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31.12.11 / Vom vermeintlichen Paradies ausgeschlossen / Geschichte einer Flucht vor der Militärdiktatur: Junger Mann aus Eritrea wagt die Fahrt übers Mittelmeer nach Europa

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 52-12 vom 31. Dezember 2011

Vom vermeintlichen Paradies ausgeschlossen
Geschichte einer Flucht vor der Militärdiktatur: Junger Mann aus Eritrea wagt die Fahrt übers Mittelmeer nach Europa

Gerade in den ersten Monaten des auslaufenden Jahres erreichten wieder viele Boote mit Afrikanern die südlichen Küsten Europas. Sie erhoffen sich nach der gefährlichen Reise und Flucht aus ihrer Heimat einen Neuanfang in Europa, doch keiner in Europa will sie. In „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn. Vier Jahre auf der Flucht nach Deutschland“ sind die Erlebnisse von Zekarias Kebraeb nachzulesen, der sich von Eritrea auf den Weg gen Norden machte.

Die Gründe, warum er seine Heimat verließ, sind durchaus nachvollziehbar: „Ich war 16 Jahre alt, die grünen Militärbusse standen vor den Türen der ehemals katholischen Klosterschule, die ich besuchte, um uns am letzten Schultag direkt vom Abitur weg ins Militärlager Sawa zu holen. Der Krieg von 1998 war vorbei, aber die Angst vor dem Feind noch lange nicht. Im Gegenteil, unter den grausamen Eindrücken von Zerstörung, Hunger und Tod sah das Regime seine Macht von allen Seiten bedroht und hatte sich innerhalb kürzester Zeit in eine hysterische Militärdiktatur verwandelt. An Gesetz und Verfassung, die das Volk forderte, dachte niemand mehr, stattdessen wurde die lebenslange Militärpflicht für Mädchen und Jungen eingeführt, die, wenn man Glück hatte, später in einen Zivildienst umgewandelt wurde. Wer andere Träume hatte – Pech gehabt.“

Zekarias Kebraeb hatte jedoch andere Träume. Er träumte von dem Paradies Europa, von dem er dachte, dass das Geld dort an den Hauswänden wachsen würde und niemand hungern müsse oder krank werde. Auf den folgenden 250 Seiten wird sich der Leser noch das ein oder andere Mal fragen, ob Zekarias Kebraeb auch aus seiner Heimat geflohen wäre, wenn er gewusst hätte, dass Europa alles andere als ein Paradies ist und auch hier die Menschen hart für ein gutes Leben arbeiten und kämpfen müssen.

Da Zekarias Kebraeb seine Zukunft nicht beim Militär sah und sich in das vermeintliche Paradies Europa wünschte, um sich selbst zu verwirklichen, wagte er die gefährliche Flucht nach Italien. Unmenschliche Mühen, Hunger, Durst und Elend nahm der gerade mal 17 Jahre alte Junge auf dem Weg durch den afrikanischen Busch, durch die Sahara und übers Mittelmeer auf sich, um diesen Traum zu verwirklichen.

Was folgte, war jedoch eine äußerst harte Landung auf dem Boden der Tatsachen. Zekarias Kebraeb floh aus dem Aufnahmelager in Italien in die Schweiz. Doch auch dort war die Lage nicht viel rosiger. „Tage später werde ich in einem Polizeibus mit getönten Scheiben in ein Asylbewerberheim nach Sankt Gallen verfrachtet. Mein größter Zeitvertreib dort ist es, den Schneeflocken vor dem Fenster zuzusehen. … Im Lager ist es unerträglich. Den lieben langen Tag bei Neonlicht im Vierzigerzimmer auf dem Bett herumgammeln, fernsehen, verkochte Kantinenkartoffeln … Soziale Kompetenz ist wahrhaftig gefragt, wenn man sich mit so vielen Menschen, von deren Sprache man nicht den kleinsten Schimmer hat, ein paar Quadratmeter unter Tage und einen Fernseher teilt. Wer die Fernbedienung besitzt, ist Tagessieger und entscheidet, ob Fußball, Pornos oder Big Brother, das sowieso keiner versteht, geguckt werden.“

Zekarias Kebraeb gelang erneut die Flucht. Er landete in Deutschland. Dieses Mal jedoch war es keine Flucht vor einer Militärdiktatur, sondern die Flucht vor der Mutlosigkeit, der Verzweiflung über die Willkür der Behörden, durch die zähen Abläufe bei Asylantragsverfahren, die Flucht davor zu vergessen, weshalb er aus seiner Heimat geflohen war.

Viele Fragen wirft dieses Buch beim Leser auf, viele Gefühle werden ihn bewegen. Müssen wir nicht Menschen wie Zekarias helfen? Allerdings darf man sich nicht vom Mitleid hinreißen lassen, denn es gibt schließlich viele wie Zekarias und wir können und wollen auch gar nicht alle aufnehmen. Und was passiert, wenn alle Afrikaner wie Zekarias aus ihrer Heimat fliehen, statt zu versuchen, sich zusammenzuschließen und gegen bestehende Regime zu rebellieren? Vanessa Ney

Zekarias Kebraeb, aufgeschrieben von Marianne Moesle: „Hoffnung im Herzen, Freiheit im Sinn. Vier Jahre auf der Flucht nach Deutschland“, Bastei Lübbe, Köln 2011, broschiert, 368 Seiten, 8,99 Euro


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