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14.01.12 / Lungenheilanstalt Lochstädt war hochmodern / Detaillierter Bericht informiert über die Geschichte der nach heutigen Kriterien idealen Anlage – Mittlerweile sind alle Gebäude zerstört

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02-12 vom 14. Januar 2012

Lungenheilanstalt Lochstädt war hochmodern
Detaillierter Bericht informiert über die Geschichte der nach heutigen Kriterien idealen Anlage – Mittlerweile sind alle Gebäude zerstört

Es war nur eine kleine Frage aus unserem Leserkreis, die auf eine Heilstätte an der westlichen Samlandküste hinwies, über die so gut wie nichts bekannt war. Frau Waltraut Brak­low hatte sie gestellt, die zwölfjährige Gumbinnerin war dort nach einer Lungenerkrankung eingewiesen worden, um während des fünfmonatigen Aufenthaltes in dem heilkräftigen Seeklima zu genesen. Frau Braklow hatte sich bislang vergeblich bemüht, etwas über die Seeheilstätte zu erfahren, aber es gab anscheinend keine umfassende Dokumentation über das Heim und sein Schicksal. Erst die von uns veröffentlichte Frage erbrachte die gewünschten Informationen, darunter einen detaillierten Bericht über die Heilstätte von ihrer Entstehung bis zu der heutigen Situation, den uns Herr Frank Hoffmann aus Ennepetal zusandte. Geschrieben von einem Verwandten, Herrn Ulrich Böhnke, der 1995 als Mitsiebziger seine Heimat zwischen Ostsee und Frischem Haff besucht hatte. So können wir nahtlos die Geschichte der Seeheilstätte aufzeigen, die beweist, wie modern für die damalige Zeit diese therapeutische Einrichtung war und welch einen hohen Stellenwert die Heilbehandlung lungenkranker Kinder in Ostpreußen hatte.

Diese kiefernbewachsene Landzunge zwischen Fischhausen und Pillau ist der südliche Zipfel der westlichen Samlandküste mit dem Bernsteinwerk Palmnicken und die eigentliche Wurzel der Frischen Nehrung. An der schmalsten Stelle zwischen der Burg Lochstädt und dem stillen Seebad Neuhäuser lag nämlich einst das Tief, durch das die Schiffe der Hanse und des Ordens in die nördlichste Bucht des Frischen Haffes, die Wiek, fuhren. Es versandete zu Beginn des 14. Jahrhunderts, das Pillauer Tief übernahm seine Aufgabe. An dieser handtuchschmalen Stelle wurde 1906 im Kiefernwald von Lochstädt der Grundstein für eine Seeheilstätte gelegt. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges nahm das vom „Verein zur Errichtung von Lungenheilstätten in Ostpreußen e.V.“ errichtete Heim für Tbc-kranke Kinder seine ersten Patienten auf. Der Verein mit Sitz in Königsberg, dessen Mitglieder ausschließlich öffentlich-rechtliche Körperschaften waren, unterhielt insgesamt drei große Tuberkuloseheilstätten in Ostpreußen. Für Lochstädt war zuerst die Aufnahme von etwa 80 Kindern im Alter von vier bis 14 Jahren mit nicht ansteckender Tuberkulose vorgesehen. Einige Jahre später kam dann eine Station für offene Tbc hinzu. Die Heilfaktoren waren in erster Linie Sonne sowie Wald- und Seeluft. Sie taten ihre Wirkung, sodass nach Ausbau der Stationen die Zahl der behandelten Kinder auf rund 350 stieg. 1935 wurde der Verein von der Landesversicherungsanstalt Ostpreußen übernommen. Die Krankenpflege hatte zuerst der Johanniterorden inne, 1920 übernahm sie das Königsberger Krankenhaus der Barmherzigkeit. Die kleinen Patienten wurden nun von Diakonissen betreut. Die letzte Oberin bis zur Auflösung des Heims im Januar 1945 war die Oberin Maria Peschutta. Ärztlich wurden die Kinder von dem Kreisarzt Medizinalrat Dr. med. Holz betreut. Bedingt durch den notwendigen Ausbau der Stationen musste eine ständige ärztliche Versorgung gewährleistet werden. Der erste Chefarzt war Medizinalrat Dr. med. Daus, ihm folgten Dr. med. Herholz, Medizinalarzt Dr. med. Salecker und zuletzt Dr. med. Goerdeler, ein Bruder des im Februar 1945 hingerichteten Widerstandskampfers Carl Goerdeler.

Über den weiträumigen, aus drei Blöcken bestehenden Komplex auf dem 15000 Quadratmeter großen Waldareal kann der Verfasser Informationen aus erster Hand geben: Sein Vater, der Landschaftsgärtner Robert Böhnke, schuf den schönen Park mit integriertem Obst- und Gemüsegarten und Gewächshaus. Die Heilstätte war, gemessen an heutigen Kriterien, eine ideale Anlage, sie besaß eine nahezu autarke Wirtschaftlichkeit mit Schweinemast aus Speiseabfällen, einer Pumpstation für Meerwasser aus der Ostsee, das erwärmt in Duschen und Bäder geleitet wurde, einer Zentralheizung für alle Blöcke und eigener Kühlanlage mit Natureis. Das alles ging unter, als im Januar 1945 das große Inferno hereinbrach. In den nur 31 Jahren ihres Wirkens hatte die Seeheilstätte viele Kinder als geheilt entlassen können, zuletzt wurde sie Kriegslazarett. Für viele Verwundete dürfte das nahe Pillau die Rettung gewesen sein.

50 Jahre später hat Ulrich Böhnke die ehemalige Seeheilstätte besucht. Er schreibt: „Für mich, der ich hier meine Kindheit erlebte, war es ein erschütternder Anblick. Alle Gebäude sind abgerissen, die Anlage zerstört. An ihrer Stelle stehen einige zum Teil viergeschossige Krankenhäuser, gebaut mit abgebrochenen Bauten aus der Umgebung. Diese Gebäude dienen jetzt der Pflege stationierter russischer Soldaten. Die Aufgabe, kranke Menschen in dieser heilkräftigen Landschaft zu pflegen, ist geblieben. Die Umgebung hat sich verändert.“ Leider ist der Autor inzwischen verstorben. Wir danken Herrn Frank Hoffman sehr für diese in ihrer Authentizität wohl einmalige Dokumentation. R.G.


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