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14.01.12 / Wo ist die Grenze? / Debatte um Reisefreiheit stellt viele Grundsatzfragen – Visum »Instrument der Vergangenheit«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-12 vom 14. Januar 2012

Wo ist die Grenze?
Debatte um Reisefreiheit stellt viele Grundsatzfragen – Visum »Instrument der Vergangenheit«

Reisefreiheit ist ein Kern der EU, aber auch Bewohner anderer Länder erhalten immer öfter Möglichkeiten, sich in Europa frei zu bewegen. Doch das führt dazu, dass die Reisefreiheit in die Kritik gerät.

Deutschlands Visapolitik steht nach Angaben des Auswärtigen Amtes vor umfangreichen Neuregelungen, die zu beschleunigten Visavergaben führen sollen. Profitieren soll etwa die Hälfte der jährlich zwei Millionen Antragsteller, vor allem in Flächenländern wie Russland und China. Möglich wird zum Beispiel, Unterlagen für Visaanträge zukünftig per Internet zu erhalten. Bereits beschlossen ist die Einrichtung einer Visa-Warndatei, die Daten von Kriminellen und Terrorverdächtigen speichern soll.

Noch weitergehende Forderungen zur Liberalisierung der Visavergabe kommen indes vom „Ostausschuss der deutschen Wirtschaft“: Der Ausschuss hält die Kontrolle von biometrische Pässen an den Grenzen für ausreichend, und die Vergabe von Visa „für ein Instrument der Vergangenheit“, das enorme Kosten verursacht.

Ob bei dieser Kalkulation auch mögliche Risiken berücksichtigt wurden, ist zweifelhaft. In der Realität ist allerdings ohnehin kaum noch eine effektive Kontrolle der Visavergabe möglich: Polen und Finnland als Mitglieder der Schengen-Zone stehen beispielsweise im Ruf einer sehr freigiebigen Visaerteilung für Bürger der Ukraine, Weißrusslands und Russlands. Die erteilten Visa berechtigen zum Aufenthalt in der gesamten Schengen-Zone.

Indessen spricht einiges dafür, dass die gesamte Schengen-Vereinbarung demnächst auf den Prüfstand gestellt wird: Die EU-Kommission ist mit ihrem Plan, sämtliche Kompetenzen in Bezug auf „Schengen“ an sich zu ziehen, zunächst gescheitert. Nur 22 von 27 EU-Ländern nehmen an der Vereinbarung teil. Nichtbeteiligt sind Großbritannien, Irland, Zypern, Bulgarien und Rumänien. Angeschlossen sind dafür allerdings die Nicht-EU-Mitglieder Norwegen, Island und die Schweiz, die ihre Forderung durchgesetzt haben, dass über ihre Belange in Bezug auf den Schengen-Raum nicht durch die EU-Kommission, also de facto ohne ihre Mitsprache, entschieden werden kann. Folge ist, dass ein Mitspracherecht bei den Schengen-Staaten verbleibt.

Zusätzlich wird derzeit durch die Niederlande ein Vorhaben umgesetzt, das Vorbildcharakter bekommen könnte: Beargwöhnt von der EU-Kommission wollen die Niederlande an 15 Straßen in Grenznähe per Kameras den fließenden Verkehr überwachen. Durch Computerabgleich soll eine Überprüfung der durch die Kameras erfassten Autokennzeichen möglich sein. Bei Verdachtsmomenten ist eine Kontrolle durch Polizeikräfte geplant. Sollte diese niederländische Lösung Bestand haben, wäre es immerhin ein Ansatz, wieder eine gewisse Kontrolle über die eigenen Grenzen zurück-zugewinnen.

Zum regelrechten Sprengsatz könnte sich bei einer Zuspitzung der Finanzkrise in Europa allerdings eine Regelung des Lissaboner Vertrages entwickeln: Die Artikel 63 und 65 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU erlauben Einschränkungen zur Kapitalverkehrsfreiheit durch EU-Mitgliedsstaaten. Wahrscheinlich ist, dass im Krisenfall auf dieser Grundlage auch Grenzkontrollen zur Verhinderung von Bargeldabflüssen eingeführt werden.

Wie weit durch Brüsseler Vorgaben in der Vergangenheit bereits eine eigenständige Visa- und Einwanderungspolitik der Mitgliedsländer ausgehebelt wurde, lässt sich an Daten ablesen, die vom britischen Office for National Statistics vorgelegt wurden: Großbritannien ist zwar nicht Teil des Schengen-Raums, hat sich aber den Regeln der EU-Freizügigkeitsrichtlinie zu unterwerfen. Nach nun veröffentlichten Daten sind im Jahr 2011 etwa 11000 Personen aus anderen EU-Ländern eingewandert, die dort zuvor erst eingebürgert worden waren. Ein Großteil dieser Zuzügler hätte nach britischen Regelungen eigentlich keinen Anspruch auf Einwanderung nach Großbritannien gehabt. Dennoch können sich die Neu-EU-Bürger aufgrund der Freizügigkeitsrichtlinie ihr Aufenthaltsrecht in Großbritannien im Notfall sogar einklagen. Für Schlagzeilen sorgt derzeit etwa der Fall einer Familie, die ursprünglich aus Südamerika stammt, in Spanien eingebürgert wurde und später nach Großbritannien auswanderte, wo die Familie verschiedene Sozialleistungen in Höhe von 2330 Pfund pro Monat beanspruchte.

In den letzten fünf Jahren soll es etwa 47000 derartiger Fälle einer „Einwanderung durch die Hintertür“ gegeben haben. Diese Entwick-lung hat einen Mitanteil daran, dass die ursprünglich von der britischen Regierung beschlossenen Zuwanderungszahlen sich zunehmend als Illusion erweisen: Während für das Jahr 2010 eine Nettozuwanderung von 100000 Personen geplant war, sind tatsächlich etwa 252000 Einwanderer ins Land gekommen. H. Müller


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