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21.01.12 / Von Trakehnern verzaubert / Beeindruckende Arbeit listet ostpreußische Züchterbetriebe auf

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03-07 vom 21. Januar 2012

Von Trakehnern verzaubert
Beeindruckende Arbeit listet ostpreußische Züchterbetriebe auf

Nahezu sieben Jahrzehnte nach dem Verlust der heimischen Scholle widmen der Jurist und Historiker Dr. Wolfgang Rothe und Daniela Wiemer, die Tochter eines Trakehner Züchters, der ostpreußischen Warmblutzucht eine hoch interessante Arbeit. Sie komplettieren beeindruckend das umfangreich vorhandene Schrifttum unter dem Titel „Über die bäuerliche Zucht des Warmblutpferdes Trakehner Abstammung in und um Tollmingkehmen“.

Wolfgang Rothe wurde in Samonienen (Reiterhof) geboren. Er verbrachte dort die Kindheit bis zur Flucht im Oktober 1944 in einem der berühmtesten Privatgestüte Ostpreußens. Sein Vater Karl Rothe, der die benachbart gelegenen, im Familienbesitz befindlichen Güter Tollmingkehmen und Samonienen bewirtschafte, galt als hervorragender Landwirt, ideenreicher Pferdezüchter und erfolgreicher Reiter.

Sein Gestüt wurde spätestens im Jahre 1936 weltbekannt, nachdem die von ihm gezüchteten Dressurpferde Kronos unter Heinz Pollay und Absinth unter Friedrich Gerhard olympisches Einzelgold beziehungsweise Einzelsilber und dazu Mannschaftsgold gewonnen hatten.

Karl Rothe stand damit in der Tradition seines Vaters Dr. med. Otto Rothe, der als Züchter des Siegers der Olympischen Vielseitigkeit 1924, King of Heart, unter dem holländischen Reiter van de Vaart van Zijp firmiert.

Als Grundlage ihres Buches dient den Autoren das von Landstallmeister Dr. Martin Heling gerettete Register der Deckstelle Tollmingkehmen aus dem Jahre 1944. Die Deckstelle Tollmingkehmen war ausgangs des 18. Jahrhunderts auf der dortigen Domäne eingerichtet worden. Sie wurde zunächst vom Landgestüt Gudwallen, später vom Landgestüt Georgenburg aus mit Beschälern beschickt.

Ostpreußen besaß bis zum Schicksalsjahr 1944 die älteste, größte und erfolgreichste Reitpferdezucht Deutschlands. 24000 Zuchtstuten waren bei der Züchtervereinigung, der Ostpreußischen Stutbuchgesellschaft für Warmblut Trakehner Abstammung e.V. mit Sitz in Königsberg, registriert. 750 Beschäler der Landgestüte Georgenburg, Rastenburg, Braunsberg und Marienwerder sorgten für qualitätsvolle Nachzucht. Entscheidende züchterische Impulse gingen vom 1732 gegründeten Preußischen Hauptgestüt Trakehnen aus. Die weitaus überwiegende Anzahl der zuchtaktiven ostpreußischen Stuten befand sich im Besitz kleiner und mittelgroßer Bauernhöfe. Dort verrichteten sie im Geschirr die täglich anfallenden Arbeiten. Gesundheit, Zuverlässigkeit und Fruchtbarkeit waren unverzichtbare Qualitätskriterien.

Die sprichwörtliche Treue, Härte und ständige Leistungsbereitschaft des ostpreußischen Pferdes waren das Resultat der an praktischer Nutzung ausgerichteten Selektion. 1938 gab es in der Provinz lediglich 21 Zuchtstätten, die 20 und mehr Stuten ihr Eigen nannten. Im Verlaufe vieler Jahrzehnte hatte sich ein gedeihliches Zusammenspiel zwischen den bäuerlichen Züchtern und den größeren Grundbesitzern entwickelt. Erstere verkauften ihre Fohlen im Absatzalter an Großbetriebe. Ihnen standen ausgedehnte Weidef1ächen und die entsprechenden Stallungen zur Verfügung.

Zu den erfolgreichen Aufzuchtstätten gehörten auch die Rotheschen Güter Tollmingkehmen und Samonienen.

Den praktischen Ablauf dieses Miteinanders schildern die Autoren eindrucksvoll. Er beginnt mit der Auswahl und dem Ankauf der Absatzfohlen auf den Bauernhöfen. Der Termin der Fohlenabnahme im Spätsommer – er durfte nicht in der Zeit des abnehmenden Mondes zum Neumond hin liegen – wurde geradezu festlich ausgestaltet. Höhepunkt im Aufzuchtbetrieb war der alljährlich in Samonienen und Tollmingkehmen – um den Johannistag herum – angesetzte Remontemarkt. Der Präses der Remontierungskommission wies unkorrekte, mit zu wenig Gangvermögen ausgestattete, konstitutionsschwache dreijährige Remonten ab; sie wurden gestoßen.

Der wirtschaftliche Erfolg des Gutsbetriebes hing wesentlich vom Resultat des Remontemarktes ab. Gern erinnert sich der Autor dieses Buches, dessen elterlicher Hof 12 Kilometer vom Veranstaltungsort entfernt gelegen war, an den Tollmingkehmer Remontemarkt, den sein Vater alljährlich mit einem halben Dutzend Aspiranten beschickte.

Das Buch enthält einen Nachdruck des Deckregisters 1944 der Deckstelle Tollmingkehmen. Der Einzugsbereich der Deckstelle ist dargestellt mit Luftaufnahmen, Ortsskizzen und Dorfstrukturen, in denen die bäuerlichen Züchterhöfe markiert sind. Überaus eindrucksvoll ist die Vielzahl bislang unveröffentlichter Fotos von Auktionspferden und Prämienkandidaten, welche die Mutter des Autors fertigte. Die Schrift ist ferner angereichert mit Ablichtungen von Verträgen, die den Erwerb der königlichen Vorwerke durch die Salzburger Kolonisten – Familie Kaeswurm − und die Weitergabe der Begüterungen an die verwandtschaftlich verbundene Familie des in Sachsen-Anhalt geborenen Mediziners Dr. Otto Rothe zu Beginn des 20. Jahrhunderts dokumentieren. Die faszinierende Geschichte der Güter Tollmingkehmen und Samonienen und des traditionsreichen Deckstellenbezirkes endet mit einer umfassenden Schilderung der Vertreibung im Oktober 1944. Das kürzlich erschienene Werk spricht nicht nur Pferdefreunde an. Es fasziniert auch Menschen, denen die Geschichte Ostpreußens am Herzen liegt. EB

Wolfgang Rothe und Daniela Wiemer: „Samonienen / Tollmingkehmen. Über die bäuerliche Trakehner-Zucht“, 352 Seiten, über 800 Fotos, Karten, Dokumente, 34,90 Euro inkl. Versand. Bestellung: bevorzugt d-wiemer@versanet.de, oder Wiemer, 24782 Büdelsdorf, Matthias-Claudius-Straße 36 und info@wolfgangrothe.de


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