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14.01.12 / Brodelnder Schmelztiegel / Israel: Orthodoxe, säkulare und liberale Juden bekämpfen sich

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-12 vom 14. Januar 2012

Brodelnder Schmelztiegel
Israel: Orthodoxe, säkulare und liberale Juden bekämpfen sich

Als ob die konservative Regierung Benjamin Netanjahus nicht schon genug Schwierigkeiten mit der Forderung nach einem Siedlungsstopp durch US-Präsident Barack Oba-ma hätte, begehren jetzt drei Bevölkerungsgruppen gegeneinander auf: die strengreligiösen orthodoxen Juden, ihre liberal-säkular gesinnten Volksgenossen und die national orientierten Siedler.

Mit Steinwürfen empfingen Siedler aus dem Westjordanland kürzlich die eigene Armee, die eine illegale Siedlung räumen wollte. Zehntausend säkulare Juden demonstrierten in Beit Schemesch gegen die Moralvorstellungen des orthodoxen Bevölkerungsteiles. In Jerusalem eskalierte der Streit um die Einhaltung der Sabbatruhe. Im orthodoxen Stadtviertel Mea Schearim, wo selbst die Geldautomaten am Sonnabend abgestellt werden, erregten sich Strenggläubige wegen einer vermeintlich gestörten Feiertagsruhe, zuletzt mit den provokativen Mitteln von Judensternen auf der Brust und in KZ-Häftlingskleidung. Das sorgte für internationales Aufsehen und die einhellige Ablehnung durch Präsident, Ministerpräsident und alle Parteivorsitzenden. Aber auch der Rest der Bevölkerung ist unzufrieden: Man denke hier an die großen Demonstrationen im letzten Sommer, als 100000 säkulare Juden in Tel Aviv und Haifa für verbesserte Lebensbedingungen und niedrigere Steuern eintraten.

Die Bevölkerung Israels erweist sich zunehmend als explosives Gemisch. Während die säkularen Juden an der Mittelmeerküste eine hochmoderne Industrie aufgebaut haben, verharren die orthodoxen Juden scheinbar im Mittelalter. Sie sind zu 40 Prozent arbeitslos, leben von Sozialhilfe und bringen sehr viele Kinder zur Welt. Heute stellen sie rund zehn Prozent der Bevölkerung, aber besetzen schon rund 20 Prozent der Parlamentssitze. Sie sind vom Militärdienst (drei Jahre für Männer, zwei Jahre für Frauen) befreit und wollen die Gesellschaft nach ihren moralischen Vorstellungen umgestalten.

In Beit Schemesch, einer 1950 gegründeten Stadt zwischen Jerusalem und Tel Aviv mit 80000 Einwohnern, prallen die Gegensätze gegenwärtig aufeinander. Die rund 40000 orthodoxen Juden, strenggläubige „Haredim“, protestieren gegen die ihrer Meinung nach zu liberalen Schulen. Das will sich die etwa gleich starke säkulare Bevölkerung der Stadt nicht gefallen lassen.

Dass Juden in Israel mit Judensternen auf der Brust gegen eine vermeintliche „Verfolgung“ demonstrieren, sorgte für weltweites Aufsehen. Im israelischen Parlament ist es zwar zuweilen üblich, dass sich die Parlamentarier als „Nazis“ beschimpfen, aber in diesem Fall ist man um den Strom von über drei Millionen Touristen jährlich besorgt. Sollten die Pilger und Besucher ausbleiben, würde der israelischen Wirtschaft ein immenser Schaden entstehen.

Für die Politik ist der Umgang mit den atheistisch-libertären, den nationalen und den religiös-orthodoxen Teilen der Bevölkerung eine Gratwanderung. Im Parlament ist Netanjahu auf die Unterstützung der religiösen Parteien angewiesen. Ihre moralischen Vorstellungen gefährden aber den offenen Charakter Israels als einziger Demokratie des Nahen Ostens. Lösungen im israelischen Kulturkampf sind kaum in Sicht. In Beit Schemesch regte Netanjahu jetzt eine Teilung der Stadt in zwei Bevölkerungsgruppen an. Auch die Bevorzugung orthodoxer Juden beim Militärdienst und im sozialen Wohnungsbau soll überdacht werden. Hinrich E. Bues


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