibt Georg Friedrich Kersting (1785–1847) sein Gemälde (mit dem Pendantbild „Die Kranzwinderin“) im tiefen Eichenwald. Spätestens dies bedeutete den Anfang der Rückbesinnung auf die Deutschen als „Waldvolk“: Hatten nicht schon die Germanen die Römer in der Wildnis des Waldes besiegt? „Hermann als Sieger“ von Wilhelm Lindenschmidt (1806–1848), das den germanischen Heeresführer im leuchtend roten Gewand als wahren Herkules vor einem übermächtigen Eichenstamm zeigt, gibt die Antwort. Der Wald als Ort der kollektiven Erinnerung: Als Kampfplatz für die deutsche Sehnsucht nach politischer Einheit ist er endlich zum nationalen Symbol geworden.

Hitler verspielte es, als er das „deutsche Waldvolk“ für sein Machwerk instrumentalisierte. Konzentrationslager waren üblicherweise im Wald versteckt. Das Heer als „der marschierende Wald“ sei ein urdeutsches Phänomen, schrieb Elias Canetti 1960 in „Masse und Macht“. Der Wald als Nationalsymbol war dahin; er sei stattdessen als „politische Landschaft“ verdächtig geworden, so der Kunsthistoriker Martin Warnke.

Dies kommt bei unserem Museumswaldgang gegen Ende zum Ausdruck, wo sich politische Plakate mit dem Wald befassen: „Rettet den Wald. Die Grünen“, hieß es 1982. Zwei Jahre darauf lautete es: „Der Wald stirbt. Der Wald soll bleiben. Wir helfen. Die SPD.“ Wohl nur in Deutschland konnte sich die Diskussion über den angeblich sterbenden Wald zu einer solch hysterischen Untergangsdebatte hochschaukeln.

Die neu erwachte Lust am Land, die sich nicht zuletzt am glänzenden Absatz einer Reihe aufwändig produzierter Land-Magazine zeigt, ist dabei, ein neues Selbstbewusstsein der Dörfler zu schaffen. Immer mehr von ihnen verbringen ihre Freizeit im oder am Wald. Die Summe dieser Zuwendung kann vielleicht als die Wiederentdeckung des Waldes als Nationalsymbol begriffen werden, wenn auch als „weiches“. Ganz friedfertig, mit seinen alten Märchen, Mythen und Sagen – und weniger mit Schwertern und Kanonen. Heinz-Wilhelm Bertram

Die Sonderausstellung „Unter Bäumen. Die Deutschen und der Wald“ ist noch bis zum 4. März im Deutschen Historischen Museum, Ausstellungshalle hinter dem Zeughaus, Unter den Linden 2, 10117 Berlin, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Nähere Informationen sind erhältlich unter der Telefonnummer (030) 203004-444. Der Katalog zur Ausstellung kostet 25 Euro.


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