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31.12.11 / Herzliche Aufnahme im Haus der Eltern / Erst beim zweiten Anlauf erfolgreich: Nach 28 Jahren fand eine Familie die Heimat wieder

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-12 vom 31. Dezember 2011

Herzliche Aufnahme im Haus der Eltern
Erst beim zweiten Anlauf erfolgreich: Nach 28 Jahren fand eine Familie die Heimat wieder

Was in der großen Politik wegen vielerlei Machtsystemen meist nur sehr schwierig zustandekommt, das wächst oft schneller und unerkannt im Kleinen. In zaghaften Schritten haben sich die Heimatvertriebenen als sogenannte „Heimwehtouristen“ zurückgewagt, sobald die Politiker die Grenzen ein wenig geöffnet hatten. Besonders durch sie gibt es inzwischen Verständnis, Respekt und Versöhnung zwischen den Heimatvertriebenen und den neuen Bürgern auch unseres Dorfes Kaschaunen, Kreis Braunsberg/Ostpr., das auf Polnisch Kaszuny heißt.

Im Folgenden möchte ich erzählen, wie ich persönlich mein Elternhaus nach 28 Jahren wiederfand, wie aus Fremden Freunde wurden und daraus unvorstellbar Schönes für beide Seiten erwuchs.

1973 machte ich mich zum ersten Mal mit unserem ältesten Sohn Thomas auf die damals noch problemreiche „Heimreise“. Erste Anlaufstelle war meine Cousine, die noch heute im Kreis Heilsberg lebt und mir als Dolmetscherin half. Ich wusste überhaupt nicht, ob unser Hof noch existierte. Und als wir uns auf dem sandigen Weg unserem Dorf näherten, vermisste ich sehr viele Häuser. Doch unseren abseits liegenden Hof sah ich in der Ferne. Was wird mich erwarten? Ich war auf alles gefasst. Vor unserem Haus sah ich einen Mann und einen Jungen arbeiten. Der Ältere machte uns sofort Zeichen, auf den Hof zu fahren. Es gab eine freundliche Begrüßung. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Die freundliche Familie Malinowski bat uns ins Haus. Was war das für ein Augenblick! Nach so langer Zeit saß ich wieder in unserer alten Langen Stube. Wir wurden durch das Haus, durch Stall und Scheune geführt. Meine Augen suchten unablässig nach Spuren meiner Vergangenheit. Ich verstand aber, dass unsere Möbel und die Bilder und das Werkzeug nicht mehr da sein konnten. Man erzählte mir, dass eine andere Familie von 1945 bis 1952 auf dem Hof gelebt habe. Danach habe der Hof zwei Jahre lang leer gestanden. Die Malinowskis, die selber auch ihre Heimat hatten verlassen müssen, sind erst 1954 auf unseren Hof gekommen. Drei Jungen und ein Mädchen sind hier aufgewachsen. Wie gut tat es mir, dass ich mich so ungezwungen bewegen durfte. Viele Erinnerungen stiegen in mir auf und ich war der Familie Malinowski sehr dankbar für ihre Freundlichkeit. Bei späteren Fahrten nach Ostpreußen fuhr ich immer regelmäßig mit meiner Cousine nach Kaschaunen und besuchte die Familie Malinowski.

Ich merkte, dass meine Besuche für den damals 13-jährigen Sohn Bogusław immer ein besonderes Ereignis waren. Eines Tages fragte er mich, ob er uns einmal in Deutschland besuchen dürfe. Natürlich lud ich ihn ein. Und tatsächlich stand der junge Mann 1984 eines Abends plötzlich in Hamburg vor unserer Tür. Wie konnte er das geschafft haben? In sehr gebrochenem Deutsch bat er mich, ihm zu helfen, damit er ganz in Deutschland bleiben könne. Wir machten ihm sehr eindringlich klar, dass er, wenn er diesen Plan ausführe, nicht mehr ohne Gefängnisstrafe nach Polen zurückkehren könne. Er war trotzdem fest entschlossen. In seiner Heimat Polen sah er damals keine Zukunft für sich. Wir nahmen ihn gerne in unsere Familie auf. Alles Nötige wurde bei den Ämtern erledigt. Wir drängten ihn sofort, einen Sprachkursus zu besuchen, und er lernte schnell. Leider wurde Bogusław schon bald dem Land Baden-Württemberg zugeteilt. Es folgte für ihn eine unerfreuliche Zeit in einer großen Ausländer-Kaserne. Da er strebsam und tüchtig ist, bekam er Arbeit in Tübingen und ist in der Firma seit 26 Jahren gern gesehen. Er ist heute noch dort als Vorarbeiter tätig. Seine Eltern verstarben 1991 und 2003. Weder Boguslaw noch seine Geschwister konnten den Hof weiter bewirtschaften und nach einigen Jahren verwilderten Haus und Hof. Als ich 2004 mit meiner Frau wieder nach Ostpreußen reiste, trafen wir uns mit Bogusław in Kaschaunen. Wir stellten resigniert fest, dass ein Teil des Daches bereits eingebrochen war. Da sagte Boguslaw: „Gregor, dies ist unser Elternhaus. Du bist hier geboren und ich bin hier geboren. Ich will das alles nicht aufgeben. Ich werde mit all meiner Kraft das Wohnhaus, Stall und Scheune wieder aufbauen.“ Ich hatte große Bedenken. Das ganze Dach war untauglich geworden. Das Fundament, die Wände, die Fenster, alles war marode. Es folgten harte Jahre der Renovierung. Besonders wichtig war es, dass das ganze Dorf endlich 2008 an die Wasserversorgung angeschlossen wurde. Wir freuten uns über jeden einzelnen gelungenen Schritt. Dann kam die Einladung:

„Bitte, Gregor, du kannst kommen und in Eurem alten/neuen Zuhause wohnen. Es ist Platz für euch alle.“ Meine beiden Söhne und der Enkelsohn drängten mich: „Wer weiß, wie lange du noch reisen kannst. Wir möchten, dass du uns alles zeigst!“ Im Sommer 2011 fuhren wir voll Erwartung zu viert los. Diese Reise sollte etwas ganz Besonders werden. Ganz alleine durften wir im Haus leben. Ja, es ist mein Elternhaus, unser Hof, die alte Scheune, doch natürlich ist nun alles etwas anders, größer und auch noch nicht ganz fertig. Ich konnte sehen, das Wichtigste war das Gemäuer, die Balken und das Dach. Unser Elternschlafzimmer hat zwei größere Fenster bekommen und einen neuen Holzfußboden. Der alte Kachelofen ist jetzt mit dem neuen Bad verbunden. Darin ist alles schön gefliest. Es gibt eine Dusche und eine Badewanne. Unseren Kindern musste ich erst einmal die alte „Bud“ zeigen und erzählen, wie es bei uns früher mit dem Waschen und „Baden“ war. Unsere Große Stube, die wir als Kinder nie unaufgefordert betreten durften, ist heute eine gemütliche Wohnstube mit gemauertem Kamin und einem großen Schiebefenster und Terrassentür. Was unsere Mutter wohl gesagt hätte, wenn sie hier sitzen und durch das große Fenster weit über die Wiesen und Felder bis zum Waldrand sehen könnte? Fast habe ich vergessen, dass früher eine andere Zeit war, und dass die Mutter nur „gesessen“ hat, wenn mal Besuch da gewesen war. Die alte Küche steht immer noch so wie früher. Sie muss von Bogusław später noch renoviert werden. Da kommen noch Kosten auf ihn zu!

Ob ich beim Erinnern wehmütig geworden bin? Ach nein! Die Welt hat sich überall geändert. So hat unser Elternhaus auch ein neues Gesicht bekommen. Meine Aufgabe ist es jetzt, mich anzupassen. Ich habe mich über die Veränderungen sehr gefreut. Ich habe die viele Mühe gesehen, die darin steckt und auch die Liebe gespürt, die Bogusław zu seinem Elternhaus hat. Er ist ja auch hier geboren und hat hier gelebt. Die Verständigkeit meiner Söhne, ihre so ganz ungezwungene, unbelastete Beziehung zu anderen Nationen hat mir auch das Großartige dieser Freundschaft zwischen Bogusław und mir bewusst gemacht. Wir vier fühlten uns vom ersten Tag an wohl. Wir hatten herrlichen sonnigen ostpreußischen Hochsommer. „Die Jungen“ haben in der alten Küche gekocht und gewirtschaftet. Vor dem Haus in der Sonne schmeckte uns das Essen. Mit meinem Enkel ging ich quer durch unsere verwilderten Äcker und feuchten Wiesen. Kein Mensch war zu sehen. Keiner hatte das Recht, uns wegzujagen. Wir liefen auch alle barfuß bis Millenberg und zurück. Wie oft bin ich früher durch diesen Sand gelaufen? Wie schön, dass ich das noch einmal mit den Kindern tun durfte! Einiges von früher haben unsere Kinder hier spüren können. Ihre Fragen habe ich gerne beantwortet. Die ehemalige Lebendigkeit unseres Heimatdorfes konnte ich ihnen nicht mehr anschaulich machen. Ich erzählte, dass unser kleines Dorf vor dem Krieg 323 Einwohner mit 66 Häusern hatte. Zurzeit sahen wir fünf bewirtschaftete Höfe, zehn zum Teil verfallene Häuser, die aber noch bewohnt schienen und dazu noch vier Häuser, die nur zur Freizeit benutzt werden.

Unserem Freund Bogusław Malinowski wünsche ich, dass unser altes Haus und sein Elternhaus immer mehr ein guter Platz zum glücklichen Ausruhen wird für Polen und auch für Deutsche. Gregor Bergmann


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